1Kor 1

Einführung in den ersten Brief an die Korinther





A - Aus dem umfangreicheren Briefwechsel des Paulus (s. zu Röm A. B. C) mit der von ihm 51/52 gegründeten Christengemeinde zu Korinth (s. zu Apg 18,1) sind uns nur zwei Schreiben erhalten, von denen dieser erste Brief vermutlich um Ostern 57 in Ephesus (s. zu 1Kor 4,11) geschrieben wurde. Ein uns nicht erhaltener 2. Brief ging dem 1Kor voraus (s. zu 1Kor 5,9), ein anderer, der sogenannte »;Zwischen-« oder »;Tränenbrief« (ebenfalls nicht überliefert) ist zwischen 1 und 2 Kor anzusetzen (s. zu 2Kor 2,5. 9;2Kor 7,8).



B - Besucher aus Korinth und ein Brief der Gemeinde mit verschiedenen Fragen hatten Paulus davon unterrichtet, daß die vorwiegend heidenchristlichen Gläubigen dort mannigfachen Einflüssen ihrer hellenistischen (griechisch-heidnischen) Umwelt ausgesetzt waren, die nicht nur das Verhältnis der Gemeinde zu Paulus in eine akute Krise führten, sondern auch die Einheit der Gemeinde und selbst ihren christlichen Glauben bedrohten.



C - So praktisch, wie die Probleme der Gemeinde von Korinth es verlangen, in denen sich aber auch gefährliche religiöse Theorien verraten, gibt Paulus in seinem Brief die konkreten Weisungen, ohne indes zu vergessen, sie theologisch, vom rechten Glauben an Christus her, zu begründen: Gegen die Parteiungen und Streitereien verkündet er Christus als den Einheitsgrund; gegen das überhebliche Weisheitsgetue der Gnosis die das Kreuz einschließende Weisheit Christi, wie sie der Apostel vorlebt; gegen falsches Richten die Rechtfertigung in Christus; gegen sittliche Ausschweifungen die Einwohnung des Geistes Christi in uns wie in einem Tempel; Ehe- und andere soziale Fragen beantwortet er im Hinblick auf die Wiederkunft und Herrschaft Christi; ärgerliches Freiheitsgebaren einzelner ohne Rücksicht auf die Schwachen der Gemeinde verurteilt er mit dem Hinweis auf Christus und seinen Apostel, der allen alles wird; gegen Mißstände bei der Feier des Herrenmahles und gegen isolierte Überbetonung bestimmter Charismen beschwört er die Dienstfunktion (Liebe) aller Glieder am geheimnisvollen Leib Christi; gegenüber spiritualistischer Verflüchtigung des Glaubens an die Auferstehung auch des Leibes unterstreicht er die zentrale Bedeutung der überlieferten (Tradition) Botschaft von der leiblichen Auferstehung Christi.



D - Die Frage nach den Gegnern des Paulus in Korinth ist umstritten. Sicher ist, daß es sich bei diesen dem Christentum gefährlich werdenden Strömungen in der Hauptsache nicht um die Judaisten des Römer- und Galaterbriefes handelt. Die dort verhandelten typisch jüdischen Probleme der Rechtfertigung aus dem Gesetz oder aus dem Glauben und die Frage nach dem Verhältnis des alttestamentlichen Gottesvolkes zur neutestamentlichen Kirche spielen in den Korintherbriefen kaum eine Rolle. Anzunehmen, es handele sich bei ihnen nur um innerkirchliche Streitfragen und nicht auch um Ideologien, die den Glauben selbst in Frage stellen, wird der aufs Grundsätzliche drängenden Argumentation des Paulus nicht gerecht. Es scheint, daß er selbst sich über die Tendenzen, die wohl mit der in späterer Zeit deutlicher werdenden Gnosis (s. zu Joh 3,1-21) in Verbindung gebracht werden dürfen, nicht ganz im klaren gewesen ist.



