Röm 1

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Die Paulinischen Briefe

An der Spitze der Briefsammlung des Neuen Testaments stehen 14 Briefe, die den Namen des Apostels Paulus in der Anschrift tragen oder doch - wie der Brief an die Hebräer - einen Bezug zu Paulus aufweisen. Der Apostel bediente sich auch des Briefes, um auf Glaubensfragen zu antworten, Schwierigkeiten im Gemeindeleben zu lösen, seelsorgliche Anweisungen zu geben und die neubekehrten Christen zu ermahnen, zu trösten und zu stärken. Diese Briefe waren (abgesehen von den Schreiben an Philemon, Timotheus und Titus) dazu bestimmt, in der Gemeindeversammlung vorgelesen zu werden. Sie schenken uns wichtige Einblicke in das Denken des großen Apostels, auch seiner Mitarbeiter, und in das Leben wichtiger urchristlicher Gemeinden seines Missionsgebietes.

Manche Forscher nehmen heute an, dass einige Schreiben dieser Sammlung von Mitarbeitern und Schülern des Apostels verfasst wurden (s. die Einleitungen zu den Briefen an die Epheser und Kolosser, an Timotheus und Titus).

Wichtige Briefe des Apostels wurden schon früh gesammelt. Ein Hinweis auf eine solche Sammlung paulinischer Briefe findet sich bereits im Neuen Testament (2 Petr 3,15: »Das hat euch auch unser geliebter Bruder Paulus mit der ihm verliehenen Weisheit geschrieben; es steht in allen seinen Briefen, in denen er davon spricht. In ihnen ist manches schwer zu verstehen«).

Die heutige Sammlung von Paulusbriefen ist aber unvollständig, da eine Anzahl paulinischer Briefe verloren gegangen ist (vgl. 1 Kor 5,9; 2 Kor 2,3f und Kol 3,16f).

Die einzelnen Briefe dieser Schriftgruppe sind dem Umfang nach angeordnet, die umfangreichsten stehen an der Spitze. Der Hebräerbrief wurde an das Ende gestellt, da er nicht von Paulus selbst stammt, sein Verfasser aber deutlich von paulinischen Gedanken beeinflusst ist.

In der Briefsammlung unterscheidet man noch die Gruppe der Gefangenschaftsbriefe, die Hinweise darauf enthalten, dass Paulus bei deren Abfassung sich in Haft befand (so die Briefe an die Gemeinden in Ephesus, Philippi und Kolossä und an Philemon) - der Apostel befand sich mehrmals in Haft -, und die Briefe an Timotheus und Titus, die Pastoral-(Hirten-)Briefe genannt werden, da sie nicht an Gemeinden, sondern an Gemeindehirten (pastores) gerichtet sind und diesen seelsorgliche Anweisungen geben.

B+0Wann die christliche Gemeinde in Rom entstanden ist und wer sie gegründet hat, ist nicht bekannt. Der Brief an die Römer ist das früheste Zeugnis ihrer Existenz und Bedeutung. Paulus schreibt an die römische Gemeinde, kurz bevor er seine Reise nach Jerusalem antritt, bei der er die Kollekte der heidenchristlichen Gemeinden von Mazedonien und Griechenland überbringen will. (Röm 15,25-32; vgl. Apg 20,3 ff). Er trat diese Reise zwischen 56 und 58 n. Chr. an. Vermutlich ist der Brief während des vorangehenden dreimonatigen Aufenthalts in Griechenland geschrieben worden (Apg 20,2 f), und zwar in Korinth, dem Zentrum seiner Griechenlandmission.

Paulus hatte schon lange die Absicht, in die Hauptstadt Rom zu kommen, um die dortige Gemeinde zu besuchen (Röm 8,1-15). Nach der Tätigkeit im östlichen Teil des römischen Reichs will er in Spanien eine neue Missionsarbeit beginnen; hierfür erwartet er von der römischen Gemeinde Unterstützung (15,14-24).

