Gal 1

Einführung in den Brief an die Galater





A - Das Galatien, an dessen Kirchen dieses Rundschreiben gerichtet ist (Gal 1, 2), scheint weniger die weit umfassendere römische Provinz Galatia (s. zu Apg 2,6-12 B) zu sein, als vielmehr die zu ihr gehörige und ihr den Namen gebende, aber engere Landschaft Galatien (s. zu Apg 16,6-8 B) in Kleinasien.



B - Paulus (s. Röm A. B. C), der diese Gemeinden in der heutigen Zentraltürkei gegründet und betreut hatte (während eines zweimaligen Aufenthaltes), erhält bald darauf, wohl in Ephesus (s. zu Apg 18,24 B), alarmierende Nachrichten aus Galatien: fremde Missionare machen ihm und damit Christus seine neugewonnenen Heidenchristen abspenstig. Da kann Paulus nicht schweigen und sucht die Gemeinden mit diesem Brief, der um 54/55 n. Chr. geschrieben sein mag und also nach den Thessalonicherbriefen das zweitälteste Dokument des Neuen Testamentes ist (s. Einleitung C), zurückzugewinnen.



C - Gegen seine Gegner - vielleicht Vorläufer der gnostischen (s. zu Joh 3,1-21) Sekte des Kerinth (s. Joh D), auf jeden Fall Judenchristen, die erneut die Beschneidung und Beobachtung eines bestimmten Kalenders und recht äußerlichen Gesetzes fordern, aber zugleich einen sittlichen Laxismus zu predigen scheinen, vor allem aber dem Paulus die apostolische Vollmacht absprechen - verteidigt Paulus sein Apostolat als direkt von Gott und von Christus dem Erhöhten empfangenes und von den übrigen Aposteln bestätigtes und geht dann auf das Verhältnis von Gesetz und christlicher Freiheit ein, wobei die letzten Ausführungen an den Römerbrief erinnern (s. Röm D. E).



D - Das gespannte Verhältnis zu den galatischen Gemeinden erklärt auch, warum dieser Brief von allen Paulusschreiben trotz persönlicher Note dennoch der am meisten offiziell, förmlich, in sachlicher Distanz gehaltene ist, ja sogar an manchen Stellen schroff anmutet.



E - Die auf den ersten Blick situationsbedingte Polemik des Paulus gegen Legalismus, Ritualismus und magische Vorstellungen bleibt immer aktuell: die uns in Christus geschenkte Freiheit gilt es zu bewahren und weiter zu erringen gegen die uns ständig drohende Versuchung, das Heil nicht in einem Leben mit Christus im Dienst der Liebe am Nächsten zu sehen, sondern in der Beobachtung peripherer Gesetze, überbewerteter Kultvorschriften und in unkontrollierter Unterwürfigkeit gegenüber dem jeweiligen Zeitgeist.

DER BRIEF DES HL. PAULUS AN DIE GALATER

Gruß

1 Paulus, nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen zum Apostel bestellt, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat,12
2 und alle Brüder, die bei mir sind, an die Gemeinden von Galatien.
3 Gnade euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus,3
4 der sich für unsere Sünden hingeopfert hat, um uns aus der gegenwärtigen bösen Welt zu erretten. So war es ja der Wille unseres Gottes und Vaters.4
5 Ihm sei Ehre in alle Ewigkeit! Amen.5

Übergang

6 Es wundert mich, daß ihr euch so schnell von dem abwendet, der euch durch die Gnade Christi berufen hat, und euch einem anderen Evangelium zuwendet;67
7 und doch gibt es kein anderes, es gibt nur gewisse Leute, die euch verwirren und darauf ausgehen, das Evangelium Christi zu verdrehen.8
8 Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündeten, als wir euch verkündet haben: er sei verflucht!910
9 Wie wir es schon früher gesagt haben, so wiederhole ich es jetzt: Wenn jemand euch ein anderes Evangelium verkündet, als ihr empfangen habt: er sei verflucht!11
10 Rede ich jetzt Menschen zuliebe oder Gott? Buhle ich um Menschengunst? Wollte ich noch Menschen gefällig sein, wäre ich kein Knecht Christi.12#

URSPRUNG DES PAULINISCHEN EVANGELIUMS

Wandel im Judentum

11 Ich tue euch kund, Brüder: Das Evangelium, das ich verkündet habe, ist nicht Menschenwerk.13#
12 Ich habe es nicht von einem Menschen empfangen oder erlernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi.14#
13 Ihr habt doch von meinem früheren Wandel im Judentum gehört. Maßlos verfolgte ich die Kirche Gottes und suchte sie zu vernichten.1516#
14 Im Eifer für das Judentum übertraf ich viele meiner Altersgenossen in meinem Volk, so übertriebenen Eifer legte ich für die Überlieferungen meiner Väter an den Tag.17#