E - Echtheit und Einheitlichkeit des Briefes stehen nicht ernsthaft in Frage. Um 96 n. Chr. findet er sich erstmals bezeugt im 1. Klemensbrief an die Korinther: »;Nehmet den Brief des seligen Paulus, des Apostels. Was hat er euch im Anfang seiner Predigt geschrieben? Wahrhaft vom Geist angeregt, hat er euch belehrt über sich selbst und über Kephas und über Apollos, weil ihr damals Parteien gebildet hattet.« Weil in der Tat schon im Ersten Korintherbrief anklingt, was im zweiten Hauptthema sein wird, der Kampf des Paulus um seine persönliche Autorität als Apostel, hat auch der Stil eine unmittelbarere und persönlichere Note als etwa der des Römerbriefs.

Alles in allem ist 1Kor das kostbarste Dokument über eine urkirchliche Gemeinde im hellenistischen Milieu mit ihren Sorgen und Gefährdungen, aber auch mit ihrem Glauben und ihrer Anhänglichkeit an den um sie besorgten Apostel.



DER ERSTE BRIEF DES HL. PAULUS AN DIE KORINTHER

Gruß

1 Paulus, durch den Willen Gottes zum Apostel Christi Jesu berufen, und der Bruder Sosthenes1
2 an die Gemeinde Gottes in Korinth, die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen samt allen, die allerorten, bei ihnen wie bei uns, den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen.2#
3 Gnade euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.3

Dankgebet

4 Ich danke meinem Gott immerdar um euretwillen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus verliehen wurde.
5 In ihm seid ihr an allem reich geworden an jeglichem Wort und jeglicher Erkenntnis,4#
6 da nun das Zeugnis von Christus bei euch festen Fuß gefaßt hat,5
7 so daß es euch in Erwartung der Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus an keiner Gnadengabe mangelt.6
8 Er wird euch Ausdauer verleihen bis ans Ende, auf daß ihr am Tag unseres Herrn Jesus Christus ohne Tadel dasteht.78
9 Gott ist treu. Durch ihn seid ihr zur Gemeinschaft mit seinem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, berufen.9

VERSCHIEDENE ÜBELSTÄNDE | Das Parteiwesen

Der Tatbestand

10 Beim Namen unseres Herrn Jesus Christus ermahne ich euch, Brüder: Redet mit einer Stimme! Laßt keine Spaltungen unter euch aufkommen! Seid eines Sinnes und einer Meinung!10#
11 Leute der Chloë haben mir nämlich von euch, Brüder, berichtet, daß es unter euch Streitigkeiten gibt,11
12 und zwar, daß jeder von euch sagt: "Ich halte es mit Paulus! - Ich mit Apollos! - Ich mit Kephas! - Ich mit Christus!"1213#
13 Ist denn Christus geteilt? Ist etwa Paulus für euch gekreuzigt worden? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft?14
14 Ich danke Gott dafür, daß ich außer Krispus und Gaius keinen von euch getauft habe.15
15 So kann niemand sagen, ihr seid auf meinen Namen getauft worden.#
16 Doch, auch die Familie des Stephanas habe ich getauft. Sonst aber wüßte ich nicht, daß ich noch jemand getauft hätte.16
17 Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden, und dies nicht mit hochklingender Weisheit, damit das Kreuz Christi nicht um seine Wirkung gebracht werde.1718

Die Predigt vom Kreuz

18 Das Wort vom Kreuz gilt freilich denen, die verlorengehen, als Torheit, uns aber, die gerettet werden, als Gottes Kraft.1920
19 Es steht ja geschrieben: "Der Weisen Weisheit mache ich zunichte, verwerfe die Klugheit der Klugen."21#
20 Wo bleibt der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Redekünstler dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit dieser Welt als Torheit erwiesen?22
21 Weil nämlich die Welt mit ihrer Weisheit Gott in seiner göttlichen Weisheit nicht erkannt hat, gefiel es Gott, durch eine Botschaft, die als töricht gilt, die zu retten, die daran glauben.23
22 Die Juden fordern Wunderzeichen, die Griechen suchen Weisheit.24#
23 Wir aber verkünden Christus als Gekreuzigten: Für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit;2526#
24 für die Berufenen aber, ob Juden oder Heiden, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.27
25 Denn Gottes "Torheit" ist weiser als die Menschen, und stärker als die Menschen ist Gottes "Schwachheit".28

Auserwählung des Niedrigen.

