Jud

Einführung in den Brief des Judas





A - Dieses antihäretische Flugblatt der frühen Kirche, wahrscheinlich in Palästina oder Syrien verfaßt und an mehrere, von gnostischen (s. zu Joh 3,1-21) Irrlehrern bedrohte Gemeinden in Kleinasien gerichtet, ist von der Urkirche dem Herrenbruder und, wie man damals meinte, Apostel Judas (Thaddäus, s. zu Mt 10,3) zugeschrieben worden. Die heutige Forschung sieht im Herrenbruder und im Apostel Judas zwei Persönlichkeiten und neigt dazu, keinen von beiden direkt als Verfasser dieses Dokumentes der Urkirche (zwischen 70 und 90 zu datieren, s. Einleitung C) anzusehen. Es handelt sich vermutlich wie schon bei anderen Schriften des Neuen Testamentes (s. 1Petr A) um eine mehrfach vermittelte »;Autorschaft« der im Titel genannten Persönlichkeit, wenn nicht sogar um ein Pseudepigraphon, d. h. um eine Schrift, die unter »;falschem« Namen umläuft, um ihr Autorität zu sichern, eine in der Antike oft feststellbare Praxis.



B - Der »;Brief« argumentiert in starkem Maße mit Anspielungen auf alttestamentliche und altjüdische außerbiblische Literatur, um das Treiben und Schicksal der Irrlehrer und derer, die sich mit ihnen einlassen, in kräftigen Farben zu schildern. Die gnostische Häresie scheint sowohl eine neue Lehre von Christus und seinem Verhältnis zu den anderen himmlischen Mächten vorgetragen wie einer sittlichen Freizügigkeit (Libertinismus) das Wort geredet zu haben.



C - Es ist wahrscheinlich, daß der »;Brief«, der Ende des 2. Jahrhunderts in Rom, Afrika und Ägypten als kanonisch galt und auch im Muratorischen Kanon genannt wird (s. Einleitung B), dem 2. Petrusbrief als Vorlage gedient hat (s. 2Petr A).

DER BRIEF DES HEILIGEN APOSTELS JUDAS

Gruß

1 Judas, Knecht Jesu Christi und Bruder des Jakobus, an die Berufenen, die in Gott dem Vater geliebt und für Jesus Christus bewahrt sind.1
2 Erbarmen sei euch und Friede und Liebe in Fülle!2

Eingang

3 Geliebte! Da mir sehr am Herzen liegt, euch über unser gemeinsames Heil zu schreiben, halte ich es für notwendig, euch durch dieses Schreiben zu ermahnen, für den Glauben zu kämpfen, der den Heiligen ein für allemal überliefert ist!34
4 Denn es haben sich gewisse Leute eingeschlichen, die längst für das Gericht vorgemerkt sind, gottlose Menschen, die die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen.56

WARNUNG VOR DEN IRRLEHRERN

Warnende Beispiele

5 Erinnern will ich aber euch - die ihr alles wißt -, daß der Herr zwar das Volk aus dem Land Ägypten errettet, danach aber jene, die nicht glaubten, dem Verderben preisgegeben hat,78
6 und die Engel, die ihre Herrscherwürde nicht bewahrt, sondern ihre Wohnstätte verlassen haben, unten im Dunkel mit ewigen Fesseln für den großen Gerichtstag verwahrt hält;910
7 auch Sodom und Gomorra und die Nachbarstädte, die ähnlich wie diese Unzucht trieben und mit Wesen anderer Art verkehren wollten, stehen mit ihrer ewigen Feuerstrafe als warnendes Beispiel da.1112
8 In gleicher Weise beflecken trotzdem auch diese Träumer das Fleisch, verachten die Herrschaft und lästern die Träger der Herrlichkeit.1314
9 Michael aber, der Erzengel, hat, als er mit dem Teufel um den Leichnam des Mose in Streit und Wortwechsel geriet, es nicht gewagt, ein lästerndes Urteil zu äußern, sondern sagte nur: "Der Herr soll dich strafen!"1516
10 Diese aber lästern alles, was sie nicht kennen, und finden in dem, was sie auf natürliche Weise wie das vernunftlose Vieh verstehen, ihr Verderben.1718
11 Wehe ihnen! Sie wandeln auf dem Weg Kains, haben sich in ihrer Gewinnsucht Bileams Trug hingegeben und kommen in ihrer Widersetzlichkeit gleich Korach um.1920#
12 Schandflecken sind sie bei euren Liebesmahlen, wo sie mitschmausen, ohne Scheu sich selbst weidend. Sie sind Wolken ohne Wasser, die vom Wind umhergetrieben werden, Bäume im Spätherbst, ohne Frucht, zweimal abgestorben, entwurzelt,21
13 wilde Meereswogen, die ihre eigenen Schandtaten aufschäumen lassen, Wandelsterne, denen die dunkelste Finsternis auf ewig aufbewahrt ist.2223

