EinlAT

Zur Einführung in das Alte Testament

Das zentrale Zeugnis der Heiligen Schrift, der innerste Nerv ihrer Botschaft ist: Gott will das Heil des Menschen (1Tim 2, 3f)


Nach dem Vorgang der alten Übersetzungen ist die Bezeichnung HERR die im Deutschen übliche Wiedergabe des heiligen Gottesnamens JAHWE, von dessen Kundgabe an Mose die Bibel im Buche Exodus an einer Stelle von einzigartiger Dichte erzählt (vgl. Ex 3, 13 - 15).


Die Deutung, die der Gottesname dort erfährt, bleibt - über alle wissenschaftlichen Ableitungs- und Erklärungsversuche hinaus - maßgebend für seine Stellung und Bedeutung im biblischen Zeugnis. JAHWE will verstanden sein als der Da-Seiende, der für Israel Da-Seiende, der, obwohl er selbst im Geheimnis verbleibt, seinem Volke begegnet als Retter und Erlöser aus der Knechtschaft Ägyptens. So ist der Gottesname mit der Heilstat des Auszugs aus Ägypten und der Annahme Israels zum Gottesvolk unlöslich verbunden (vgl. Ex 6, 6f; Ex 20, 2). Wie Gott für Israel da-ist, so hat aber auch Israel für Gott da zu sein. Darum unterstellt sich das befreite Volk durch die Annahme des Gesetzes im Bund vom Sinai Gott als dem alleinigen HERRN (vgl. Ex 19, 4 - 8; Ex 24, 3).


Wie demnach im Gottesnamen Wesen und Inhalt des Gottesheiles und der Gottesherrschaft ausgesprochen sind, so stellt der JAHWE-Name auch den Inbegriff aller Verheißung für Israel dar; denn er zielt (aus seiner hebräischen Sprachform heraus) in die Zukunft: Gott ist der beständig für sein Volk Da-Seiende, auf den Israel vertrauen und dem es sich anvertrauen kann. Damit wird dieser Name zum Unterpfand der Treue Gottes, mit der er zu sich selbst steht, indem er seine Verheißung in die jeweils neuen Gegebenheiten der fortschreitenden Geschichte hinein erfüllt.


Von dieser Mitte her gesehen, ist die ganze Geschichte Gottes mit Israel (und das davon in der Bibel enthaltene Zeugnis) nichts anderes als die von Verheißung zu Erfüllung fortschreitende Entfaltung und immer wieder neu erfahrene Bestätigung des Gottesnamens JAHWE als des HERRN des Heiles:


Gott, der personhaft Eine und Einzige, in unbeschränkter Freiheit und Macht der Welt und dem Menschen Gegenüberstehende, offenbart sich in seiner Zugewandtheit zur Welt und zum Menschen, indem er Heil verheißt und Heil wirkt und so den Menschen zur Antwort gläubigen Vertrauens ruft und im Gehorsam an sich bindet.


Als HERR des Heiles ist Gott im Alten Bund dem Volke Israel vom Pascha-Geschehen des Auszugs an begegnet. Ihn hat Israel immer wieder, auch durch Gericht und Strafe hindurch, als Retter und Heilbringer erfahren, seine Heilstaten in dankbarem Bekenntnis gefeiert und sein Ja zur Bindung an ihn gesprochen.


Als HERR des Heiles hat Gott sich endgültig im Neuen Bund allen Menschen geoffenbart (vgl. Tit 2, 11; Tit 3, 4). In Christus, dem HERRN, zu dessen Kommen der Alte Bund vorbedeutend und vorbereitend hinführt, ist Gottes Heil personhaft erschienen als HEILAND (vgl. Lk 2, 11). Christus hat im neuen Pascha-Geschehen seines Todes und seiner Auferstehung das Heil für alle gewirkt. Für diese alles Bisherige überbietende und vollendende Heilstat legt das so "zu eigen erworbene Volk" (1Petr 2, 9) Zeugnis ab, indem es "die Ruhmestat" Gottes "verkündet" (1Petr 2, 9; Apg 2, 11) und das Ja seines Glaubens spricht im Bekenntnis: "Jesus Christus ist der HERR" (Phil 2, 11; Röm 10, 9) und: "In keinem anderen ist Heil" (Apg 4, 12).


