Gen 1



Die Geschichtsbücher





Gottes Heilsweg: Israels Geschichte



Die erste Reihe in der Sammlung alttestamentlicher Schriften trägt im christlichen Kanon (Schriftenverzeichnis) den Namen "Geschichtsbücher", eine Bezeichnung, die sich in der hebräischen Bibel nicht findet. Tatsächlich wird aber in ihnen ein weitgespannter Geschichtsablauf gezeichnet. Er hat seine Mitte in den Heilstaten Gottes an Israel bei der Herausführung aus Ägypten und im Bundesschluß an Sinai, setzt rückgreifend ein bei den Anfängen von Welt und Menschheit, fügt der israelitischen Volksgeschichte die Familiengeschichte seiner Ahnen, der Patriarchen, vor, folgt dann im wesentlichen dem Weg, den Israel durch die Höhen und Tiefen seiner Geschichte geht, und endet in der Zeit der Makkabäer.



Nun ist aber echte Geschichtsschreibung (als deutende Rückschau in die Vergangenheit) nur möglich vom bestimmten Standpunkt einer Gegenwart aus. Erst so werden Zusammenhänge sichtbar, sind Sinndrehungen möglich und lassen sich durchlaufende Linien zeichnen, die in die Zukunft weisen. Mit der fortschreitenden Zeit jedoch verschieben sich notwendigerweise auch die Standpunkte und erfordern neue Rückblicke und Deutungen aus anderer Sicht. Geschichte muß immer neu geschrieben werden.



Ähnliches ist auch in Israel geschehen. Mehr als einmal haben im Lauf der Jahrhunderte erleuchtete Männer die Überlieferungen aus Israels Vergangenheit nach den jeweils besonderen Gesichtspunkten und Erfordernissen ihrer Gegenwart gesichtet, gedeutet und aufgezeichnet. Später sind dann mehrere solcher in Abständen nacheinander entstandenen Darstellungen miteinander verbunden und in einen übergreifenden Rahmen hineingestellt worden. Andere Einzelschriften sind später noch hinzugefügt worden. Die Bezeichnung "Geschichtsbücher" wird also, obwohl sie der hebräischen Bibel fremd ist, doch dem Inhalt dieser Schriften insofern gerecht, als sie geeignet ist, darauf hinzuweisen, daß Gott sich in den Ablauf menschlicher Geschichte hineingeoffenbart hat.



Diese Bezeichnung hat allerdings bis in unsere Zeit zu folgenschweren, wenn auch ganz entgegengesetzten Mißverständnissen geführt. Entweder nahm man sie unbesehen als Bürgschaft dafür, daß es sich hier um historische Werke im heutigen Sinne handeln müsse, oder aber man verwarf ebenso unbesehen (auf Grund der genaueren Kenntnis der profanen Geschichte des Alten Orients) ihren Inhalt weithin als unbrauchbar für die "wirkliche Geschichte Israels, weil den "tatsächlichen" Ereignissen nicht entsprechend, sie entstellend, ja sie verfälschend.



Von beiden Seiten her legte man also moderne Maßstäbe an, ohne der besonderen Art und Ausrichtung und den jeweils verschiedenen literarischen Mitteln Rechnung zu tragen (und sie als ausschlaggebend anzuerkennen), mit denen in diesen Büchern geschichtliche Abläufe dargestellt sind. Man forderte von ihnen etwas, was sie weder geben können noch wollen, und übersah, daß diese Schriften zuerst einmal in der Haltung gelesen werden müssen, in der sie geschrieben worden sind. Wer den alten Schriftstellern historisch-kritische Geschichtsschreibung abverlangt, verrät selbst wenig historischen Sinn.



