Jer 1

Jer



Das Buch Jeremias läßt den Propheten in den Zeiten des schlimmsten Verhängnisses über Juda auftreten. Über 40 Jahre, von 628-587 v.Chr. muß dieser Seher seinem Volk und seinem Gott dienen, das unabwendbare Verhängnis klar vor Augen, ein gefesselter Mann, der helfen möchte und nicht helfen kann. Beginnt er auch, wie Isaias, seine Tätigkeit mit der Hoffnung auf Umkehr des Volkes, so erfolgt bei ihm der Umschlag. Düstere Schatten des Gerichtes tauchen auf. Die freundliche Aufforderung zur Umkehr verstummt; nur noch kurze Warnungsrufe. Sein Gott ist nicht so sehr der erhabene Weltgott voll heiliger Majestät, wie ihn Isaias erlebt, sondern vor allem Israels Gott, der in zärtlicher Liebe zu seinem Volk erglüht und es in grimmer Erregung von sich stößt, um sich am Ende doch wieder in Liebe seiner zu erbarmen. Diese Art der Darstellung voller stimmungsmäßiger Gegensätzlichkeit ist kennzeichnend für Jeremias, dessen eigenes Naturell sie widerspiegelt, der sich selbst zerreißt in widerstrebenden Gefühlen und den sein Amt mit heftigstem Schmerz und bebender Angst erfüllt.



Des Propheten Berufung

1 Aussprüche des Chelkiassohnes Jeremias, eines Mitgliedes der Priesterschaft, die zu Anatot im Lande Benjamin saß,1
2 an den das Wort des Herrn erging in den Tagen des Amonsohnes Josias, des Judakönigs, in seinem dreizehnten Regierungsjahre.2
3 Dies geschah auch in den Tagen des Josiassohnes Jojakim, des Judakönigs, bis zum Schluß des elften Jahres des Josiassohnes Sedekias, des Judakönigs, bis zur Wegführung aus Jerusalem im fünften Monat.3
4 Das Wort des Herrn erging an mich:
5 "Bevor ich dich im Mutterleib gebildet, habe ich dich schon gekannt; bevor du deinen Mutterschoß verlassen, habe ich dich schon geweiht und zum Propheten über Heiden dich bestellt." -
6 Ich sprach darauf: "Ach Herr, Du Herr! Ich kann nicht reden; ich bin zu jung."
7 Da sprach der Herr zu mir: "Sprich nicht: ‘Ich bin zu jung!’ Wohin ich dich auch sende, wirst du gehen. Was ich dir anbefehle, wirst du künden.
8 Hab keine Furcht davor! Ich bin mit dir, um dich zu schützen." - Ein Spruch des Herrn.
9 Dann reckte seine Hand der Herr, berührte meinen Mund. Dann sprach der Herr zu mir: "Ich lege meine Worte in deinen Mund.
10 Ich geb dir heute Vollmacht über Heidenvölker und Königshäuser zum Ausreißen, zum Einreißen und zum Verheeren, zum Verderben, zum Bauen und zum Pflanzen."4
11 Darauf erging das Wort des Herrn an mich: "Was siehst du, Jeremias?" Ich sprach: "Ich sehe eines Wachbaums Zweig.5
12 Da sprach der Herr zu mir: "Ganz recht! Ich wache über meinem Wort, es zu erfüllen."
13 Zum zweitenmal erging das Wort des Herrn an mich: "Was siehst du da?" Ich sprach: "Ich sehe einen Kessel überkochen, und seine Öffnung schaut von Norden her."6
14 Da sprach der Herr zu mir: "Im Norden wird gebraut das Unheil über alle, die im Lande wohnen.
15 Ja, sieh! Ich bin's, der alle Horden jener Reiche dort im Norden aufruft", ein Spruch des Herrn, "auf daß sie kommen, und jeder seinen Sitz hinstelle vor die Tore von Jerusalem und alle seine Mauern rings umher und wider alle Städte Judas.
16 Ich ziehe sie zur Rechenschaft für alle ihre Bosheit, daß sie mich verließen und andern Göttern opferten, anbetend ihrer Hände Machwerk.
17 Du aber gürte deine Lenden! Tritt hin und sprich zu ihnen, was immer ich dich heiße! Erschrick vor ihnen nicht, damit ich dich nicht öffentlich erschrecke!
18 Ich selbst mach heute dich zur festen Burg, zum Eisenturm, zur ehernen Mauer gegen alle hierzulande, die Könige von Juda, seine Fürsten und seine Priester und des Landes Volk.7
19 Und wenn sie dich bekämpfen, übermannen sie dich nicht. Ich bin mit dir, um dich zu schützen." - Ein Spruch des Herrn.
1 " Anatot" nordösdich von Jerusalem.
2 625 v.Chr.
3 Jojakim 608-598. Sedekias 598-587.
4 Durch Verkündigung des Untergangs und Aufbaues.
5 "Wacher Baum" Mandelbaum, der als erster blüht; nach den Alten ein Komet.
6 "Kessel" Sinnbild des Kriegs.
7 Zu einer "Burg", die sich verteidigen kann, zu einem "Eisenturme", der alle Lasten trägt, zu einer "Mauer", die gegen Angriffe schützt.