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EINLEITUNG IN DAS NEUE TESTAMENT

A - Neuer Bund

Die folgenden 27 Schriften geben Zeugnis von dem Neuen Bund, den Gott in Jesus Christus endgültig mit der ganzen Menschheit geschlossen hat, und ergänzen damit die Bücher des Alten Testamentes, die von dem vorbereitenden Bund Gottes nur mit dem Volk Israel berichten. Bund, lateinisch testamentum, ist eine Übersetzung des griechischen diatheke = letztwillige Anordnung, was zwar die souveräne Verfügung Gottes andeutet, auch in etwa ihre Endgültigkeit, aber weniger die beidseitig nicht aufkündbare Partnerschaft, die das hebräische berith (= Bund) meint (s. zu Mk 14,24 A).


B - Kanon

Das Neue Testament, als Buchname verstanden, enthält nur die kanonischen Schriften (griechisch kanon = Richtholz, Lineal, dann Regel, Liste, Verzeichnis), das sind jene, die von der Kirche im Laufe der Zeit als echter Niederschlag des Glaubens der apostolischen Urkirche erkannt worden sind, also als solche, die Christi Botschaft unverfälscht wiedergeben und daher letztverbindliche Glaubensquelle sind. Das erste kirchliche Verzeichnis des Neuen Testamentes ist der sogenannte Kanon Muratori aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts, der alle heutigen Schriften bis auf fünf Apostelbriefe enthält. Der erste vollständige Kanon liegt von Athanasios von Alexandrien aus dem Jahre 367 n. Chr. vor. Endgültig kanonisiert wurden die neu- und alttestamentlichen Schriften auf dem Konzil von Trient 1546.


C - Entstehungszeit

Die Reihenfolge der neutestamentlichen Bücher ist nicht die ihrer Entstehung. Die Ordnung wäre sonst etwa folgende: Zuerst die Paulusbriefe -. 1/2 Thess (51/52 u. Chr.), Gal (54/55), 1/2 Kor (56/57), Röm (57/58), Phlm, Eph, Kol, Phil (61/63); dann vielleicht der Jakobusbrief (45/62) und der 1. Petrusbrief (um 64?); nun wohl die synoptischen (griechisch syn-optein = zusammenschauen, vergleichen), voneinander abhängigen und daher vergleichbaren Evangelien des Markus (64/70), Matthäus (nach 70) und Lukas (70/80) mit der Apostelgeschichte (um 80?); - die Pastoralbriefe 1Tim, Tit, 2Tim sind zeitlich schwer festzulegen -; dann der Judasbrief (70/80), der 2.Petrusbrief (um 80?), der Hebräerbrief (um 80?), zuletzt wohl das Johannesevangelium, die Johannesbriefe 1-3 (90/95) und die Offenbarung (94/95).


D - Abschriften

Die Urschriften des Neuen Testamentes wurden zwischen 50 und 100 n. Chr. auf wenig haltbaren Papyrus geschrieben und gingen verloren. Doch sind zahlreiche Abschriften auf Pergament erhalten, die ältesten aus dem 4.Jhd.. Neuerdings sind in Ägypten noch ältere Papyri (aus dem 2. und 3.Jhd.) gefunden worden, die Bruchstücke des Neuen Testamentes enthalten. Schon seit dem Ende des 1.Jhds wird die Existenz neutestamentlicher Schriften durch Zitate in anderen Briefen und Büchern bezeugt.


E - Einteilung

Die heutige Einteilung des Textes in Kapitel stammt wahrscheinlich von dem Kanzler der Pariser Universität Stephan Langton (1228), die nicht immer sinngemäße Verszählung von dem Pariser Buchhändler Robert Estienne aus dem Jahre 1551.