Somit läßt sich der Untertitel dieser Auswahl auf die ganze Bibel beziehen, auf das Alte wie auf das Neue Testament; denn beide Teile der Heiligen Schrift bezeugen die eine Geschichte Gottes, des HERRN, der Heil wirkt und seine Herrschaft aufrichtet, erst für Israel, dann über Israel hinaus für die ganze Menschheit.


Wie aber beide Testamente vom Grundthema her eine Einheit bilden, so kommen sie auch darin überein, daß beide Gottes Wort enthalten, das sich jedoch jeweils widerspiegelt in menschlichem Wort und Zeugnis.


Dieses menschliche Wort und Zeugnis nimmt hier wie dort seinen Ausgang vom dankbar bekennenden "Rühmen" der Heilstaten Gottes (vgl. z.B. Ex 15, 1. 21; Apg 2, 11), woraus im Hinzu-Erzählen nach und nach (langsamer im Alten, schneller im Neuen Testament) die vielgestaltige eine Botschaft von Gottes Heil und Herrschaft erwächst, bestimmt, als Heilige Schrift alle Zeiten zu überdauern und jeden Menschen mit neuem Anspruch zu treffen. Gott selbst aber hat dieses Zeugnis gewollt und gewirkt, so daß es letztlich sein eigenes Wort und Zeugnis ist.


Die "Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung", die dieser Einführung in Auszügen vorangestellt ist, betont daher mit Nachdruck, daß "auf Grund apostolischen Glaubens die heilige Mutter Kirche die Bücher sowohl des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Gesamtheit und mit allen ihren Teilen deshalb als heilig und kanonisch betrachtet, weil sie unter Einwirkung des Heiligen Geistes geschrieben, Gott zum Urheber haben (11).


Wie nun auf Grund dieser Gegebenheiten (vom Thema und vom Urheber her) die Heilige Schrift seit alters "Bibel", d.h. das Buch schlechthin, heißt, so ist die ebenfalls schon früh als "Heilige Bibliothek" bezeichnet worden. Auch das mit Recht.


So wird nämlich der anderen Tatsache Rechnung getragen, daß Gott dieses Buch nicht gleichsam selbst in einem Zug niedergeschrieben, sondern daß er - wie die Konstitution mit gleicher Deutlichkeit sagt (11) - "zur Abfassung Menschen erwählt hat", die "ihre eigenen Fähigkeiten und Kräfte gebrauchten" und die deshalb "echte Verfasser" sind.


Darum kann es nicht wundernehmen, daß die Schriften, die in dieser "Bibliothek" im Verlauf von mehr als tausend Jahren gesammelt und zueinandergefügt worden sind, die ganze Breite und Vielfalt dessen aufweisen, was man gemeinhin als "Literatur" bezeichnet. Mit andern Worten: Die Heilige Schrift, insbesondere das Alte Testament, umfaßt eine fast unübersehbare Mannigfaltigkeit literarischer Formen und Gebilde. Es wäre daher in keiner Weise sachgemäß, ja hieße die Eigenart dieser Sammlung von Schriften schon im Ansatz verkennen, wollte man dort nur eine einzige Literaturform, etwa die der geschichtlichen Dokumentation, finden. Es entspricht vielmehr allen Gesetzen geistigen Wachstums und Reichtums und allen Erfordernissen seelischer Weite, daß sich in dieser "Bibliothek" neben nüchternen geschichtlichen Berichten, biographischen Mitteilungen und Sammlungen von Gesetzen und Vorschriften auch viel volkstümliches Überlieferungsgut findet, erbauliche Erzählungen und dichterisch veranschaulichte und vertiefte Darstellungen - alles jedoch eingebunden in große übergreifende geschichtstheologische Zusammenhänge und Linienführungen, bestimmt, unter je verschiedenen Gesichtspunkten und Zielsetzungen das eine große Thema zu bezeugen: Die Geschichte Gottes, des HERRN des Heiles, mit Israel, seinem zu eigen erwählten Volk. Hinzu kommen eigene Sammlungen von Liedern, von prophetischen Reden und von Dichtungen, in denen tiefste Fragen menschlicher Not und Bedrohung aufbrechen.