In der "Konstitution über die göttliche Offenbarung" ist es nunmehr klar ausgesprochen, daß die Texte der Bibel "in verschiedenem Sinn" geschichtlich sein können. Und in der Tat machen die biblischen Schriftsteller von den verschiedensten Arten der Darstellung Gebrauch. Die Stoffe und Motive, die sie aufgreifen, sind ja oft jahrhundertelang innerhalb der Sippen und Stämme mündlich weitergeben worden. Deshalb finden die späteren Schriftsteller auf weite Strecken hin schon vorgeformte und durch volkstümliche Lust am Erzählen weit ausgesponnene und bildhaft anschaulich gemachte Überlieferungen vor. Es läßt sich auch feststellen, daß sie dem überkommenen Gut gegenüber meist größte Behutsamkeit an den Tag legen, indem sie die Zeugnisse verschiedener Überlieferungsrichtungen unverändert zu Wort kommen lassen. Durch die Art und Weise allerdings, wie sie die einzelnen Stücke zusammenfügen, bestimmen sie selbst dann die durchlaufenden Linien, setzen ihre eigenen Akzente und bestimmen das Gewicht der theologischen Aussagen. Schließlich prägt ein End-Verfasser dem Werk den Stempel seiner letztgültigen Ausrichtung auf. (Daß aber für uns erst vom neuen Testament her Lauf und Ziel dieser Linien endgültig sichtbar werden, sei hier nur noch abschließend angemerkt).



Man würde daher (worauf auch die Konstitution hinweist) der Aussageabsicht der biblischen Geschichtsbücher nicht gerecht, wollte man sie alle und in allen ihren Teilen unterschiedslos auf dieselbe Stufe stellen und sie so lesen, wie man ein heutiges Geschichtswerk liest. Zum richtigen Verständnis ist es erforderlich, von Fall zu Fall die Unterschiede in der Darstellungsart zu erkennen und zu beachten.



Vor allem aber muß man sich darüber im klaren sein, daß es in diesen Büchern gar nicht um profane Geschichte geht, sondern um religiöse, d.h. um aus dem Glauben gedeutete Geschichte. Mit anderen Worten: Die wahre Absicht dieser Geschichtsschreibung geht dahin, zu bezeugen, daß Gott sich als HERR des Heiles in Israels Geschichte erweist. Diese freilich nur im Glauben erkennbare Gotteswirklichkeit überstrahlt jede menschliche Wirklichkeit, von der diese Bücher handeln und die profaner Geschichtsschreibung gar nicht zugänglich ist.



Was Israel immer wieder erfahren und gläubig bekannt hat: daß Gott in die Geschichte eingreift und sich als Retter erweist - , das ist die entscheidende Tatsache, die Ausgangspunkt und Maßstab für alles übrige ist.



Weder das Volk Israel selbst noch die großen Gestalten seiner Väter, Führer, Könige und Propheten stehen deshalb im Mittelpunkt dieser Bücher, sondern Gott in seinem Handeln an ihnen und durch sie. Gott selbst setzt diese Geschichte in Bewegung. Es sind seine Taten, die hier erzählt werden, seine Heilstaten an Israel in Erwählung und Rettung, Verheißung, Führung und Erfüllung, in Drohung, Strafe und neuem Heil. Jeder der verschiedenen Geschichtsentwürfe aber ist ein Anruf an Israel in bestimmter geschichtlicher Stunde, eine Botschaft der göttlichen Treue, eine neue Verheißung in die Zukunft.



Von hierher ist es auch zu verstehen, daß in Israel die übliche Vorstellung der alten Völker von der Zeit als dem immer wiederkehrenden Kreislauf grundsätzlich überwunden und so zum erstenmal echte Geschichtsschreibung möglich geworden ist. Die Zeit wird zum Weg in die Zukunft. An sich selbst hat es Israel immer wieder erfahren, daß Gottes Handeln planvoll ist, stetig voranschreitet und Ziel um Ziel anstrebt. Von den jeweils erreichten Zielen her sind rückblickend die Zeugnisse dieser Geschichte geschrieben worden. Israel hat sich im Fortschreiten auf dem ihm von Gott gewiesenen Weg - über alles Versagen hinaus und durch alle Strafgerichte hindurch - immer wieder angetrieben gefühlt, glaubend und bekennend, rühmend und reuevoll Zeugnis abzulegen von Verlauf dieses Weges, um wieder hoffend und vertrauend weiter in die Zukunft zu gehen. Auf diese Weise ist die übergreifende, trotz aller Unterschied doch (vom Thema her) einheitliche Schau der "Geschichtsbücher" entstanden: vom Beginn der Zeit bis vor die Fülle der Zeit.