F - Tradition und Schrift

Daß wir das Neue (und Alte) Testament haben, ist kein Zufall der Heilsgeschichte, sondern eine der gottgewollten Verleiblichungen seiner Offenbarung. Da Gott seine Heilstaten für alle Menschen vollbracht hat und will, daß alle davon erfahren, andererseits aber Gott gerade als geschichtlich Handelnder, als Mensch-Gewordener seine bestimmte Raum-Zeit-Stelle eingenommen hat und somit selbst nicht für alle Zeiten leibhaftig sichtbar gegenwärtig ist, hat er nicht nur eine Gemeinde gegründet, die, von seinem Geist erfüllt, von Geschlecht zu Geschlecht seine Offenbarungen weitergibt (überliefert, lateinisch tradere, daher Tradition), sondern hat auch dafür gesorgt, daß sich diese Gemeinde zur Erhaltung ihrer Überlieferung jenes Mittels bedient, das einer Kulturmenschheit, die bereits schreiben kann, zur Verfügung steht: der Schrift. Insofern das Neue Testament der schriftliche Niederschlag der mündlichen apostolischen Tradition ist, und insofern das Neue Testament immer ein Buch der nachapostolischen Kirche bleibt und von ihr als Glaubensquelle bewahrt, bestätigt und ausgelegt wird, ist die Tradition der Schrift vorgeordnet; insofern aber die neutestamentliche Offenbarung mit Christus und seinen Zeugen, den Aposteln, abgeschlossen ist und das Glaubensbewußtsein der Urkirche und sein schriftlicher Niederschlag, das Neue Testament, somit für alle Zeit Norm und Quelle der kirchlichen Tradition bleibt, ist die Schrift der Tradition vorgeordnet, nämlich in dem Sinne, wie die apostolische Tradition der nachapostolischen Tradition vorausgeht, und so bindend, wie eben das Entsprungene an seinen Ursprung gebunden ist. Diese Treue der Kirche zur Schrift und damit zur Offenbarung Christi ist der Kirche durch gnadenvolle Einwohnung des Heiligen Geistes garantiert, der will, daß die Großtaten der Selbstmitteilung Gottes an die Welt dieser bis ans Ende der Zeiten durch die Kirche unverfälscht bezeugt werden.


G - Inspiration

Weil die Bücher des Alten und Neuen Testamentes zusammengenommen als Fixierung der endgültigen Offenbarung die Norm und Quelle der kirchlichen Verkündigung sein sollen, müssen sie, soll Gott sich nicht selbst widersprechen, auch von ihm garantiert in Wahrheit seine Offenbarung enthalten. Da der Mensch aber von sich aus auch besten Willens den Irrtum nicht ausschließen noch von sich aus die Vollständigkeit der göttlichen Offenbarung gewährleisten kann, ist die Kirche überzeugt, daß die Verfasser der Heiligen Schriften unter einem besonderen Einfluß Gottes gestanden haben, so daß Gott »Urheber« dieser Schriften ist, ohne daß die literarische Urheberschaft der Verfasser aufgehoben wurde. Die sogenannte Inspiration (von lateinisch inspirare = einhauchen, eingeben) der Heiligen Schrift bewirkte deren Abfassung, Irrtumslosigkeit und Vollständigkeit in dem Sinne, daß alle Bücher zusammengenommen, indem sie einander ergänzen und "korrigieren", Gottes für alle Zeit wirksames und normatives Wort enthalten. Irrtumslos sind demnach alle Teile der Schrift und alle ihre Aussagen (nicht nur jene der Glaubens- und Sittenlehre), aber nur in dem Sinne, den das Ganze dem Teil verleiht.


