Gen 1

GEN



Die Genesis, oder das Buch der Schöpfung, beginnt mit der Geschichte der Erschaffung der Welt. Dem urgewaltigen Bilde göttlichen Schaffens reiht sich ein kleines liebliches Bild an: der Garten Gottes. Nicht lange währt das Paradiesesglück. Durch den Sündenfall schlägt das Bild in das Gegenbild um. Die Geschichte der Sünde und ihrer Folgen beginnt. Das erste Blut fließt. Ein wildes Geschlecht tritt auf. Es folgt ein in seiner Art großartiges Verwüstungsgemälde, ein gräßliches Zerstörungsbild: die Sintflut. Doch nicht immer zürnt der Herr. Mit einem Friedensbild schließt die Geschichte der großen Flut. Die Erde bevölkert sich. Doch sollen sich ihre Insassen nicht auf eine Scholle zusammendrängen. So erfolgt am Fuß des Turmes von Babel die Scheidung in Stämme und Sprachen. Aus der Dreiheit der Söhne Noes entspringen die Ströme der Völker, und mit ihnen beginnt das Drama der Weltgeschichte. Hierauf zieht die Patriarchenzeit an uns vorüber. Sie schließt mit der Perle der Erzählungen, der Josephsgeschichte.

Der Genesis eigen ist die merkwürdige Verteilung der Gottesnamen. Am Anfang in der Urgeschichte stehen 66 Elohim "Gott", ebenso 66 am Schluß in der Jakobsgeschichte. In der Mitte stehen 33 Elohim neben 165 Jahve "Herr" (Hontheim).

