2Petr 1

Einführung in den zweiten Petrusbrief





A - Erst von Origenes (+ 254) stammt das erste uns erhaltene Zeugnis, das diesen in der Kirche lange umstrittenen Brief erwähnt. Dann aber erscheint er im Kanon von Laodizea 360, im 39. Osterfestbrief des Athanasius 367 und in anderen Kanones gegen Ende des 4. Jahrhunderts (s. Einleitung B).



B - Grund für das Zögern der Kirche war vermutlich der stilistische wie inhaltliche Unterschied zum 1. Petrusbrief und auch das verhältnismäßig späte Auftauchen der Schrift. Man neigt heute zu der Ansicht, als Verfasser der pseudoepigraphischen Schrift (s. Jud A) komme jemand in Frage, der vermutlich gegen Ende des 1.Jhds (s. Einleitung C), als die naherwartete Wiederkunft Christi ausblieb, mit Berufung auf den Glauben der Apostel der Krise steuern wollte. Deshalb die Deklarierung dieses allgemeinen, wohl vorwiegend an Heidenchristen gerichteten Rundschreibens als petrinisch, deshalb auch die Berufung auf Paulus (2Petr 3, 15), deshalb die Verarbeitung des Judasbriefes (s. Jud A).



C - Den aktuellen Anlaß für das Schreiben gaben indes Irrlehrer, vermutlich gnostischen (s. zu Joh 3,1-21) Einschlags, die sich die entstandene Glaubenskrise zunutze machten, indem sie Christus als kommenden Richter ablehnten und zu sittlicher Freizügigkeit (Libertinismus) aufforderten.



D - Demgegenüber wird betont, daß sich bei richtiger Interpretation der heiligen Schriften, deren Bedeutung in der Kirche zuzunehmen scheint und die in Übereinstimmung mit der apostolischen Überlieferung zu lesen sind, sich durch das Hinauszögern der Wiederkunft des Herrn nichts an seiner allumfassenden Herrschaftsstellung geändert hat. Vielmehr erweist er sich gerade dadurch als Herr der Weltgeschichte, daß er ihr Ende souverän beschließt, wie es das Heil der Menschen erfordert. Weil wir den Augenblick seiner Wiederkunft nicht wissen, müssen wir immer bereit sein: sittliches Sich-gehen-lassen zerstört in jedem Fall die Bedingungen dafür, des göttlichen Lebens teilhaft zu werden; ist es doch von der Liebe geprägt und nicht vom Egoismus.



DER ZWEITE BRIEF DES HL. APOSTELS PETRUS

Gruß

1 Simon Petrus, Knecht und Apostel Jesu Christi, an die, die durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Retters Jesus Christus den gleichen kostbaren Glauben wie wir empfangen haben.12
2 Gnade und Friede möge euch zuteilwerden in der Fülle der Erkenntnis Gottes und unseres Herrn Jesus.3

DIE WIEDERKUNFT CHRISTI

Vorbereitung auf die Wiederkunft

3 Seine göttliche Macht hat uns alles für das Leben und die Frömmigkeit Notwendige geschenkt durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Kraft.4
4 Durch sie sind uns die wertvollen und überaus großen Verheißungen geschenkt worden, damit ihr durch diese der göttlichen Natur teilhaftig werdet und dem in der Welt durch die Begierde herrschenden Verderben entflieht.56
5 Deswegen wendet allen Eifer auf und betätigt in eurem Glauben die Tugend, in der Tugend die Erkenntnis,7#
6 in der Erkenntnis die Mäßigung, in der Mäßigung die Geduld, in der Geduld die Frömmigkeit,8
7 in der Frömmigkeit die Brüderlichkeit und in der Brüderlichkeit die Liebe.9
8 Wenn diese Tugenden bei euch vorhanden sind und wachsen, werden sie euch fähig und fruchtbar machen für die Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus.10
9 Wem sie allerdings fehlen, der ist blind und hat in seiner Kurzsichtigkeit vergessen, daß er von seinen früheren Sünden gereinigt worden ist.11
10 Deswegen, Brüder, seid um so eifriger bemüht, eure Berufung und Auserwählung zu festigen. Tut ihr dies, so werdet ihr niemals zu Fall kommen.
11 So nämlich wird euch der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Retters Jesus Christus freigebig gewährt.12
12 Darum will ich euch stets daran erinnern, obwohl ihr es wißt und in der euch zuteil gewordenen Wahrheit feststeht.1314
13 Ich halte es aber für richtig, solange ich in diesem Zelt weile, euch durch solche Ermahnung wachzuhalten,1516
14 im Wissen, daß mein Zelt bald abgebrochen wird, wie mir unser Herr Jesus Christus kundgetan hat.1718
15 Ich will aber auch dafür Sorge tragen, daß ihr euch nach meinem Hingang jederzeit an diese Dinge erinnern könnt.19