Mit seinem Brief will er sich, auch weil über ihn mancherlei Nachrichten verbreitet waren, persönlich vorstellen. Er legt deshalb eingehend dar, wie er die Botschaft von Jesus Christus versteht und verkündigt. Der Römerbrief ist eine ausführliche Erklärung dessen, was das »Evangelium Jesu Christi« ist. Deswegen beginnt er mit einem auch römischen Christen vertrauten Bekenntnissatz (Röm 1,3b-4a) und entfaltet diesen mit Hilfe der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders (1,16f; 1,18 - 8,39). Er spricht zunächst vom Zorn Gottes über die Sünde der Menschen (1,18 - 3,20). Darauf folgen die zentralen Ausführungen über das rechtfertigende Handeln Gottes und den Glauben des Menschen (3,21 - 5,11). Diese Gedanken werden weiter entfaltet in einem Abschnitt über das neue Leben und die Hoffnung des Christen (5,12 - 8,39). Im Besonderen geht er dann auf die Frage nach der Rettung Israels ein (Kap. 9 - 11), was darauf schließen lässt, dass zur Gemeinde in Rom viele Judenchristen gehörten. Allerdings geht es dem Apostel auch immer wieder um das Heil für die Heiden. Wir müssen also mit einer gemischten Gemeinde rechnen. Im einzelnen kennt Paulus die Situation der römischen Gemeinde nicht genau; nur in dem ermahnenden Schlussteil (12,1 -15,13) behandelt er eine aktuelle Streitfrage (14,1 - 15,13). Kap. 16 ist ein Nachtrag mit einer Empfehlung, zahlreichen Grüßen und Ermahnungen sowie einem abschließenden Lobpreis (16,25-27).

Der Römerbrief stellt eine Zusammenfassung der Verkündigung und Theologie des Apostels dar. Man hat ihn daher das »Testament des Paulus« genannt. Wegen seines Umfangs wurde er später an den Anfang der Sammlung paulinischer Briefe gestellt.

Anschrift und Gruß: 1,1-7

1 Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkündigen, 12
2 das er durch seine Propheten im voraus verheißen hat in den heiligen Schriften:
3 das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, 34
4 der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten, das Evangelium von Jesus Christus, unserem Herrn. 56
5 Durch ihn haben wir Gnade und Apostelamt empfangen, um in seinem Namen alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen; 7
6 zu ihnen gehört auch ihr, die ihr von Jesus Christus berufen seid.
7 An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Dankgebet - Thema des Briefes: 1,8-17

8 Zunächst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird. 8
9 Denn Gott, den ich im Dienst des Evangeliums von seinem Sohn mit ganzem Herzen ehre, ist mein Zeuge: Unablässig denke ich an euch 9
10 in allen meinen Gebeten und bitte darum, es möge mir durch Gottes Willen endlich gelingen, zu euch zu kommen. 10
11 Denn ich sehne mich danach, euch zu sehen; ich möchte euch geistliche Gaben vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet, 1112
12 oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben.
13 Ihr sollt wissen, Brüder, dass ich mir schon oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, aber bis heute daran gehindert wurde; denn wie bei den anderen Heiden soll meine Arbeit auch bei euch Frucht bringen. 13
14 Griechen und Nichtgriechen, Gebildeten und Ungebildeten bin ich verpflichtet;
15 so liegt mir alles daran, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen. 14
16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen. 1516
17 Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart aus Glauben zum Glauben, wie es in der Schrift heißt: Der aus Glauben Gerechte wird leben. 1718