Außerdem ist, vor allem wieder für die Schriften des Alten Testamentes, nicht zu vergessen, daß es sich in dieser "Bibliothek" um Literaturwerke des Alten Orients handelt, die einer von der unseren vielfach verschiedenen Art zu denken und zu empfinden entstammen und die aus anderen Gegebenheiten der Umwelt und der Kultur erwachsen sind.


Alles das muß notwendig bedacht und beachtet sein, will man die Heilige Schrift gemäß der ihr eigenen göttlichen und menschlichen Tiefe und Weite verstehen und erklären. Die Konstitution umschreibt diesen Sachverhalt durch die schlichte aber weittragende Feststellung, daß "Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen und nach Menschenart gesprochen hat", und stellt anschließend wichtige Grundsätze zur Erschließung des wahren Schriftsinns auf, wobei grundlegend und jeder Erklärung vorangehend die genaue Bestimmung und Erfassung der "literarischen Gattung" der einzelnen Schriften und ihrer jeweiligen Teile gefordert ist. Auf diese Grundsätze sei hier ausdrücklich verwiesen (12)!


Wenn nun aber auch Altes und Neues Testament als aufeinander bezogene Offenbarungszeugnisse des einen Gottes zusammen das eine Buch (die "Bibel") - oder die eine "Bibliothek" - bilden, so soll damit doch ein gewisser Rangunterschied nicht geleugnet werden, der die beiden Testamente schon insofern voneinander abhebt und gegeneinander stellt, als die Heilstat Gottes durch Christus im neuen Bund uns Christen unmittelbar trifft, während die Heilstaten Gottes im Alten Bund vom Neuen her überholt sind und uns deshalb nur noch mittelbar anzugehen scheinen. Außerdem ist nicht zu verkennen, daß die Bücher der Alten Testamentes trotz der einzigartigen Größe und Erhabenheit ihres Inhaltes (und oft untrennbar damit vermischt) auch "Unvollkommenes und Zeitbedingtes" enthalten (s. Konst. 15). Vieles, was den christlichen Glauben hell und weit macht, ist in den Schriften des Alten Testamentes noch nicht zu finden. Vor allem liegt das Schicksal des Menschen nach dem Tode in rätselhaftem Dunkel. Damit ist verbunden die meist rein irdische Ausrichtung des Glückverlangens und der Frömmigkeit. Immer wieder brechen unverfälschte Naturlaute menschlicher Eigenliebe und Rachsucht durch. Gottes gerechte Vergeltung und das Problem des Leidens bleiben letztlich ungelöste Rätsel.


Doch Jesus Christus, unser HERR und Heiland, hat die Schriften des Alten Bundes nicht verworfen. Wohl hat er das Neue und Endgültige gebracht. Doch ist das alte Testament für ihn "die Schrift", in deren Gedanken er denkt, in deren Sprache er spricht und betet, die er immer wieder für sich in Anspruch nimmt und deren Anspruch an den Menschen er als unvergänglichen Anspruch Gottes immer wieder geltend macht (vgl. Mt 16, 17 - 19; Mt 19, 4 - 6; Lk 10, 26f. u.a.).


Deshalb ist auch, wie die Konstitution sagt, das Alte Testament "als ganzes in die Verkündigung des Evangeliums aufgenommen" (vgl. 16) und zusammen mit den Schriften des Neuen Testamentes die Heilige Schrift der Kirche geworden, weil nur im Zusammenklang beider Testamente Gottes letzte und endgültige Heilstat in ihrer ganzen Tiefe und Tragweite zu erfassen ist. Wie die Kirche aber das Alte Testament von Christus und den Aposteln ehrfürchtig übernommen hat, so hat sie es auch gegen alle Ablehnung und Geringschätzung verteidigt bis in unsere Tage. Die Konstitution spricht gerade dafür eine unüberhörbare Sprache.


Frühere Zeiten haben die Bibel als "Brief Gottes an die Menschheit" verstanden. Wir Menschen (und Christen) von heute sind leicht geneigt, zu meinen, wie könnten diese ebenso fromme wie schlicht-naive Auffassung nicht mehr teilen. Und doch könnte gerade dieses dritte Bild, das Bild vom "Brief", uns auf etwas aufmerksam machen, was in den beiden ersten Bildern ("Bibel"-Buch und "Bibliothek") noch nicht so klar zum Ausdruck gekommen ist und doch nicht zu kurz kommen darf.