Gewißheit der Wiederkunft

16 Denn nicht ausgeklügelten Märchen folgend haben wir euch die machtvolle Ankunft unseres Herrn Jesus Christus kundgetan, sondern als Augenzeugen seiner Herrlichkeit.20
17 Er empfing von Gott dem Vater Ehre und Herrlichkeit, als von der erhabenen Herrlichkeit die Stimme auf ihn herabkam: "Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."21
18 Diese vom Himmel ergangene Stimme haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.22
19 Um so sicherer ist für uns das prophetische Wort, das wir besitzen, und ihr tut gut, euch daran zu halten - es ist eine Lampe, die im Dunkeln leuchtet, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.2324
20 Vor allem aber erkennt, daß keine Weissagung der Schrift eine eigenmächtige Deutung zuläßt,2526
21 denn nicht durch den Willen eines Menschen ist je eine Weissagung ergangen, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben von Gott her Menschen gesprochen.27
1 "...Glauben...empfangen" - der Glaube ist Gnadengabe Gottes, für uns ein unverdientes Geschenk, das uns kraft der Erlösungsgnade Christi zuteil wird.
2 ℘ Apg 11, 17;Apg 15, 8f;Röm 1, 12;Tit 2, 13
3 ℘ Jud 2;Kol 1, 9f
4 ℘ 1Petr 2, 9;2Kor 4, 4. 6;Eph 1, 3;Tit 1, 2f;Joh 17, 3
5 "...damit ihr...der göttlichen Natur teilhaftig werdet" - Das griechische Wort für "Natur" (physis) bezeichnet: 1. die durch Abstammung erworbene Naturanlage, 2. die natürliche Beschaffenheit, das natürliche Wesen, 3. die Naturordnung, 4. das Geschöpf; hier liegt die sehr gebräuchliche zweite Bedeutung vor, also Teilhabe an göttlicher Beschaffenheit. Sie ist ein zukünftiger Besitz der Christen, der Endzweck der Heilswirkens Gottes für die Menschen ("..teilhaft werdet"). Damit ist nicht die in der heiligmachenden Gnade schon hier dem Gerechtfertigten geschenkte Teilnahme am göttlichen Leben gemeint, sondern die kommende Verklärung der Christen, die bei der Wiederkunft des Herrn erfolgen und in einer geheimnisvollen Vergöttlichung der Erlösten bestehen wird, die zukünftige Gottähnlichkeit, von der Johannes schreibt (vgl. 1Joh 3, 2f.).
6 ℘ Röm 8, 15;Gal 4, 6;2Kor 7, 1;Eph 1, 18f;Eph 4, 22
7 ℘ Phil 2, 12;Jud 3;+Gal 5, 22. 6++;1Tim 6, 3f;Tit 2, 11 - 13
8 ℘ Apg 24, 25;1Kor 7, 9;1Kor 9, 25;Gal 5, 22f;Tit 1, 7f
9 ℘ +1Thess 4, 9++;Gal 6, 10;1Joh 3, 17f
10 ℘ Mk 4, 20;Mt 19, 27 - 29
11 ℘ +Mt 13, 22++;+Mk 4, 19++;1Joh 2, 9. 11
12 ℘ Joh 3, 5;2Tim 4, 18;Tit 2, 13
13 Allen Gläubigen gemeinsam ist in Christus seine Wahrheit geschenkt und anvertraut; das "Lehramt" hat die besondere Funktion der "Erinnerung", damit nichts in Vergessenheit gerät und das jeweils Geglaubte an den Ursprüngen gemessen werde. Das ist angesichts der auftauchenden Irrlehrer aktuell.
14 ℘ Röm 15, 15;1Petr 5, 10;1Joh 2, 21;Jud 5;Kol 1, 6
15 V. 13 - 14: Zu "Zelt" - vgl. Anm. zu 2Kor 5, 1.
16 ℘ 2Petr 3, 1;2Kor 5, 1;Joh 21, 18f;2Tim 4, 5f
17 Vgl. Joh 21, 18f.
18 ℘ 2Tim 4, 6;Joh 21, 18
19 ℘ Lk 9, 31
20 ℘ +1Tim 4, 7++;Joh 1, 14;+Apg 4, 20++;Lk 9, 32. 43;Apg 19, 27;Mt 16, 17;Mk 8, 17f;Lk 10, 23f;1Joh 1, 1. 3
21 ℘ Mt 17, 2. 5;Mk 9, 7;Lk 9, 35
22 "Wir" = Petrus, Jakobus und Johannes; vgl. Mt 17, 1 - 9.
23 Erst in der Christuserfahrung, im Licht der neutestamentlichen Offenbarung, können die Worte der Propheten und überhaupt die alttestamentlichen Offenbarungen richtig und sicher erkannt werden.
24 ℘ Röm 4, 16;Röm 13, 12;Röm 15, 8;Hebr 2, 2;Offb 2, 28;Offb 22, 16;Lk 1, 78
25 V. 20 - 21: Wie eine Photographie nur bei Licht gemacht und nur bei Licht betrachtet werden kann, so konnten auch die Weissagungen der Propheten, überhaupt die Heilige Schrift, nur vom Heiligen Geist inspiriert niedergeschrieben, und können auch nur im Heiligen Geist richtig verstanden werden. - Die Kirche ist überzeugt, daß die Verfasser der Bibel unter einem besonderen Einfluß Gottes gestanden haben, so daß Gott "Urheber" dieser Schriften ist, ohne daß die literarische Urheberschaft der Verfasser aufgehoben wurde. Die sog. Inspiration (vom lat. inspirare = einhauchen, eingeben) der Heiligen Schrift bewirkte deren Abfassung, Irrtumslosigkeit und Vollständigkeit in dem Sinn, daß alle Bücher zusammengenommen, indem sie einander ergänzen und "korrigieren", Gottes für alle Zeit wirksames und normatives Wort enthalten. Irrtumslos sind demnach alle Teile der Schrift und alle ihre Aussagen, aber nur in dem Sinn, den das Ganze dem Teil verleiht.
26 ℘ Mk 4, 34
27 ℘ 2Tim 3, 16f;1Kor 14, 32;Apg 2, 1 - 6. 11;Apg 4, 8. 31;Apg 10. 44. 46;Apg 19, 6;Mk 16, 17;Tit 3, 6;Apg 28, 25 - 27;1Petr 1, 11