26 Seht nur auf eure Berufung, Brüder! Da sind nicht viele Weise im Sinne der Welt, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme.29
27 Nein, was der Welt töricht erscheint, hat Gott auserwählt, um die Weisen zu beschämen. Was der Welt schwach erscheint, hat Gott auserwählt, um das Starke zu beschämen.30#
28 Was der Welt niedrig und verächtlich erscheint, ja, was ihr nichts gilt, hat Gott auserwählt, um das, was etwas gilt, zunichte zu machen,31#
29 damit sich niemand vor Gott rühme.32
30 Durch ihn seid ihr in Gemeinschaft mit Christus Jesus, der für uns von Gott her zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung geworden ist,33#
31 damit geschehe, wie geschrieben steht: "Wer sich rühmen will, rühme sich des Herrn."3435
1 ℘ Röm 1, 1;Apg 18, 1 - 11. 17;Apg 19, 1;Apg 18, 17
2 ℘ 1Kor 6, 11;Apg 2, 21;Apg 9, 14. 21;Apg 22, 16;2Tim 2, 22
3 ℘ +Röm 1, 7++
4 ℘ 2Kor 8, 7. 9
5 ℘ Apg 18, 5
6 ℘ +Phil 3, 20++;Lk 17, 30;Röm 8, 19;2Thess 1, 7;1Petr 1, 7. 13;1Petr 4, 13;2Petr 3, 14
7 Zum "Tag Christi" vgl. 1Kor 15, 23 - 28.
8 ℘ Phil 1, 6. 10;1Thess 3, 13;Lk 21, 19;Hebr 12, 1;Mt 10, 22;Röm 2, 7;2Thess 1, 4;Jak 1, 25;Offb 3, 10;Offb 14, 12;2Kor 11, 2
9 ℘ +1Kor 10, 13++;Röm 8, 17;1Joh 1, 3
10 ℘ +Röm 15, 5++;1Kor 3, 3;1Kor 11, 18
11 Chloë wird sonst nicht erwähnt. Es spricht einiges dafür, daß sie in Ephesus wohnte, wo Paulus auch diesen Brief schrieb.
12 Kephas = Petrus; ob Petrus in Korinth gewesen war, ist ungewiß.
13 ℘ +Apg 18, 24++;Joh 1, 42;2Kor 10, 7;1Kor 3, 3f. 21 - 23
14 Vgl. die Aussage des Sokrates: "Ihr aber müßt euch, wenn ihr mir folgen wollt, wenig um den Sokrates kümmern, desto mehr aber um die Wahrheit." (Phaidon, c. 40)
15 ℘ 1Kor 14, 18;Apg 18, 8;+Apg 19, 29++
16 ℘ 1Kor 16, 15. 17
17 "...nicht mit hochklingender Weisheit" - Paulus mußte sich in Korinth auch mit gnostischen Einflüssen, die später die Kirche in eine gefährlich Krise stürzten, auseinandersetzen (gnosis = Erkenntnis): mit der Betonung der Erkenntnis gegenüber dem Heilshandeln in und mit Christus; mit der Leibfeindlichkeit auf der einen, "Fleischeslust" auf der anderen Seite; mit geistreichem Erlöserbewußtsein; mit der Überschätzung prophetischer Gaben und Unterschätzung der Liebe.
18 ℘ Joh 4, 2;Mt 28, 19;Apg 9, 15;Apg 10, 48;1Kor 2, 4
19 V. 18 - 25: Vor allem Vers 18 macht uns alle auf die Versuchung aufmerksam, die Predigt von der Erlösung durch den Gekreuzigten als Torheit abzutun oder sie umzudeuten. Dieser Verführung ist unsere Epoche besonders ausgesetzt, denn die biblische Botschaft scheint der primitiven Denkweise früherer Generationen und teilweise ungebildeter Menschen zu entstammen. - Wer so urteilt, muß sich nach den Worten dieses Briefes fragen, ob er nicht zu denen gehört, die verlorenzugehen drohen. Die prädestinatianisch klingende Formulierung ermahnt einen jeden an den Ernst seiner geschichtlichen Lebensituation. Jesus trat nicht als großer Philosoph oder Gelehrter auf, sondern wandte sich vor allem an die Armen und Kleinen. Dadurch zwingt er uns, die übliche Einschätzung von Weisen und Gelehrten, Reichen und Großen zu korrigieren.