Ein Brief steht nämlich im Unterschied zu anderen schriftlichen Äußerungen nicht bezugslos im Raume, sondern zielt auf gegenseitigen Austausch: Er hat einen Absender, von dem er geschrieben, und einen Empfänger (Adressaten), an den er gerichtet ist. Ihm eignet eine persönliche Note. Er ist Mit-Teilung, die Gemeinschaft bewirkt. Er beginnt ein Gespräch und lädt zur Antwort ein. Wissenschaftlich geprägte Redeweise steht einem Brief kaum an. Je unmittelbarer er die Umstände, unter denen er entstanden ist, wiedergibt und die Regungen in Geist und Herz des Absenders widerspiegelt, desto echter und ansprechender mutet er an und desto lieber ist er uns.


Trifft das alles nicht genau auf die Heilige Schrift zu? Sie ist von Gott an uns gerichtet. Wir sind persönlich von ihr angesprochen und zur Antwort gerufen. Sie ist voll von Leben und Lebendigkeit und spiegelt Gottes heilwirkende Zugewandtheit zur Welt und zum Menschen wider.


So gesehen, bleibt auch das Alte Testament kein bloßes Zeugnis der Vergangenheit, sondern ist bleibender persönlicher Anruf an uns, weil das, was Gott im Alten Bund mit Israel begonnen und durch Christus im Neuen Bund vollendet hat, in der Kirche immer noch dauert, weil es als Zeugnis von Gott, dem HERRN des Heiles, in die Zukunft weist und uns seiner Treue als des beständig auch für uns Da-Seienden gewiß macht.


Dieser bleibende Anruf aber wird vor allem erfahren durch die Verkündigung des Gotteswortes im Zusammenklang von Altem und Neuem Testament bei der Feier der Liturgie. Hier erhält er seine Antwort im dankenden Lobpreis der Gemeinde, die sich zu Christus, dem HERRN, bekennt und seine Heilstat als die Erfüllung aller Heilstaten an Israel erfährt. Hier weckt er immer neu die Bereitschaft des Glaubens sich zu binden an Gottes Willen und zu leben aus der Kraft seines Wortes.


Im einzelnen zählt das Schriftenverzeichnis der Kirche (Kanon) 45 Bücher des Alten Testamentes auf, die zu drei "Reihen" zusammengestellt sind:


Erste Reihe: 21 Geschichtsbücher

Zweite Reihe: 7 Lehrbücher

Dritte Reihe: 17 Prophetenbücher


Ende und Ziel des Alten Testamentes


Die Berichte von den Freiheitskämpfen der Makkabäer sind im ersten Buch, das nach ihnen benannt ist, - über die Taten und Erfolge des Judas und seiner Brüder Jonatan und Simon hinaus - bis zu Simons Sohn und Nachfolger Johannes Hyrkanus fortgeführt worden. In hohem Alter war Simon von seinem eigenen Schwiegersohn 134 v.Chr. aus Herrschsucht ermordet worden und sein Sohn Johanan (= Johannes Hyrkanus) war an seine Stelle als Fürst und Hoherpriester getreten (1Makk 16, 21 - 24). Damit hat der in den Büchern des Allen Testamentes gezeichnete Geschichtsverlauf sein Ende erreicht.


Obwohl die Art der Darstellung ganz von der religiös-begeisterten Sicht der beiden Verfasser bestimmt ist, ist doch - vor allem im ersten Makkabäerbuch - schon zu erkennen gewesen, daß aus dem ursprünglichen Glaubenskrieg nach und nach ein Kampf geworden ist, in dem es für die Makkabäer letztlich um die weltlich-politische Macht geht. Auf dieser Linie setzt sich - wie außerbiblischen Nachrichten zu entnehmen ist - die weitere Geschichte der neuen makkabäischen Herrscherdynastie fort. Schon Aristobul I., der Sohn des Johannes Hyrkanus, nimmt aus Ehrsucht den Königstitel an (104 v. Chr.). Das neue makkabäische Königtum ist freilich alles andere als die Wiederbelebung des alten davidischen. Der Rückhalt, den es im Volke hat, ist verhältnismäßig schwach; sein Ansehen schwankt und wird mit der Zeit immer geringer. Vor allem sind es die Thronstreitigkeilen und inneren Fehden, die immer rascher zum Verfall der einstigen Macht führen. Schließlich kommt es zum offenen Bruderkrieg, in dem beide Parteien zu ihrer Hilfe die Römer ins Land rufen.