Schöpfung

1 Zu Anbeginn hat Gott erschaffen den Himmel und die Erde.1
2 Die Erde aber war wüst und wirr, und auf der Urflut lag Finsternis. Gottes Geist aber schwebte über den Gewässern.2
3 Da sprach Gott: "Licht werde!" Und Licht ward.3
4 Und Gott sah: Das Licht war gut. So schied Gott zwischen Licht und Finsternis.4
5 Und Gott bestimmte für das Licht den Tag. Und für die Finsternis bestimmte er die Nacht. So ward Abend und ward Morgen. Ein Tag.
6 Und Gott sprach: "Mitten in den Wassern sei eine Feste! Sie scheide zwischen Wasser und Wasser!"5
7 So machte Gott die Feste und schied zwischen dem Wasser unter der Feste und dem Wasser über der Feste. Und so ward es.
8 Der Feste sprach Gott den Himmel zu. So ward Abend und ward Morgen. Ein zweiter Tag.
9 Und Gott sprach: "An einem Orte sammle sich das Wasser unterm Himmel, und das Trockene erscheine!" Und so ward es.6
10 Für das Trockensein bestimmte Gott die Erde, und für die Sammlung der Wasser bestimmte er die Meere. Und Gott sah: Gut war es.
11 Und Gott sprach: "Sprießen lasse die Erde Grünes! Samentragendes Kraut und Fruchtbäume, nach ihrer Art Früchte tragend, darin ihr Same für die Erde!" Und so ward es.7
12 Die Erde brachte Grünes, Kraut mit Samen je nach seiner Art und Bäume mit Früchten, darin ihr Same je nach ihrer Art. Und Gott sah: Gut war es.8
13 So ward Abend und ward Morgen. Ein dritter Tag.
14 Und Gott sprach: "Leuchten seien an der Himmelsfeste, zwischen Tag und Nacht zu scheiden! Dann dienen sie zu Zeichen und Gezeiten, zu Tagen und Jahren9
15 und zu Leuchten an der Himmelsfeste, die Erde zu bescheinen." Und so ward es.10
16 So machte Gott die zwei großen Leuchten, die größere Leuchte zum Walten über den Tag und die kleinere Leuchte zum Walten über die Nacht, und die Sterne.11
17 Und Gott ließ sie an der Himmelsfeste auf die Erde scheinen,
18 über den Tag und die Nacht walten und zwischen dem Licht und der Finsternis scheiden. Und Gott sah: Gut war es.12
19 So ward Abend und ward Morgen. Ein vierter Tag.
20 Und Gott sprach: "Das Wasser wimmle von lebendem Gewimmel, und auf Erden an der Himmelsfeste fliege Geflügel."
21 So schuf Gott die großen Meerestiere und alle anderen lebenden Wimmelwesen, wovon die Wasser wimmeln, nach ihren Arten und der beschwingten Vögel jegliche Art. Und Gott sah: Gut war es.
22 Da segnete Gott sie und sprach: "Seid fruchtbar! Mehret euch! Füllet der Meere Gewässer! Auf Erden mehre sich das Geflügel!"13
23 So ward Abend und ward Morgen. Ein fünfter Tag.
24 Und Gott sprach:"Die Erde zeuge Lebewesen je nach ihrer Art! Vieh, Gewürm und das Wild der Erde!" Und so ward es.
25 So machte Gott das Wild der Erde nach seiner Art, das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Bodens nach seiner Art. Und Gott sah: Gut war es.
26 Und Gott sprach. "Lasset uns Menschen machen als unser Bild nach unserem Gleichnis! Herrschen sollen sie über des Meeres Fische, über des Himmels Vögel, über das Vieh auf der ganzen Erde überall und über alle Wimmelwesen, die auf Erden wimmeln!"14
27 Und Gott schuf den Menschen als sein Bild. Als Gottes Bild schuf er ihn. Er schuf sie als Mann und als Weib.
28 Und Gott segnete sie. Und Gott sprach zu ihnen: "Seid fruchtbar! Mehret euch! Füllet die Erde! Macht sie euch untertan! Herrschet über des Meeres Fische, über des Himmels Vögel und über alle Lebewesen, die auf Erden wimmeln!"
29 Und Gott sprach: "Euch überlasse ich alles samentragende Kraut auf der ganzen Erde und alle Bäume mit samentragender Baumfrucht, daß sie euch zur Nahrung diene.
30 Und alles andere grüne Kraut diene zur Nahrung allem Wilde, allen Vögeln des Himmels und allem Gewürm auf Erden, in dem Lebensgeist ist." Und so ward es.
31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte. Und sehr gut war es. So ward Abend und ward Morgen. Ein sechster Tag.15
1 Nicht dem blinden Zufall verdanken Himmel und Erde ihr Dasein. "Wer wollte behaupten, ein herrlicher Bau sei von selbst oder durch Zufall entstanden ?" Nicht aus ewiger Materie, wie Plato und Aristoteles meinten, sind sie geworden, sondern durch freie Schöpfertätigkeit Gottes aus Nichts. "Im Anbeginne" oder in der Urzeit. Der Vers ist Überschrift zum Schöpfungsbericht, der sich gegen die ägyptische Dreiteilung "Himmel, Erde, Unterwelt" richtet. Die Totenwelt war den Ägyptern der wichtigste Teil. Daher spricht das Alte Testament nur selten von der Unterwelt.
2 "Wüst und wirr", eine Steigerung des Begriffs "leer", weisen auf die Gestaltlosigkeit der Erde. Aus dem "Urgrund" oder Chaos und seinen Gewässern tauchte später die Erde auf. Nach dem Babylonier Berossus war das All einst Finsternis und Wasser, wie hier. Bel spaltete die Wasserflut und machte daraus Himmel und Erde, umgekehrt wie hier. Ähnlich der babylonische Keilschriftbericht. Nach der phönizischen Kosmogonie war anfangs "dunkle wehende Luft und trübes Chaos", ähnlich bei Aristophanes (Vögel 694). Gottes Geist als Ursache alles Lebens s. Ps 33, 6. Tertullian, Theodoret und Ephräm verstehen mit dem Talmud nach Jes 40, 7 darunter einen Sturm, wie die phönizische Kosmogonie; Hieronymus, Basilius und Athanasius im Anschluß an jüdische Quellen den Heiligen Geist.
3 Gottes Schöpfertätigkeit wird von hier ab unter dem Bild menschlichen Tuns dargestellt (Sprechen, sechs Tage, Ruhen). Nach Augustinus, De Gen. ad lit. 5,5,2, "folgten die Schöpfungen einander nicht in der Reihenfolge der Zeit, sondern nach ihrem ursächlichen Zusammenhang". "Licht" das vergeistigende, verklärende Element der Schöpfung.
4 "Gott schied zwischen Licht und Finsternis", d.h. er ließ und läßt beide abwechselnd wirken. S. "Abend ward und Morgen ward", d.h. wie es Morgen geworden war, so ward es Abend. Die voraufgehende Nacht ist hier die Finsternis von 1, 2 u. 4. Auch der gesetzliche Tag begann abends. Hier, wie im Ägyptischen (Naville), sind die sechs Tage vielleicht Bilder von sechs Perioden unbekannter Dauer. Zwischen den Tagen war Nacht, d.h. eine Zeit, während der nichts geschah oder wo die schöpferische Macht untätig war.
5 Erdwasser und Himmelswasser oder Wasserdünste.
6 Der dritte, wie der sechste Tag, umfaßt zwei Tagewerke.
7 Die Schöpfung ist gedacht in den Morgenstunden einer Frühlingswoche, nach fast allen Vätern im Frühlingsäquinoktium.
8 Die Erde ist durch das Schöpferwort mit Zeugungskraft erfüllt. Nach St. Augustinus erschuf Gott am dritten Tag die Samen- und Keimbedingungen der Pflanzen und gab der Erde die Kraft, sie nachher unter dem Einfluß der Sonne zu entwickeln. St. Chrysostomus glaubt, daß durch die Voranstellung der Pflanzen vor der Sonne gelehrt werden solle, daß die Pflanzen nicht der Sonne, wie manche glaubten, sondern einzig Gott ihr Dasein verdanken.
9 Sonne und Mond sind für die Erde da, wenn sie diese beleuchten. Daher heißt es nicht, "Gott schuf Sonne und Mond".
10 Sonne und Mond werden als Leuchtkörper ohne eigenes Leben bezeichnet, verdienen also keine Anbetung, wie bei den Ägyptern, Babyloniern und Persern.
11 "Gott machte" statt "schuf" im Lauf der Zeiten, d.h. er ließ entstehen.
12 Das Erscheinen der "Leuchten". nach den Pflanzen dürfte sich vielleicht daraus erklären, daß der inspirierte Verfasser die Entstehung der Erde nach Art des orientalischen Frühlings darstellte.
13 Gott als Urquell des Lebens legte die Fruchtbarkeit in alle Lebewesen.
14 Philo und Talmud sehen die Ebenbildlichkeit darin: "Wie Gott die Welt erfüllt, so die Seele den Leib. Wie Gott die Welt trägt, so die Seele den Körper. Wie Gott unsichtbar ist und doch sieht, so auch die Seele." Ambrosius: "Der menschliche Körper ein Bild der Welt".
15 Siebenmal heißt es in der Schöpfungsgeschichte: "Gott sah, daß es gut war", dreimal "er segnete", zehnmal "er sprach".