H - Interpretationsregeln

Um diesen Sinn festzustellen, muß man die stilistische Eigenart der verschiedenen biblischen Bücher beachten (Prosa, Poesie, Predigt, Gebet, Erzählung, Sprüche, Lieder, Traditionsstück, Redaktionsbemerkung), ferner die Abhängigkeit ihrer Autoren vom zeit- und kulturbedingten Weltbild, auch die Situation, in die hinein der Verfasser schreibt (»Sitz im Leben«), und die Randunschärfe, die bei jedem berichteten Ereignis eintritt (beispielsweise unterscheiden sich die Berichte über Jesu Wirken in nebensächlichen Einzelheiten, kommen aber in allem Wesentlichen überein); es müssen ferner unterschieden werden der Aussageinhalt von der Aussageweise, die eigene Aussage von der bloßen Berichterstattung anderer Meinungen und zeitgenössischer Ansichten; man muß sich auch darüber klar sein, daß zwei Aussagen dennoch im Inhalt übereinstimmen können, wenn sie in der Formulierung widersprüchlich erscheinen, ferner daß die Schriften sich gegenseitig ergänzen sollen und so das Wissen eines Verfassers durch das Nichtwissen des anderen nicht aufgehoben, sondern dadurch gerade ihre gegenseitige Bezogenheit deutlich wird. Diese Interpretationsregeln sollen im Folgenden noch weiter ausgeführt werden, damit sie uns zu der Überzeugung des Klemens von Rom (+ um 100 n. Chr.) verhelfen, der als römischer Bischof an die Korinther schrieb: »Die heiligen Schriften, die wahren, die vom Heiligen Geist eingegebenen, habt ihr genau durchforscht. Ihr wißt, daß nichts Unrechtes und Verkehrtes in denselben geschrieben steht.« Siehe auch die Einleitung zu Joh A!


I - Verkündigung

»Die Heiligen Schriften genau durchforschen« heißt zuerst, folgende Frage stellen: Welches Anliegen hatten die Verfasser? Wollten sie einen Unterhaltungsroman, ein Geschichtswerk, eine Lebensbeschreibung verfassen? - Für alle Autoren des Neuen Testamentes gilt: Sie haben nur ein Thema: Jesus von Nazaret in Palästina, von dem sie überzeugt sind, daß er Gott, genauer: Gottes Sohn ist. Und sie haben nur ein Ziel: Sie wollen diese ihre Überzeugung weitergeben, verkünden, ihr Kerygma (s. zu Mt 10,26-27 B) in aller Welt verbreiten, und sie tun es auf die verschiedenste Weise: sei es, daß sie wichtige Worte und Szenen aus seinem Leben und dem Leben seiner Gemeinde, in der sie ihn geheimnisvoll gegenwärtig wissen, schildern; sei es, daß sie Folgerungen aus seiner Lehre und seinem Leben ziehen und niederschreiben, also eine erste Theologie; sei es schließlich, daß sie in seinem Namen denen, die zu ihm gehören wollen, Richtlinien geben, praktische Anweisungen. Was wir im Neuen Testament finden, sind demnach schriftliche Dokumente dessen, was die ersten Anhänger Jesu, die ersten Christen, von Jesus für wissenswert hielten, was sie über ihn gepredigt und auf sein Geheiß hin getan haben. Wir haben darum in diesen Schriften ebensowenig (und ebensoviel!) schöne Literatur, Geschichte und Biographie zu suchen, als wir sie erwarten, wenn wir unter der Kanzel sitzen und eine gute Predigt hören wollen. Wir erwarten dann keine Vorlesung über die Geschichte Palästinas zur Zeit des Herodes und keine Untersuchung darüber, ob Jesus mittelgroß gewesen ist, sondern nur Dinge, die unser Heil betreffen: wie sich Gott in der Geschichte offenbart hat und wo wir ihn für uns heute finden können. Genau das, nicht mehr und nicht weniger, haben die Schriftsteller des Neuen Testamentes festhalten wollen - unseretwegen.