Sicherlich ist es für den heutigen Menschen (und Christen) nicht leicht, diese Bücher in der richtigen Einstellung zu lesen. Wenn man jedoch um das langsame Wachsen dieses Schrifttums aus dem Glauben Israels heraus und als Bekenntnis dieses Glaubens weiß, und wenn man sich vor allem Sinn und Absicht dieser Bücher als Zeugnis von Gottes Heilswirken vor Augen hält, dann dürfte die rechte Haltung zu ihnen auch wieder nicht allzu schwer sein.



Als Teil der ganzen Heiligen Schrift zielen sie für den Christen auf eine letzte Gegenwart hin, die heute noch gilt, und in eine letzte Zukunft hinein, die heute noch aussteht: auf die Gegenwart des Neuen Bundes und in die Zukunft der zweiten Ankunft Christi, des HERRN. Das letzte Ziel der in diesen Büchern bezeugten Geschichte des Heils - durch alle vorläufigen Ziele hindurch und über alle anderen Ziele hinaus - ist ER, "der Sohn Davids, der Sohn Abrahams" (Mt 1, 1), "der Menschensohn" (Dan 7, 13; Mt 24, 30; Mt 26, 64); der als der Verheißene kommt und kommen wird, um alles zu erfüllen. In ihm kommt der Weg der Geschichte Gottes mit Israel zu Ende, weil er das Heil für alle bringt; durch ihn geht der Weg der Geschichte Gottes mit Israel für alle weiter, weil er ‘Weg, Wahrheit und Leben’ (Joh 14, 6) ist, ‘das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende’ (Offb 22, 13). -



Die Reihe der 21 Geschichtsbücher wird eröffnet vom ‘Fünfbuch’ des Mose (griechisch: ‘Pentateuch’, hebräisch: ‘Tora’ = Weisung).

Das Buch Josua und das Buch der Richter schließen sich als sechstes und siebtes an.

Es folgen das Buch Rut, das 1. und 2. Buch Samuel und das 1. und 2. Buch der Könige.

Weiter folgen die beiden Bücher der Chronik, das Buch Esra und das Buch Nehemia.

Die Bücher Tobit, Judit und Ester setzen im christlichen Kanon die Reihe fort.

Den Abschluß bilden die beiden Bücher der Makkabäer.



Das Fünfbuch des Mose





Das große Buch, das am Anfang der geschichtlichen Reihe steht und im Hebräischen "Tora" (= Gesetz, Weisung) heißt, stellt sich als breit ausladendes Sammelwerk dar, das die verschiedenartigsten literarischen Gebilde umfaßt und das vor allem in seinem Kern durch die Besonderheit auffällt, daß auf weite Strecken Gesetze und Erzählungen ineinander verflochten sind. Es trägt den Namen des Mose, aber sein Werdegang erstreckt sich über viele Jahrhunderte und findet erst nach der Babylonischen Gefangenschaft seinen Abschluß.