Im Jahre 63 v. Chr. erobert der römische Feldherr Pompejus die Stadt Jerusalem. Er setzt den Makkabäer Hyrkanus II. als Hohenpriester ein, dem der ebenfalls von den Römern zum Prokurator ernannte Idumäer Antipater zur Seite sieht. Dessen Sohn Herodes gelingt es (40 v. Chr.), von den Römern durch Senatsbeschluß den Königstitel für sich selbst zu erhalten. Er besiegt den letzten Makkabäerfürsten Antigonus und erreicht dessen.Hinrichtung durch die Römer. Mariamne, die Enkelin des Hyrkanus II., nimmt er zur Gemahlin, läßt sie aber später aus Eifersucht ebenfalls umbringen.


Auch die innere Weiterentwicklung des jüdischen Volkes ist zwiespältig. Es bilden sich einzelne Gruppen und Parteien. Zwar hat die wichtigste Gruppe, die der Pharisäer (der Abgesonderten), die in dieser Zeit bisweilen auch politisches Gewicht gewinnt, einen berechtigten Ursprung. Sie entstammt dem geistigen Widerstand gegen die Bedrohung des Hellenismus. Ihre Mitglieder verstehen sich als Eiferer für das Gesetz, seine gewissenhafte Auslegung durch die Überlieferung der Alten und seine genaue Beobachtung. Zu ihren Anhängern zählen auch die meisten Schriftgelehrten. Trotz ihrer nicht zu leugnenden religiösen Ernsthaftigkeit und persönlichen Frömmigkeit entgehen sie jedoch nicht der Gefahr, in äußerem Formalismus zu erstarren und sich über das gemeine Volk erhaben zu dünken.


Im Gegensatz zu den Pharisäern steht die mehr weltliche und freiere, vorwiegend politisch ausgerichtete Partei der Sadduzäer. Sie sind weniger zahlreich, aber nicht minder einflußreich, da vor allem die führenden Priesterfamilien in ihren Reihen stehen.


Als weitere Gruppierung sind noch die sogenannten Essener zu erwähnen, die jedoch schon eher die Merkmale einer Sekte haben. Nach der Art eines Ordens organisiert, sind sie strenge Asketen, die den Kriegsdienst wie auch Handelsgeschäfte ablehnen und von der Handarbeit und vom Ackerbau leben. Den Tempelkult und vor allem die Tieropfer lehnen sie ebenfalls ab und beobachten strenge Reinheitsvorschriften mit besonderen Waschungen. Durch die Schriftrollenfunde am Toten Meer (Qumran) ist in neuerer Zeit unerwartetes Licht auf sie gefallen.


Gleichzeitig werden nun auch immer weitere Kreise des Volkes von oft überspannten messianischen Erwartungen erfaßt. Zeugnis dafür ist das damals entstandene außerbiblische Schrifttum der Apokalyptik, in dem das nahe Ende alles Bestehenden von einem unmittelbaren und wunderbaren Eingreifen von seiten Gottes erwartet wird. Andererseits nimmt jedoch das Bild des ersehnten Retters deutlich politische Züge an. Man erwartet einen Sohn Davids, der kommen wird, um Israel vom römischen Joch zu befreien und das frühere Davidsreich in seiner allen Herrlichkeit wiederherzustellen (vgl. hierzu auch Apg 1, 6).


Scheint so nicht der Weg, auf den Gott sein Volk berufen hat, in viele auseinanderstrebende Spuren zu verlaufen? Bereits aus der Art und Weise, mit der im ersten Makkabäerbuch mehrmals auf das Fehlen eines glaubwürdigen Propheten hingewiesen wird (vgl. 1Makk 4, 46;1Makk 9, 27;1Makk 11, 41), ist eine gewisse Ratlosigkeit zu spüren. Erst recht droht dann in der Folgezeit Gottes Heilsweg in Israels Geschichte zu versanden in der Unfruchtbarkeit spitzfindiger Gesetzesauslegung, in der Phantastik überheizter apokalyptischer Tagträume oder in der ungeistigen Enge rein nationalistischer Zielsetzungen. Wo soll da noch Platz sein für das große Heilsgut des Segens, der in Abraham, dem Stammvater Israels, allen Völkern verheißen ist?