J - Bilder

Zu achten ist ferner auf die zeitbedingte Weise dieser Verkündigung. Jesus und fast alle Autoren des Neuen Testamentes sind Orientalen, Morgenländer. Sie empfanden, dachten und redeten auf ihre Weise. Wo wir »Guten Tag!« sagen, sprudelt der Morgenländer eine Reihe von Begrüßungsformeln hervor, die im einzelnen nicht wörtlich zu nehmen sind (»Wie habe ich nach dir geweint!«), sondern nur eines ausdrücken: Sei gegrüßt! Wo wir einen Gedanken in abstrakte Begriffe fassen und logisch darlegen, jede Wiederholung; vermeidend, da redet der Orientale in Bildern, und je mehr er für ein und dieselbe Sache findet, um so besser. Seine Rede ist voller Anspielungen, Vergleiche, Metaphern, Gleichnisse, Allegorien, Wiederholungen, und wir Abendländer müssen es erst lernen, den gemeinten Sinn in den Bildern zu entdecken (s. zu Mt 13,24 A).


K - Altes Testament

Fast alle Autoren des Neuen Testamentes sind nicht nur Morgenländer, sondern darüberhinaus Hebräer, Israeliten, Juden, und zwar gläubige: sie leben aus der Offenbarung des Alten Testamentes, die ihrem Volk zuteil geworden ist. Was die Propheten verheißen, hat sich in Jesus erfüllt: das bezeugt er von sich selbst, und so haben ihn die Schriftsteller des Neuen Testamentes gesehen. Ihre Bücher versteht nur, wer sie vom Alten Testament her versteht.


L - Umwelt

Um einen Autor besser zu begreifen, muß man zugleich bedenken, daß er seine Gestalten auf dem wirtschaftlichen, sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Hintergrund ihrer Umwelt darstellt. Viele derartige Anspielungen in den Büchern des Neuen Testamentes bleiben uns unverständlich, wenn wir uns nicht noch aus anderen Quellen ein Bild machen von dem Palästina zur Zeit Jesu, von dem römischen Weltreich unter Kaiser Augustus und Tiberius, von der hellenistischen Kultur eines Philon oder Plutarch.


M - Quellen

Es ist bei einem Autor ferner nach seinen Quellen zu fragen, ob sein Werk unter allen Rücksichten eigener Erfahrung, Anschauung und Einsicht zu verdanken ist, eigener Kraft der Darstellung, oder ob ihm andere berichtet, ob er bereits verfaßte Schriften eingearbeitet hat. Tatsächlich können wir bei den neutestamentlichen Schriften alte mündliche Traditionen von ihrer Einkleidung durch den letzten Autor, liturgische Texte, Gebete, Hymnen, sakramentale Formeln von theologischen Bemerkungen des Schriftstellers, sicher überlieferte Worte Jesu von Ergänzungen des Chronisten, tagebuchartige Eintragungen von Privatbriefen, Archivdokumente und Zitate von pietistischen Ausschmückungen des Schreibers unterscheiden. Alles will als eigene literarische Ausdrucksform verstanden und gewertet sein.


N - Autor

Wer die Wahrheit, die ein Autor niederschreibt, möglichst rein erfassen will, muß den Schriftsteller selbst ins Auge fassen. Auch die Autoren des Neuen Testamentes waren Männer verschiedenen Charakters und unterschiedlicher Begabung, verschiedener Herkunft und Erfahrung. Wenn sie alle auch nur einen verkündigen: den Gottmenschen Jesus von Nazareth - ein jeder sieht ihn auf seine Weise. Dem einen entspricht mehr dieser, dem anderen mehr jener Zug der Persönlichkeit Jesu; der eine erzählt lieber Geschichten, der andere macht sich gern Gedanken; dem einen liegt dies am Herzen, dem anderen jenes. Aus alldem ergibt sich für uns sowohl eine Verschiedenheit der Bücher des Neuen Testamentes als auch die Notwendigkeit, alle ohne Ausnahme ernstzunehmen: denn nur wer aus vielen Blickrichtungen die Gestalt Jesu sehen lernt, vermag einiges von ihr zu erfassen.