Wohl ist an einigen Stellen berichtet, wie Mose selbst Aufzeichnungen anfertigt (vgl. Ex 17, 14) und vor allem die Urkunde des Bundes mit einem Grundstock von Gesetzen schriftlich niederlegt (vgl. Ex 24, 4; Ex 34, 27) . Welchen Umfang diese "Schriften" aber haben, ist nicht gesagt und läßt sich nicht mehr feststellen. Von viel größerer Bedeutung jedoch ist die Tatsache, daß das "Gesetz des Mose" von Anfang an kein toter Buchstabe ist. Zusammen mit dem "Singen und Sagen" Israels von seiner Errettung am Schilfmeer als dem nie mehr verstummenden Lob der großen Heilstat Gottes begleitet die Bundesurkunde das Volk lebendig durch seine Geschichte und wird zum Kristallisationskern, der sich in stetem Wachstum immer weiter anreichert.



Dies geschieht nicht zuletzt in den gottesdienstlichen Feiern am Heiligtum. Dort erlebt das Volk stets von neuem die göttlichen Heilstaten der Vorzeit als lebendige Wirklichkeit und macht sie sich in der Vergegenwärtigung gläubigen Bekennens und Rühmens zu eigen.



Ebenso setzt sich Gottes Heilswirken an Israel auch im weiteren Ablauf seiner Geschichte fort. Dadurch treten die früheren Heilstaten von selbst in das Licht der folgenden, gewinnen von hierher neue Tiefe und Deutbarkeit und regen zu neuen Bezeugungen an.



Auf diese Weise bilden sich im Laufe der Zeit verschiedene Überlieferungsströme, die erst später ein gemeinsames Bett geleitet und miteinander verbunden werden. Schließlich faßt nach der Babylonischen Gefangenschaft ein von Gott Erleuchteter, den wir "End-Verfasser" nennen, das ganze durch Untergang und Zerstreuung hindurchgerettete Überlieferungsgut in prophetischem Geist zusammen und übergibt das so zum Abschluß gebrachte "Gesetz des Mose" der aus der Verbannung heimgekehrten Gemeinde Israels als kostbarstes Erbe der Vergangenheit, als Richtschnur des Lebens für die Gegenwart und als Angeld de Hoffnung für die Zukunft. In dieser Weise ist der Name des Mose in Verbindung mit dem Fünfbuch zu verstehen: In der Bundesurkunde, die mit seiner Person und mit seinem Werk unlöslich verknüpft ist, hat Israels besonderes Verhältnis zu Gott, dem HERRN des Heiles, seine stets gültige Mitte.



Trotz aller Vielfalt und Verschiedenheit der Stoffkreise und Motive, die in ihm zusammengefaßt und aufeinander bezogen sind, ist das Fünfbuch in seinen Grundzügen doch ein einigermaßen überschaubares Werk - vor allem deswegen, weil sein vielgestaltiger Inhalt in einen übergreifenden geschichtlichen Rahmen gestellt ist, der mit den Anfängen von Welt und Menschheit beginnt und mit dem Tode des Mose endet.



Später erst ist das umfangreiche Buch aus Gründen der Handlichkeit in fünf einzelne Teile (Rollen) zerlegt worden, die nach dem Vorgang der griechischen Bibelübersetzung (Septuaginta) die Bezeichnungen Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium erhalten haben.



Einführung in das erste Buch Mose: Genesis





Im Gesamtgefüge des Fünfbuches stellt das erste Buch der Bibel eine weitgespannte Einleitung dar zu jener Heilsbegegnung Gottes mit Israel, die sich in der Herausführung aus Ägypten und im Bundesschluß am Sinai ereignet. Dorthin ist alles bezogen, von dorther will alles verstanden sein.



Der Name "Genesis" (= Ursprung, Entstehung, Herkunft) weist darauf hin, daß dieses Buch von Ursprüngen berichtet und Entstehungsgeschichten erzählt.



Die wichtigste aller Entstehungsgeschichten ist für Israel die Geschichte seiner eigenen Herkunft aus der Erwählung seines Ahnherrn Abraham und aus der Verheißung, die von Gott her an ihn ergeht. Der innere Schwerpunkt des Buches liegt demnach dort, wo von diesem Ereignis die Rede ist (Gen 12, 1 - 9).



