Hebr 1

Einführung in den Brief an die HebrÄer





A - Während die Ostkirche diesen Brief, soweit man zurückverfolgen kann, Paulus zugeschrieben hat, konnte sich die abendländische Kirche erst zwischen 350 und 450 entschließen, das Schreiben in den Kanon (s. Einleitung B) aufzunehmen, eben aus Zweifel an der paulinischen Autorschaft. Die moderne Bibelwissenschaft bestreitet diese einhellig, denn Sprache und Stil (gutes Griechisch!), die Zitationsweise des Alten Testamentes nach der griechischen Septuaginta-Übersetzung, vor allem jedoch die den paulinischen Schriften fremde Hohepriestertheologie lassen einen späteren Autor vermuten, ohne daß man über bloße Vermutungen, ihn näher zu bestimmen, hinausgekommen wäre.



B - Ähnlich verhält es sich mit den Adressaten. Trotz der Überschrift »;An die Hebräer« - sie scheint späteren Datums und von der auf den ersten Blick nur Juden interessierenden Tempel- und Hohepriester-Thematik her inspiriert worden zu sein - neigen neuere Exegeten dazu, als Adressaten doch eine heidenchristliche Gemeinde, vielleicht in Rom, anzusetzen, zwischen 70 und 96 (vor Abfassung des 1. Klemensbriefes, der Hebr zu zitieren scheint; s. Einleitung C). Alle frühchristlichen Gemeinden orientierten sich am Alten Testament, und es mag geradezu auch die Absicht des Briefes gewesen sein, Heidenchristen das Alte Testament in neuer Weise auf Christus hin auszulegen.



C - Denn der Brief zeichnet sich formal dadurch aus, daß er alle zu seiner Zeit bekannten exegetischen Methoden anwendet, die in Christus geschenkte Hoffnung durch eine christliche Auslegung des alttestamentlichen Gotteswortes einer in der Hoffnung nachlassenden Gemeinde neu nahezubringen. »;Im Hebräerbrief findet sich Auslegung von alttestamentlichen Schriftstellen nach rabbinischen Regeln, nach der Methode des Midrasch-Pescher (s. zu Hebr 1,6 B; Midrasch-Haggadah s. zu Hebr 12,5) der Qumranleute, nach dem Schema: Weissagung-Erfüllung, in der Auffassung, daß das Alte in der Schrift einen unvollkommenen, Sehnen und Hoffen weckenden Hinweis auf das jetzt in Christus Geschehene hin enthält; es werden in typologischer Auslegung eine Reihe von Beziehungen zwischen einst und jetzt, zwischen Vorbild und Vollendung sichtbar gemacht. In einigen Fällen, auf das ganze Schreiben hin gesehen aber in verschwindend geringem Ausmaß, ist auch allegorische Auslegung zu konstatieren, d. h. eine >Exegese<, die sich darum bemüht, den >geistigen Sinn< einer Stelle zu >eruieren<, nach Wortsinn und historischer Gegebenheit jedoch nicht fragt; daneben gibt es aber auch die Auslegung im reinen Literalsinn, die einer modernen Exegese am ehesten gerecht wird« (Friedrich Schröger).



D - Die Absicht des Briefes scheint es zu sein, einer durch das Ausbleiben der Wiederkunft Christi (zur Naherwartung s. zu Mt 24,43-44;Mk 9,1) und durch drohende Verfolgungen schwach gewordenen Gemeinde die christliche Hoffnung auf eine endzeitliche (eschatologische) Vollendung neu zu begründen. So wie sich Jesu Erlösungswerk als Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen erwiesen hat, ist Jesu Einsetzung als »;kosmokratischer Hoherpriester« (Bertold Klappert) die Verheißung an die Gemeinde, daß sich ihr Herr im Laufe der Menschheitsgeschichte diese untertan machen wird, um sie ihrer Vollendung entgegenzuführen.