O - Situation

Wenn es wahr ist, daß die neutestamentlichen Schriften Niederschlag der urchristlichen Predigt sind, dann ergeben sich manche Eigenarten und Akzente der einzelnen Bücher auch daraus, daß ihre Texte einem bestimmten Hörer- und Leserkreis in einer bestimmten Situation zugedacht waren: einmal Judenchristen, dann Heiden, hier Griechen, da Römern, heute Verfolgten, morgen einer vom Lebensstandard bedrohten Gemeinde. Das will beachtet sein.


P - Parallelen

Eine weitere Regel, das Buch eines Autors, seine Äußerungen zu einem Thema richtig zu werten, oder die Berichte mehrerer Autoren zu derselben Sache richtig zu erfassen: Da die Berichte über Jesu Leben und Lehre vermutlich mehrere Jahrzehnte mündlich überliefert worden sind und dazu noch in so verschieden geprägten Gemeinden wie etwa zu Jerusalem, Antiochia in Syrien und Rom, so unterscheiden sich die später dort schriftlich niedergelegten Dokumente in vielen nebensächlichen Einzelheiten und Umständen des Lebens Jesu. Auffallenderweise aber kommen sie in allem Wesentlichen der Jesusgestalt überein. Um dieses Wesentliche zu erfassen, gilt: Ich muß suchen, ob es noch andere Schriften zu dem jeweiligen Thema gibt. Wenn ja, dann muß ich alle Aussagen zur gleichen Sache berücksichtigen,vergleichen, damit sie sich notfalls gegenseitig ergänzen und berichtigen. Denn nicht jede Formulierung ist auf Anhieb so eindeutig gelungen, wie sie der Verfasser beabsichtigte; vielleicht ist dieses oder jenes im Affekt geschrieben, zornig oder zu begeistert von einer Sache. Die Schriften des Neuen Testamentes haben den großen Vorzug, daß sie alle das gleiche Thema behandeln und doch von so verschiedenen Autoren herrühren. Wenn wir also einen Text, bevor wir aus ihm kurzschlüssige Folgerungen ziehen, mit seinen Parallelen (im Kommentarband im Text oder am Rand vermerkt) vergleichen, werden wir nicht nur vor allzu schwierigen gedanklichen Problemen und falschen Praktiken bewahrt, sondern das Wort Gottes erreicht uns dann immer mehr in jener Klarheit, als hörten wir Jesus selbst.


Q - Verbindlichkeit

Wie steht es nun aber mit der Verbindlichkeit der so unterschiedlichen Texte im Neuen Testament? Sie liegen doch offenbar nicht alle auf der gleichen Ebene. Hat ein Wort Jesu, das alle Evangelisten übereinstimmend mitteilen, größere Autorität als jene Worte, die Johannes als Reden Jesu vorlegt? Verpflichtet uns ein Brief des heiligen Paulus weniger als die Bergpredigt Jesu? Die Antwort kann nach dem, was wir bereits über den Charakter der Heiligen Schrift gesagt haben, nur heißen: Nicht nur das, was wir als ureigenstes Wort Jesu entdecken, nicht nur, was er getan und erlebt hat, ist Gottes Wort an uns, sondern jedes Wort und jede Tat und jedes Ereignis, von dem die apostolische Kirche in ihren Schriften, dem Neuen Testament nämlich, Zeugnis ablegt. Hat doch Jesus den Aposteln die Vollmacht gegeben, in seinem Namen Kirche begründend und bindend für alle Zeiten das in Jesus geschehene und weiterhin gegenwärtige Heil zu verkünden, und hat Jesus doch garantiert, daß er als der erhöhte Christus nicht nur Herr der Weit, sondern in bevorzugter Weise der in der Kirche fortlebende und fortwirkende Herr sein werde, so daß ihr Apostolat das seine, ihre Verkündigung seine Verkündigung ist und bleibt bis zur Ankunft dieser Welt im »Himmel«, bis wir Gott schauen und seinen Gesalbten, unseren Christus.