Dazu hinführend soll aber zunächst in den ersten elf Kapiteln (Gen 1, 1 - 11, 32), denen man meist die Bezeichnung "Urgeschichte" gibt - durch Aufnahme weitverbreiteter altorientalischer Motive und oft auch in Auseinandersetzung mit ihnen - ein Zweifaches dargestellt und bezeugt werden:



Einmal, daß der Gott, der den Abraham und in Abraham Israel erwählt (der HERR des Heiles also) der eine und einzige Gott ist, der Schöpfer der Welt und der Herr der ganzen Menschheit.



Dann aber auch, zweitens, wie es dazu kommt, daß Gott den Stammvater Israels erwählt, und was Gott mit dieser Berufung beabsichtigt.



Deshalb stellt der End-Verfasser an den Anfang des Buches zwei grundlegende Glaubenaussagen, die Israel allerdings erst in späterer Zeit aus der besonderen Art seines Bundesverhältnisses zu Gott erschlossen hat, die aber gleichwohl völlig verschieden geprägt sind.



Die erste Aussage (Gen 1, 1 bis Gen 2, 4a) hat die Gestalt eines zu hymnischer Form verdichteten Lehrstückes, in dem die Erschaffung von Himmel und Erde gekannt und gepriesen wird als die Urtat Gottes, aus der Welt und Menschheit ihren Ursprung haben. Mit besonderem Nachdruck ist betont, daß alles, was durch Gottes Machtwort ins Dasein tritt, "gut" ist, d.h. seinem Plan und Willen entspricht.



Die zweite Aussage (Gen 2, 4b bis Gen 3, 24) hat die Form einer bildhaft anschaulichen Erzählung. Durch sie soll einsichtig gemacht werden, daß das Böse in Welt und Leben nicht von Gott kommt, sondern vom Menschen verschuldet, ist, der sich zu Gottes Plan und willen in Widerspruch setzt. Deshalb trifft ihn Gottes Strafe.



In den folgenden Kapiteln der "Urgeschichte" (Gen 4, 1 bis Gen 11, 32) wird durch zielstrebiges Zusammenfügen und Ineinanderstellen einzelner alter Überlieferungsstücke in verkürzten, dafür aber um so eindrucksvolleren Linien ein weitgespannter Geschichtsverlauf gezeichnet. Es ist, vordergründig, die Geschichte des immer weiter um sich greifenden Bösen und - damit gleichlaufend - die Geschichte des immer größeren Unheils, das über Welt und Menschheit hereinbricht. In Wirklichkeit aber ist es die Geschichte des sich von Anfang an durch alle Strafen hindurch immer wieder erbarmenden Gottes, der dann schließlich mit der Erwählung Abrahams einen neuen Anfang des Heiles setzt. Dem Stammvater Israels verheißt Gott den Segen, der durch ihn und seine Nahekommen der ganzen Menschheit zuteil werden soll.

In der damit anhebenden ‘Geschichte der Patriarchen’ (Gen 12, 1 bis Gen 50, 26) wird dann durch andere, meist von der volkstümlichen Überlieferung Israels breit ausgesponnene Erzählungen das Heilshandeln Gottes sichbar gemacht, das, vom Bund mit Abraham ausgehend, das Buch Genesis und die übrigen Teile des Pentateuchs (= Fünfbuches) in der Spannung von Verheißung und Erfüllung durchläuft und Inhalt und Zielsetzung des ganzen alttestamentlichen Zeugnisses bestimmt.

Das Buch Genesis

Die Erschaffung des Weltalls

1 Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.123
2 Die Erde war wüst und öde. Finsternis lag über der abgrundtiefen Flut. Gottes Geist schwebte über den Wassern.4

Das Werk der Scheidung

Erstes Tagewerk

3 Da sprach Gott: "Es werde Licht!" Und es ward Licht.5
4 Und Gott sah das Licht: Es war gut. So schied Gott das Licht von der Finsternis.
5 Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Und es ward Abend und es ward Morgen: der erste Tag.