Steht so nicht, ähnlich wie am Ende der "Urgeschichte" (vgl. die Anm. zu Gen 11, 10), auch am Ende der Geschichte des alttestamentlichen Israels eine bange Frage? Damals hat Gott die Antwort gegeben und mit der Berufung Abrahams den neuen Anfang gesetzt. Wird Gott nun abermals rufen? Und wenn er ruft -, wird er Glauben und Gehorsam finden?


Damals ist Abraham den Weg in die Zukunft Gottes gegangen. Doch auch in dieser Zeit lebt noch im einfachen Volk die kleine Gemeinde derer, die gläubig und vertrauend harren auf den "Trost Israels" (vgl. Lk 2, 25. 28). Bei ihnen ist das gute Erdreich zu finden, in das der Same des Wortes Gottes sinken und in dem es Wurzeln schlagen und Frucht bringen wird. Es sind die Gestalten der Demütigen und Kleinen, wie sie uns in der Kindheitsgeschichte des Lukas begegnen: Zacharias und Elisabet, Simeon und Hanna, der Zimmermann Josef und der Täufer Johannes - vor allem, aber Maria, die Jungfrau, die Gottes Anruf vernimmt und sich ihm beugt, wie sich Abraham einst ihm gebeugt hat.


Die Schriften des Neuen Testamentes bezeugen es: Das Alte Testament ist am Ende, aber gleichzeitig ist es am Ziel. Der Weg, den Gott mit Israel gegangen, ist kein Irrweg gewesen. Das Wort, das Gott zu Israel gesprochen hat, ist nicht vergeblich ergangen. Ein reiches Erbe ist eingebracht als Zeugnis dafür, daß Gott der HERR des Heiles, so wie er Israel errettet hat, nunmehr alle rettet, die ihm vertrauen. "Nachdem Gott viele Male und auf vielfältige Weise vormals zu den Vätern gesprochen hat durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns gesprochen durch seinen Sohn, den er zum Erben über alles gesetzt hat" (Hebr 1, 1f.).


Der neue Anfang ist Jesus Christus. Er ist der "glaubwürdige Prophet", der kommt, um die Ratlosigkeit zu beenden. Er spricht nicht nur das Wort des Heiles, er selbst ist das Heil, der HEILAND.


Doch die große Mehrheit Israels versagt ihm den Glauben. Er kommt ja nicht, das Alte wiederherzustellen, sondern das endgültig Neue zu bringen. Er gerät in unversöhnlichen Gegensatz zu den Parteien, zu den Sadduzäern, vor allem aber zu den Pharisäern. Er füllt den "neuen Wein", den er bringt, nicht mehr in die "alten Schläuche", er setzt keinen "neuen Flicken" mehr auf das "alte Kleid" (vgl. Mt 9, 16f).


Zwar kommt das Heil, wie verheißen, von den Juden (vgl. Joh 4, 22f), aber es kommt nicht für die Juden allein, sondern für alle Menschen. Die Absonderung ist überholt. Jesus Christus "reißt die trennende Scheidewand nieder" (Eph 2, 14). In ihm werden alle, die wie Abraham in gläubigem Gehorsam Gottes Wort annehmen und es befolgen, Kinder Abrahams und Erben seines Segens (vgl. Gal 3, 29;Röm 4, 16).


Ausdrücklich blickt der Anfang der Frohbotschaft des Neuen Testamentes auf den geschichtlichen HeiIsweg des Alten Bundes zurück, wenn das Evangelium nach Matthäus also beginnt: "Stammbuch der Ahnenreihe Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams..." (Mt 1, 1).


Jesus Christus bringt das letzte große Heilsgut der Verheißung an Abraham (vgl. Lk 1, 54. 72f.). Er erfüllt und vollendet den alten Heilsbund mit Israel, indem er den neuen Heilsbund seines Segens stiftet für alle, die an ihn glauben.