Einleitung in das Neue Testament

von P. Konstantin Rösch


1. “Vielmals und auf vielerlei Weise hat Gott vor Zeiten durch die Propheten zu den Vätern gesprochen; am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben über das All eingesetzt, durch den er auch die Welten erschaffen hat.” (Hebr 1, 1f.). Nach diesem Apostelwort ist der eine Gott der Urheber der Offenbarung des Alten und des Neuen Bundes. Auf Eingebung des einen Heiligen Geistes haben “die Heiligen beider Bünde” gesprochen.

Die göttliche Offenbarung und Heilsgeschichte vor Jesus Christus, dem eingeborenen Sohn Gottes, ist in den 45 Schriften des Alten Testamentes und in der Überlieferung des alten Gottesvolkes, Israels, niedergelegt. - Für Jesus war die Sammlung der Schriften von Mose und den Propheten die “Heilige Schrift”.

Die Fülle der übernatürlichen Offenbarung wurde uns durch den göttlichen Mittler des Neuen Bundes, unseren Herrn Jesus Christus, und durch seine Apostel zuteil. Sie ist in den 27 Schriften des Neuen Testamentes und in der apostolisch-kirchlichen Überlieferung enthalten. Die heiligen Bücher allein umfassen nicht die ganze Offenbarung, die Gott uns durch Jesus Christus geschenkt hat (Joh 1, 17).


2. Jesus hat seinen Aposteln die Sendung und den Auftrag erteilt, sein Evangelium, die Frohbotschaft von der neuen Heilsordnung, allen Geschöpfen zu predigen (Mk 16, 15). Diese “ursprünglichen Augenzeugen und Diener des Wortes Gottes” (Lk 1, 2) haben zunächst nur mündlich verkündet und überliefert, was sie “vom Herrn empfangen” haben. Als aber die Kirche sich mehr und mehr ausbreitete, bot sich für die Apostel und ihre Mitarbeiter mancher Anlaß, auch “einen Bericht über die Begebenheiten abzufassen, die sich unter ihnen zugetragen hatten” (Lk 1, 1), z.B. auf Anfragen ihrer Gemeinden zu antworten (vgl. 1Kor 7, 1), wenn sie selbst abwesend waren, auftretenden Schwierigkeiten abzuhelfen, oder dem ausdrücklichen Auftrag Gottes zum Schreiben zu entsprechen (Offb 1, 11). So entstanden nach und nach die Schriften des Neuen Testamentes: die vier Evangelien und die Apostelgeschichte, die 14 Briefe des Apostels Paulus und die 7 sog. Katholischen Briefe anderer Apostel sowie die Offenbarung des Johannes. Die Kirche mit ihrer Überlieferung und mündlichen Lehrverkündigung war also zuerst da - die Heilige Schrift des Neuen Bundes, die Bibel, ist das Zweite“ - sie ist in der Kirche unter der Führung des Heiligen Geistes entstanden. Die alte Kirche hat sich bei der Begründung ihrer Lehre auch nie auf die Heilige Schrift allein, sondern auf ihre apostolische Überlieferung berufen; wichtige Teile von ihr sind in der Schrift formuliert, die Schrift aber ist nur im Licht der ganzen Überlieferung richtig zu verstehen.