Zweites Tagewerk

6 Dann sprach Gott: "Es bilde sich ein Gewölbe inmitten der Wasser und sei Scheidewand zwischen Wassern und Wassern!"6
7 Und Gott schuf das Firmament und schied die Wasser unterhalb des Firmaments von denen oberhalb des Firmaments. - Und so ward es.
8 Das Firmament nannte Gott Himmel. Und es ward Abend und es ward Morgen: der zweite Tag.

Drittes Tagewerk

9 Dann sprach Gott: "Sammeln sollen sich die Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort, daß sichtbar werde das trockene Land." - Und so ward es.
10 Das trockene Land nannte Gott Erde, das zusammengeströmte Wasser nannte er Meer. Und Gott sah: Es war gut.
11 Dann sprach Gott: "Sprossen lasse die Erde grünende, samenhaltende Kräuter und fruchttragende Bäume, die Früchte bringen nach ihrer Art, Früchte, die in sich selbst ihren Samen tragen auf der Erde." - Und so ward es.
12 Die Erde brachte grünende, samentragende Kräuter aller Art und Bäume hervor, mit allerlei samenhaltenden Früchten. Und Gott sah: Es war gut.
13 Und es ward Abend und es ward Morgen: der dritte Tag.

Das Werk der Ausstattung

Viertes Tagewerk

14 Dann sprach Gott: "Lichter sollen am Firmament entstehen, um den Tag von der Nacht zu scheiden. Als Zeichen sollen sie dienen und Zeiten, Tage und Jahre anzeigen.78
15 Sie sollen leuchten am Himmelsgewölbe und Licht spenden der Erde!" - Und so ward es.
16 Gott schuf die beiden großen Leuchten; die größere, daß sie beherrsche den Tag, und die kleinere, zur Beherrschung der Nacht, dazu noch die Sterne.
17 Gott setzte sie an das Himmelsgewölbe, damit sie hinableuchten auf die Erde,
18 über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Und Gott sah: Es war gut.
19 Und es ward Abend und es ward Morgen: der vierte Tag.

Fünftes Tagewerk

20 Dann sprach Gott: "Wimmeln soll das Wasser von lebenden Wesen, und Vögel sollen vor dem Himmelsgewölbe über die Erde dahinfliegen!"
21 So schuf Gott die großen Seeungetüme und jedes lebende Wesen, das sich regt, von denen das Wasser wimmelt nach ihren Arten und geflügelten Vögel nach ihren Arten. Und Gott sah: Es war gut.
22 Gott segnete sie und sprach: "Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllt das Wasser im Meer. Und die Vögel mögen sich mehren auf der Erde!"
23 Und es ward Abend und es ward Morgen: der fünfte Tag.