Berufung zum Apostel

15 Als es aber dem, der mich schon vom Mutterschoß an ausersehen und durch seine Gnade berufen hatte, gefiel,18
16 mir seinen Sohn zu offenbaren, damit ich ihn unter den Heiden verkünde, zog ich nicht mehr Fleisch und Blut zu Rate,1920
17 auch ging ich nicht hinauf nach Jerusalem zu denen, die schon vor mir Apostel waren, sondern ich zog weg nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück.21
18 Erst drei Jahre später ging ich hinauf nach Jerusalem, um Kephas kennenzulernen und verbrachte bei ihm fünfzehn Tage;2223
19 von den anderen Aposteln sah ich nur Jakobus, den Bruder des Herrn.2425
20 Was ich euch schreibe - ich bezeuge es vor Gott -, es ist keine Lüge.26#
21 Darauf begab ich mich in die Gebiete von Syrien und Zilizien.2728
22 Den Christengemeinden in Judäa blieb ich persönlich unbekannt.
23 Sie hatten nur gehört: Unser einstiger Verfolger verkündet jetzt den Glauben, den er früher zu vernichten trachtete.29#
24 Und sie priesen Gott um meinetwillen.
1 Zum Apostel wurde Paulus nicht durch die Sendung der Gemeinde von Antiochien, vgl. Apg 13, 1 - 4, oder die Beauftragung durch einen der Alt-Apostel bestellt, sondern durch die Berufung durch Jesus selbst, vgl. Apg 9, 3 - 19.
2 ℘ Apg 16, 6;Apg 18, 23;1Kor 16, 1;2Tim 4, 10;1Petr 1, 1;Gal 1, 11f;Röm 1, 1
3 ℘ +Röm 1, 7++
4 ℘ Gal 2, 20;+1Tim 2, 6++;Apg 2, 40;Eph 5, 2. 16;1Joh 5, 19;Röm 12, 2;Hebr 10, 9f
5 ℘ +Röm 16, 27++
6 Den Abfall vom Evangelium sieht Paulus darin, daß die Galater judaisierenden Tendenzen nachgegeben hatten, die er im folgenden bekämpft.
7 ℘ +Röm 1, 8++;Gal 1, 15;Gal 5, 8
8 ℘ Apg 15, 1. 24;Apg 15, 1. 24;1Tim 6, 3f;Gal 4, 17;Gal 5, 10;2Kor 11, 4
9 "Verflucht" (gr. anáthema) = aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.
10 ℘ 1Kor 16, 22
11 ℘ Gal 5, 3. 21;2Kor 13, 2;1Thess 3, 4;1Thess 4, 6;2Thess 3, 10
12 ℘ 2Kor 5, 11;1Thess 2, 4
13 ℘ 1Kor 15, 1;1Thess 2, 13;Gal 1, 1
14 ℘ Gal 1, 1
15 Vgl. Apg 9, 1f.
16 ℘ +Apg 8, 3++
17 ℘ +Apg 22, 3++;Apg 26, 4f
18 ℘ Apg 9, 15;Apg 13, 2;Apg 26, 16f;Röm 1, 1;Gal 1, 6;1Kor 15, 10
19 Vgl. Apg 9, 3 - 19.
20 ℘ Mt 11, 27;+Gal 2, 7++;Apg 9, 3 - 5. 20;Mt 16, 17;1Kor 15, 10
21 Mit Arabien ist das Gebiet südöstlich von Damaskus, das damalige Nabatäerreich, gemeint. - Zum Grund, warum Paulus aus Damaskus wegzog, vgl. 2Kor 11, 32f; Apg 9, 23 - 25.
22 "Kephas" (aramäisch) = Petrus (gr./lat.) = Fels.
23 ℘ Apg 9, 26 - 28;Apg 11, 30
24 Daß Jakobus zu den zwölf Aposteln gehörte, wird von vielen Exegeten angezweifelt. Vielleicht ist er mit dem in Mk 6, 3 erwähnten Herrenbruder identisch. Er spielte jedenfalls eine wichtige Rolle in der jerusalemer Gemeinde, deren Leitung er später übernahm.
25 ℘ +Apg 12, 17++
26 ℘ Röm 9, 1
27 In Zilizien lag Tarsus, die Heimatstadt Pauli, vgl. Apg 9, 30; in Syrien lag Antiochien, wo Paulus, eingeladen von Barnabas, als Missionar tätig war und von wo aus er zu seinen Missionsreisen auszog, vgl. Apg 11, 22 - 26.
28 ℘ Apg 9, 30
29 ℘ +Apg 8, 3++