3. Nach der Lehre sowohl des Alten wie auch des Neuen Bundes sind die heiligen Bücher nicht durch rein menschliches Bemühen entstanden. Sie sind vielmehr auf Eingebung des Heiligen Geistes (Inspiration) geschrieben und haben darum Gott zum Erst-Urheber und sind als geschriebenes Gotteswort der Kirche anvertraut worden. Dies ist allen Büchern der Heiligen Schrift gemeinsam, so verschieden sie nach Anlaß, Zweck und Inhalt auch sind. Der Heilige Geist hat demnach Menschen zum Schreiben angeregt und bestimmt, hat ihnen beim Schreiben beigestanden, damit sie all das, aber auch nur das, was er ihnen gebot, in ihrem Geist richtig erfaßten, getreu niederschrieben und in unfehlbarer Wahrheit ausdrückten. Die heiligen Schriftsteller waren lebendige Werkzeuge in der Hand es Heiligen Geistes, der aber ihre persönliche Eigenart nicht unterdrückt hat. So offenbart sich in jedem der heiligen Bücher nicht nur der göttliche Urheber, sondern auch der menschliche Verfasser.

Weil Gott, die höchste, unfehlbare Wahrheit, der eigentliche Urheber der Heiligen Schrift ist, kann sie auch keinen Irrtum und keinen Widerspruch enthalten, kann sie der kirchlichen Überlieferung, die ja aus der gleichen Quelle göttlicher Wahrheitsfülle fließt, nicht widerstreiten, kann sie auch zu sicheren Ergebnissen menschlicher Erkenntnis keinen Gegensatz bilden. Der eine wahrhaftige Gott ist der Urquell jeder natürlichen Wahrheit und aller übernatürlichen Offenbarung in Schrift und Überlieferung.

Wie eine Photographie nur bei Licht gemacht und nur bei Licht auch betrachtet werden kann, so kann auch die Tatsache, daß die Heilige Schrift “von Gott eingegeben” (2Tim 3, 16) ist und ihn so zum Erst-Urheber hat, nur im Licht der göttliche Offenbarung erkannt und im Glauben angenommen werden. Dies hat die Kirche im Heiligen Geist, der sie in alle Wahrheit einführt (Joh 16, 13), von Anfang an als apostolische Überlieferung verkündet. Sie findet das Zeugnis dafür in der Lehre ihres göttlichen Stifters und seiner Apostel.


4. Jedes Buch der Heiligen Schrift ist schon im Niederschreiben inspiriert, d.h. von Gott eingegeben. Die Tatsache des göttlichen Ursprungs ist aber nicht bei jedem der heiligen Bücher sogleich erkannt worden; über ihre göttliche Herkunft bestanden bei einigen Büchern in manchen Teilen der alten Kirche mehr oder minder große Zweifel. Erst im Lauf der Zeit wurde diese nach sorgfältiger Prüfung der apostolischen Überlieferung klar erkannt und vom Lehramt der Gesamtkirche anerkannt, das diese Bücher dann auch endgültig in den Kanon, das Verzeichnis der von Gott eingegebenen Bücher, aufnahm; der “Kanon der hl. Schriften” war im wesentlichen in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts abgeschlossen.


5. Das Alte Testament (ausgenommen die griechisch verfaßten Bücher Weish und 1/2 Makk) ist ursprünglich hebräisch geschrieben. Als im nachexilischen Judentum das Volk aramäisch, die Amtssprache des untergegangenen Perserreiches, die Gebildeten auch Griechisch, die Kultursprache des sich bildenden römischen Weltreiches, sprachen, entstanden entsprechende Übersetzungen der Bibel, obwohl das (vom Aramäischen wenig verschiedene) Hebräisch Kult- und Literatursprache blieb. Der uns bekannte Urtext des Neuen Testamentes ist bereits griechisch geschrieben. Diese Sprachenverhältnisse erklären manche unterschiedliche Schreibweise von Eigennamen.


6. Die heiligen Schriftsteller des Neuen Testamentes haben den Schreibstoff ihrer Zeit gebraucht, den Papyrus, der aus dem Mark der Papyrusstaude gewonnen wurde (s. 2Joh, 12). Auch für die ältesten Abschriften wurde dieses leicht zerbrechliche Schreibmaterial benutzt. Erst aus dem 4. Jahrhundert stammen Abschriften der ganzen Heiligen Schrift, für die man das dauerhafte, aber teure (s. 2Tim 4, 13) Pergament verwandte, das aus Tierhäuten hergestellt wurde. Daraus erklärt sich, warum die Urschriften und die ältesten Abschriften der heiligen Bücher verlorengegangen sind.