Sechstes Tagewerk

24 Dann sprach Gott: "Die Erde bringe lebende Wesen aller Art hervor: Vieh, Gewürm und Wild des Feldes, jedes nach seiner Art!" Und so ward es.
25 So machte Gott das Wild des Feldes nach seiner Art, das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm, das auf dem Boden kriecht, nach seiner Art. Und Gott sah: Es war gut.
26 Dann sprach Gott: "Laßt uns den Menschen machen nach unserem Bild, uns ähnlich! Herrschen soll er über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über alles Wild des Feldes und über alles Gewürm, das am Boden kriecht!"910
27 So schuf Gott den Menschen nach seinem Bild. Als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er ihn.1112
28 Gott segnete sie und sprach zu ihnen: "Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllt die Erde. Macht sie euch untertan und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über jedes Lebewesen, das sich auf Erden regt!"
29 Und Gott sprach: "Seht, ich übergebe euch alle samentragenden Pflanzen auf der ganzen Erde und alle Bäume mit samenhaltenden Früchten; sie sollen euch zur Nahrung dienen.13
30 Und allem Wild des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was auf dem Boden kriecht und Lebensodem in sich hat, gebe ich alle grünen Kräuter zur Speise. - Und so ward es.
31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte und sah, es war sehr gut. Und es ward Abend und es ward Morgen: der sechste Tag.
1 Der heute noch gültige jüdische Kalender beginnt mit der Erschaffung der Welt im Jahre 3761 v.Chr. - >...schuf< - das entsprechende hebräische Wort (baráh) nimmt eine Sonderstellung ein. Im AT ist es ein Fachwort der theologischen Priestersprache, dessen ausschließliches Subjekt Gott ist. Es bedeutet in bestimmten Konjugationen immer eine göttliche Handlung. Von den Lexikographen wird es übersetzt mit »;schaffen, hervorbringen«; seine Grundbedeutung wird wohl einmal »;bauen« gewesen sein. In der Bedeutung »;schaffen, hervorbringen« wird es verwendet (im ganzen 47 mal - in dieser Übersetzung ist "baráh" manchmal nicht wörtlich übersetzt):

a) Bei der Erschaffung des Kosmos (= Himmel und Erde): Gen 1, 1;Gen 2, 3. 4;Jes 45, 18 (zwei mal); Ps 148, 5;

b) bei der Erschaffung der Erde: Jes 40, 28; Ps 89, 13;

c) bei der Erschaffung des Himmels: Jes 42, 5;

d) bei der Erschaffung des Menschen: Gen 1, 27 (drei mal); Gen 5, 1f (zwei mal); Gen 6, 7;Dtn 4, 32;Jes 45, 12;Jes 54, 16 (zwei mal, Gott hat den Schmied und den Verderber erschaffen); Ez 21, 35 (Ammoniter); Ez 28, 13. 15 (Fürst von Tyrus); Mal 2, 10; Ps 89, 48; Koh 12, 1;

e) bei der Erschaffung der Tiere: Gen 1, 21; Ps 104, 30 (von Jahwes dauerndem schöpferischem Walten lebt alle Kreatur);

f) bei der Erschaffung der Gestirne: Jes 40, 26;Amos 4, 13 (Wind als kosmische Gewalt);

g) bei der Neuschöpfung: Jes 4, 5 (Text unsicher); Jes 45, 8 (neue sittliche Weltordnung); Jes 65, 17f (zwei mal); Jer 31, 22 (Neuschöpfung als innere Umwendung);

h) Jahwe schafft Außergewöhnliches für sein Volk: Ex 34, 10; Num 16, 30 (mit >beliah< [Schöpfungstat] nur noch Sir 16, 16 [Konjektur]); Jes 41, 20;

i) Jahwe erschuf die Israeliten: Jes 43, 1. 7. 15; Ps 102, 19 (das zukünftige Volk);