Diese im Leben Jesu und dem es ausdeutenden Gotteswort gründende Hoffnung wird der Gemeinde jeweils neu geschenkt, wenn sie sich im Kult die Einsetzung Jesu als kosmokratischen Hohenpriester vergegenwärtigt, wobei sich der Brief der hellenistisch-alexandrinischen Kultinterpretation bedient, nach der die innerweltlichen Abläufe Schatten jener Vorgänge sind, die sich im »;unsichtbaren« göttlichen Bereich abspielen und von der Liturgie repräsentiert werden. Der christliche Glaube stellt sich in diesem Zusammenhang dar als Hoffnung auf die Vollendung dieser Welt nach dem Gesetz, das sich auch an Christus bewährt hat: im Tod ist Auferstehung.





DER BRIEF DES HL. PAULUS AN DIE HEBRÄER

Eingang

1 Vielmals und auf vielerlei Weise hat Gott vor Zeiten durch die Propheten zu den Vätern gesprochen;
2 am Ende dieser Tage hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben über das All eingesetzt, durch den er auch die Welten erschaffen hat.1
3 Dieser ist der Abglanz der Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens und trägt das All durch sein machtvolles Wort. Nachdem er die Reinigung von den Sünden vollzogen hatte, hat er sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt.2
4 Er ist so viel mächtiger geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt.3

DIE ERHABENHEIT DES NEUEN BUNDES | Christi einzigartige Hoheit

Christus erhaben über die Engel

5 Denn zu welchem der Engel hat Gott jemals gesagt: "Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt"? Oder "Ich werde ihm Vater und er wird mir Sohn sein"?45
6 Als er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: "Und niederwerfen sollen sich vor ihm alle Engel Gottes."67
7 Von den Engeln heißt es: "Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zur Feuerflamme."8
8 Vom Sohn heißt es: "Dein Thron, o Gott, steht immer und ewig, und das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter deines Reiches.9
9 Du liebst die Gerechtigkeit und haßt die Gesetzlosigkeit, darum hat dich, o Gott, dein Gott mit Freudenöl gesalbt wie keinen deiner Gefährten";
10 und: "Du hast, o Herr, im Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind das Werk deiner Hände;10
11 sie werden vergehen, du aber bleibst; alle werden veralten wie ein Kleid,#
12 du wirst sie aufrollen wie einen Mantel. Wie ein Kleid werden sie ausgewechselt; du aber bist derselbe, und deine Jahre enden nie."11#
13 Zu welchem Engel hat er jemals gesagt: "Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache"?1213#
14 Sind sie nicht alle dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst für die, die das Heil erben sollen?14
1 ℘ Hebr 9, 26;1Petr 1, 20;Mt 21, 38;+Joh 1, 3++
2 ℘ Joh 1, 3;2Kor 3, 18;+2Kor 4, 4++;+Hebr 3, 14++;Hebr 11, 1;Kol 1, 17;Hebr 9, 14. 26;Hebr 8, 1;Mk 16, 19;Gen 1, 27;Ps 110, 1
3 ℘ Eph 1, 20f;1Petr 3, 22;Phil 2, 9
4 Vgl. Ps 2, 7; 2Sam 7, 14.
5 ℘ Hebr 5, 5;Apg 13, 33
6 "...wieder...einführt" - zum Gericht am Ende der Welt. Zu dem Zitat vgl. Ps 97, 7 (zitiert wird hier und im folgenden nach dem Text der Septuaginta, der vom hebräischen stellenweise etwas abweicht!).
7 ℘ +Röm 8, 29++;+Mt 4, 11++
8 Vgl. Ps 104, 4.
9 V. 8 - 9: Vgl. Ps 45, 7f.
10 V. 10 - 11: Vgl. Ps 102, 26 - 28.
11 ℘ Offb 6, 14;Hebr 13, 8
12 Vgl. Ps 110, 1.
13 ℘ Hebr 10, 13;+Mt 22, 44++
14 ℘ Mt 4, 11;+Mt 18, 10++;Joh 20, 12