20 ℘ Lk 13, 23f;2Kor 2, 15;2Kor 4, 3;1Kor 1, 23f;Röm 1, 16;2Thess 2, 10
21 Vgl. Jes 29, 14.
22 ℘ Röm 1, 21;1Kor 3, 19
23 ℘ Mt 11, 25f;Röm 1, 21;+Röm 11, 33++
24 ℘ Mt 12, 38;Mt 16, 1;Lk 4, 23;Lk 23, 8;+Joh 4, 48++;Apg 17, 18 - 21
25 Ein Beispiel, wie Gnostiker das Ärgernis des Kreuzes zu beseitigen versuchten, zeigt sich bei Basilides, dem führenden Gnostiker des zweiten Jahrhunderts: "Wie aber der ungezeugte und unnennbare Vater ihre Verderbtheit sah, sandte er seinen eingeborenen Nous (Verstand), der Christus genannt wird, um die, welche an ihn glauben würden, von der Herrschaft jener zu befreien, die die Welt gemacht haben. Er erschien auch ihren Völkern auf Erden als Mensch und vollendete die Kräfte. Aber er hat nicht gelitten, sondern ein gewisser Simon von Zyrene, den man zwang, für ihn das Kreuz zu tragen. Dieser wurde irrtümlich und unwissentlich gekreuzigt, nachdem er von ihm verwandelt war, so daß er für Jesus gehalten wurde. Jesus aber nahm die Gestalt des Simon an und lachte sie aus, indem er dabeistand, Er war ja die unkörperliche Kraft und der Nous des ungezeugten Vaters, deswegen konnte er sich nach Belieben verwandeln und stieg so wieder zu dem hinauf, der ihn gesandt hatte, indem er derer spottete, die ihn nicht halten konnten, und unsichtbar für alle war. Befreit also sind, die dies wissen, von den Schöpferfürsten der Welt. Nicht den Gekreuzigten darf man bekennen, sondern den, der anscheinend gekreuzigt wurde, Jesus hieß und vom Vater gesandt wurde, um durch diese Veranstaltung die Werke derer zu zerstören, die die Welt gemacht haben. Wer also noch den Gekreuzigten bekennt, der ist ein Sklave und unter der Gewalt jener, welche die Körperwelt gemacht haben; die anderen aber sind ihrer Macht ledig, sie wissen, wie es der ungezeugte Vater geordnet hat." - Nach Irenäus, Adversus haereses, I, 24, 4 (übersetzt v. E. Klebba). - Diese gnostische Sicht Jesu findet sich auch im von Mohammed verfaßten Koran (Sure 4,156: Jesus ist nicht am Kreuz gestorben, sondern ein anderer "wurde ihm ähnlich gemacht", während er zum Himmel erhoben wurde. - Da der Islam keine Erbsündenlehre kennt, besteht auch keine Notwendigkeit einer Erlösung durch den Tod Jesu).
26 ℘ 1Kor 10, 32;1Kor 1, 18;1Kor 2, 5;Kol 2, 3;Gal 5, 11;1Kor 2, 2. 14;Joh 19, 2. 6;Mt 16, 23;Apg 17, 32
27 ℘ Kol 2, 3
28 ℘ +1Kor 1, 18++;Mt 11, 19;2Kor 12, 9;1Kor 1, 23f;2Kor 13, 4
29 ℘ Mt 11, 25;Joh 7, 48;Jak 2, 1 - 5
30 ℘ Lk 14, 21;Mt 5, 3;Jak 2, 5
31 ℘ Mt 19, 30
32 ℘ Röm 3, 27;Eph 2, 8f
33 ℘ 2Kor 5, 18, 21;Röm 10, 4;Joh 17, 19
34 Vgl. Jer 9, 22f.
35 ℘ 2Kor 10, 17;Gal 6, 14