Die Rettung der Menschen: 1,18 - 8,39

Sünde und Verlorenheit: 1,18 - 3,20

Gottes Zorn über die Ungerechtigkeit der Menschen: 1,18-32

18 Der Zorn Gottes wird vom Himmel herab offenbart wider alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. 1920
19 Denn was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. 21
20 Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar. 22
21 Denn sie haben Gott erkannt, ihn aber nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt. Sie verfielen in ihrem Denken der Nichtigkeit und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. 23
22 Sie behaupteten, weise zu sein, und wurden zu Toren. 24
23 Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen und fliegende, vierfüßige und kriechende Tiere darstellen. 25
24 Darum lieferte Gott sie durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit aus, sodass sie ihren Leib durch ihr eigenes Tun entehrten.
25 Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beteten das Geschöpf an und verehrten es anstelle des Schöpfers - gepriesen ist er in Ewigkeit. Amen.
26 Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen;
27 ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung. 26
28 Und da sie sich weigerten, Gott anzuerkennen, lieferte Gott sie einem verworfenen Denken aus, sodass sie tun, was sich nicht gehört:
29 Sie sind voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord, Streit, List und Tücke, sie verleumden 27
30 und treiben üble Nachrede, sie hassen Gott, sind überheblich, hochmütig und prahlerisch, erfinderisch im Bösen und ungehorsam gegen die Eltern,
31 sie sind unverständig und haltlos, ohne Liebe und Erbarmen.
32 Sie erkennen, dass Gottes Rechtsordnung bestimmt: Wer so handelt, verdient den Tod. Trotzdem tun sie es nicht nur selber, sondern stimmen bereitwillig auch denen zu, die so handeln.

1 ℘ Gal 1,15; Apg 13,2; 26,16f
2 Über die Berufung des Paulus zum Apostel vgl. Gal 1,15f; 1 Kor 9,1; 15,8-10; Apg 9,1-22; 22,3-16; 26,4-18.
3 ℘ 9,5; 2 Tim 2,8
4 3f: Paulus zitiert in VV. 3b.4a einen urchristlichen Bekenntnissatz, der der Gemeinde von Rom offensichtlich bekannt war.
5 ℘ Apg 13,33; 1 Tim 3,16
6 seit, andere Übersetzungsmöglichkeit: aufgrund.
7 ℘ 15,15-19; Apg 9,15; Gal 2,7.9
8 ℘ 16,19; 1 Thess 1,8
9 ℘ Phil 1,8
10 ℘ 15,23; Apg 19,21
11 ℘ 1 Thess 2,17; 3,10
12 11f: Die zurückhaltende Aussage steht im Zusammenhang mit dem missionarischen Grundsatz des Paulus, der in Röm 15,19-22 und 2 Kor 10,15f erwähnt wird. Dennoch ist die Hauptstadt Rom für ihn von besonderer Bedeutung, weil sie das Zentrum der heidnischen Welt ist.
13 ℘ 15,22
14 ℘ Apg 28,30f
15 ℘ 1 Kor 1,18.24; 2,4
16 Die Vorrangstellung der Juden, die auch in 2,9f und in Kap. 9 - 11 hervorgehoben wird, beruht für Paulus darauf, dass für Israel die Verheißung Gottes nach wie vor gültig ist (vgl. 3,1f).
17 ℘ 3,21f; Hab 2,4; Gal 3,11; Hebr 10,38
18 Andere Übersetzungsmöglichkeit: Der Gerechte wird aus Glauben leben (d. h.: Der Gerechte wird aufgrund seines Glaubens das Leben haben); vgl. auch die Anmerkung zu Hab 2,4. - Zu «Gerechtigkeit Gottes» vgl. die Anmerkung zu 3,24-26.
19 ℘ 2,5.8f; Jes 66,15
20 18-2,11: Die «Ungerechtigkeit» der Menschen besteht in der Abkehr von ihrem Schöpfer. Alle Einzelsünden sind Folgen dieser Grundsünde, aus der sich die Menschen nicht selbst freimachen können.
21 ℘ Apg 14,17; 17,24-28
22 ℘ Weish 13,1-9; Sir 17,8f
23 ℘ Eph 4,17f
24 ℘ 1 Kor 1,19-21
25 ℘ Ps 106,20; Dtn 4,15-19; Weish 12,24
26 ℘ 1 Kor 6,9; Lev 18,22
27 ℘ Gal 5,19-21; 2 Tim 3,2-5