j) Jahwe erschafft: Jes 45, 7 (Finsternis und Unheil); Jes 48, 7 (Erfüllung von Weissagungen); Jes 57, 19 (Tröstung); Ps 51, 12 (ein gereinigtes Herz).
2 ℘ Gen 2, 4;Joh 1, 1 - 3
3 Synopse: Gen 1, 1 - 31;Gen 2, 1 - 4 # Gen 2, 4 - 25 # Ijob 38;Ijob 39 # Ps 8;Ps 104;Ps 148;Spr 8, 22 - 31
4 >...wüst und öde< - hebr.: >tóhu wa bóhu<. >tóhu< - wörtlich: Nichts, das Wort wird auch z.B. Jes 40, 17;Jes 41, 29 verwendet. - "Gottes Geist" - Gestützt auf alte Traditionen, sehen viele Schrifterklärer hier einen Hinweis auf die göttliche Kraft, die das Chaos überwindet - obwohl im folgenden an keiner einzigen Stelle von einem Tätigwerden des Gottesgeistes die Rede ist. - Das hebräische Wort könnte aber auch: "Gottes Wind" übersetzt werden ("Gottes gewaltiger Sturmwind" zur Umschreibung der das Chaos zur Ordnung zwingenden Kraft Gottes?).
5 V. 3 - 5: Es steht nicht in Widerspruch zur erst später erzählten Erschaffung der Gestirne, wenn als erstes Werk die Erschaffung des Lichtes und die Trennung von Licht und Finsternis gesondert herausgestellt wird. Was hier nämlich gemeint ist, bezieht sich auf die Ermöglichung der Zeit, wie sie im Wechsel von Tag und Nacht am deutlichsten in Erscheinung tritt. (Nur hier steht deshalb auch die Aufeinanderfolge von Abend und Morgen zum erzählten Schöpfungswerk selbst in Beziehung. Bei den folgenden Schöpfungswerken ist diese Angabe eine bloß auf die Tageszählung bezogene Hinzufügung, durch die dann allerdings das Fortschreiben der Zeit eindrucksvoll betont ist.) - Das Zurufen der Namen (= benennen) soll - hier und später - die Herrschermacht des Schöpfers über das von ihm Geschaffene noch einmal klar herausstellen und gleichzeitig durch die darin eingeschlossene Bezeichnung der Dienstfunktion dessen Geschöpflichkeit deutlich hervorheben (vgl. die Anm. zu 2Kön 23, 34).
6 V. 6 - 8: Im zweiten Schöpfungswerk geht es um die zweite Grundordnung der Schöpfung, um den Raum. Erst in Zeit und Raum kann die Schöpfung sich entfalten und die Geschichte voranschreiten. - Nach dem alten Weltbild ist das Himmelsgewölbe eine feste Kuppel (hebräisch: das "Festgehämmerte", das "Firmament" - die Himmelsfeste). Über ihm befinden sich (gewissermaßen wie in einer Vorratskammer) die "oberen" Wasser, die jeweils als Regen oder Schnee, Tau, Reif oder Hagel durch entsprechende Öffnungen ("Schleusen des Himmels" - vgl. Ijob 37, 18; Ijob 38, 22 - 27; Gen 7, 11f.) zur Erde herabkommen. - Vom >oberen Wasser< trennt das Firmament das >untere Wasser<, das Grundwasser, den Ozean, in dem auf festen Säulen die Erde (Ps 75, 4;Spr 8, 29) gegründet ist.
7 V. 14 - 18: Hinter der umständlichen Redeweise steckt Absicht. Die Eigennamen der Himmelskörper sollen vermieden werden, weil es heidnische Götternamen sind (Gestirnkult!). Um so nachdrücklicher ist der nüchterne Dienst betont, den die Gestirne zu leisten haben: Sie sind nichts als Lampen und dienen zur Messung der Zeit.
8 ℘ Ps 136, 7 - 9
9 Die Mehrzahl "Laßt uns machen..." will besonders feierlich eine Selbstberatung Gottes ausdrücken. Damit soll das nun folgende Werk der Erschaffung des Menschen eindrucksvoll hervorgehoben werden (vgl. auch die "Wir-Rede" in Gen 11, 7.
10 ℘ Gen 2, 7;Ps 8, 6 - 9;Eph 4, 24;Kol 3, 9f
11 Die Würde und Stellung des Menschen im Ganzen der Schöpfung wird mit auffallendem Nachdruck hervorgehoben: Er ist "Gottes Abbild": Gottes Gegenüber, gleichwertig als Mann und Frau, befähigt, Gottes Partner zu sein, und befugt, in Gottes Auftrag und stellvertretend für ihn Gottes Herrschaftsrechte auf Erden auszuüben. (Der Vizekönig, der Machthaber einer Provinz, wurde im Perserreich als "Abbild des Großkönigs" bezeichnet.)
12 ℘ Gen 5, 1 - 3
13 ℘ Gen 9, 3