Angesichts dieser Tatsache erhebt sich die ernste Frage, ob uns der heilige Text noch unverfälscht überliefert ist. Wie leicht unterlaufen beim Abschreiben sinnstörende Fehler! Nun, kein Buch des Altertums wurde so häufig abgeschrieben wie die Heilige Schrift, von keinem Buch besitzen wir so viele und so alte Abschriften wie von den Büchern des Neuen Testamentes - die älteste, das Bruchstück einer Abschrift des Johannesevangeliums stammt aus dem Anfang des zweiten Jahrhunderts! Die genaue Vergleichung und sorgfältige Überprüfung der vielen alten Handschriften ergibt, wie zuverlässig, getreu und unverfälscht der heilige Text auf uns gekommen ist. Kaum ein Tausendstel des Textes ist nicht völlig sicher. Der Lehrgehalt selbst aber ist nirgends verdunkelt oder verdorben. Auch darin zeigt sich der Beistand und das Walten des Heiligen Geistes in der Kirche und die Hochschätzung der Kirche gegenüber der ihr zum Hüten und Verkünden anvertrauten Gottesoffenbarung.


7. Wie sicher und unversehrt der Wortlaut des Neuen Testamentes überliefert ist, zeigen auch die alten Übersetzungen, die z.T. in das zweite Jahrhundert zurückgehen: so die syrischen Übersetzungen im Osten, die koptischen in der einst so blühenden Kirche von Ägypten, die lateinischen im Westen. Alle setzen einen im wesentlichen gleichen Wortlaut des griechischen Urtextes voraus. - die maßgebende Übersetzung der lateinischen Kirche wurde die sog. Vulgata des hl. Hieronymus († 420), des größten Bibelgelehrten unter den Kirchenvätern.


8. Die Heilige Schrift des Neuen Testamentes ist aus dem Lehrauftrag der Kirche erwachsen. Dem Lehramt der Kirche ist sie, wie auch das Alte Testament, anvertraut. Diesem Lehramt allein, das unter dem Licht und der Leitung des Heiligen Geistes steht, kommt es zu, über den wahren Sinn der heiligen Bücher zu urteilen, zu entscheiden und ihn bindend zu erklären. “Durch die Kirche soll die mannigfaltige Weisheit Gottes kundgemacht werden” (Eph 3, 10).

Die Heiligen Schriften sind in einer uns fremden Sprache geschrieben, stammen aus einer uns fernen Umwelt, sind nach der damaligen Denk- und Darstellungsweise abgefaßt, enthalten vor allem aber “den unergründlichen Reichtum Christi”, “das Geheimnis Christi”, “die unerforschlichen Ratschlüsse Gottes”, “Die Offenbarung des Geheimnisses Gottes”. Sie muß deshalb immer wieder auf unsere Zeit angewendet werden (“Inkulturation der Schrift”) - dies aber immer im Einklang mit der Kirche, der allein die Zusicherung gegeben ist, vom rechten Weg zum unergründlichen Reichtum des Gotteswortes der Heiligen Schrift nicht abzukommen.


9. “Jede von Gottes Geist eingegebene Schrift ist nützlich zur Belehrung, Widerlegung, Zurechtweisung und zur Erziehung in Gerechtigkeit, damit der Mann Gottes ausgebildet und zu jedem guten Werk gerüstet sei” (vgl. 2Tim 3, 16f§Röm 15, 4 - 6). Lesen und erwägen wir darum eifrig die Heilige Schrift, mit gläubigem Geist, mit demütigem Sinn, mit frommem Gemüt! Im Evangelium schauen wir mit unverhülltem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn und werden so zu seinem Bild umgestaltet (vgl. 2Kor 3, 18).