Weissagungen über die Irrlehrer

14 Henoch, der siebte Nachkomme Adams, hat von ihnen geweissagt: "Seht, der Herr kommt mit seinen heiligen Myriaden,24#
15 um über alle Gericht zu halten und alle Gottlosen zu strafen für all ihre gottlosen Taten, die sie frevelnd begangen, und für all ihre Schmähreden, die sie, gottlose Sünder, gegen ihn ausgestoßen haben."25
16 Sie sind Nörgler, die mit ihrem Schicksal hadern und ihren eigenen Begierden frönen. Ihr Mund redet Hochfahrendes, und wenn es ihnen einen Vorteil bringt, schmeicheln sie den Menschen.26
17 Ihr aber, Geliebte, seid eingedenk dessen, was die Apostel unseres Herrn Jesus Christus vorausgesagt haben.27
18 Sie haben euch gesagt, daß am Ende der Zeit Spötter auftreten werden, die nach ihren gottlosen Begierden wandeln.28
19 Sie sind es, die Spaltungen hervorrufen, - irdisch Gesinnte, ohne Geist!29

Schluß

20 Ihr aber, Geliebte, erbaut euch an eurem hochheiligen Glauben, betend im Heiligen Geist!30
21 Bewahrt euch in der Liebe Gottes in Erwartung des Erbarmens unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben!31
22 Erbarmt euch der Zweifelnden,32#
23 entreißt sie dem Feuer und rettet sie! Andere bemitleidet in Furcht; haßt sogar das vom Fleisch befleckte Gewand.3334
24 Ihm, der die Macht hat, euch vor dem Fall zu bewahren und ohne Fehl voll Frohlocken vor seine Herrlichkeit hinzustellen:35
25 Ihm, dem alleinigen Gott, unserem Retter, sei durch Jesus Christus, unseren Herrn, Ehre und Herrlichkeit, Herrschaft und Macht vor aller Zeit und jetzt und in alle Ewigkeit! Amen.36
1 ℘ Mt 13, 55;Mk 6, 3;Jak 1, 1;1Joh 5, 18
2 ℘ 2Petr 1, 2
3 V. 3 - 16: Vgl. 2Petr 2, 1 - 22.
4 ℘ 2Petr 1, 5;1Tim 1, 18;+2Tim 4, 7++;2Petr 2, 21
5 "...Gnade in Ausschweifung verkehren" - die Gnade der von Christus geschenkten Freiheit wird von ihnen, wie sich in ihren Ausschweifungen zeigt, in Bindungslosigkeit und Selbstsucht verkehrt.
6 ℘ Gal 2, 4;2Petr 2, 1f;2Petr 3, 3;Mt 24, 11. 24;Mt 7, 15;1Joh 4, 1 - 3. 15;1Joh 2, 18. 22;Lk 6, 26;Offb 2, 2;Offb 16, 13;Offb 19, 20;Offb 20, 10;1Tim 4, 1;Joh 16, 13;2Tim 3, 1;2Tim 4, 3;Jak 3, 15;Jud 18;2Thess 2, 3;Apg 20, 28;Mt 10, 33;Mk 8, 38;Lk 9, 26;Lk 12, 8f;2Tim 2, 12;Apg 4, 24
7 Vgl. Num 14, 26 - 35.
8 ℘ 2Petr 1, 12;1Kor 10, 5
9 Vgl. die Anm. zu 2Petr 2, 4; Gen 6, 1 - 6.
10 ℘ 2Petr 2, 4. 9;Offb 20, 1
11 Vgl. Gen 19, 1 - 25 - "...die ähnlich wie diese Unzucht trieben" - Bezug auf die beiden vorangegangenen Verse (s. Anm. zu 2Petr 2, 4; Gen 6, 1 - 6). - "...mit Wesen anderer Art verkehren wollten" (wörtlich: "sie liefen anderem Fleisch nach") - die Bewohner von Sodom stellten den Engeln nach, die sich in Männergestalt bei Lot einquartiert hatten.
12 ℘ +Mt 10, 15++;2Petr 2, 6. 10
13 "...verachten die Herrschaft" - gemeint ist die Herrschaft Christi; "Träger der Herrlichkeit" = Engel.
14 ℘ +2Petr 2, 10++
15 Als "Erzengel" wird Michael in der Bibel nur hier bezeichnet. - Judas bezieht sich auf die verlorengegangene außerbiblische Schrift "Himmelfahrt des Mose". Die Aussage von Dtn 34, 6 ("Jahwe begrub Mose") schien Späteren anstößig - die Septuaginta (2. Jhd. v.Chr.) z.B. übersetzt: "Man (!) begrub Mose" - deshalb wurde in den Legenden um den Tod und die Bestattung von Mose erklärt, Engel hätten ihn begraben, wobei Michael als Schützer Israels und Bekämpfer des Teufels (vgl. Dan 10, 13. 20f.) eine besondere Bedeutung zukam. - "...nicht gewagt, ein lästerndes Urteil zu äußern" (= den Teufel in einem richtenden Spruch zu verurteilen und zu verdammen, was eine Lästerung der teuflischen Macht gewesen wäre) - Bezug zu "lästern" im vorigen und folgenden Vers: Die Irrlehrer nehmen sich etwas heraus, was nicht einmal Michael im Streit mit Satan diesem gegenüber gewagt hatte.
16 ℘ Offb 12, 7;2Petr 2, 11
17 Vgl. 1Kor 2, 10. 14f.
18 ℘ 2Petr 2, 12
19 Zu Kain vgl. Gen 4, 9 - 12.- Zu Bileam, vgl. Num 31, 8f. 15f; ihn stellt die altjüdische Tradition als Verführer der Israeliten zu Unzucht und Götzendienst dar, was er sich hatte entlohnen lassen. Dafür wurde er auch von den Israeliten getötet. - Zu Korach vgl. Num 16, 2f. 28 - 32.
20 ℘ 2Petr 2, 15
21 ℘ 2Petr 2, 13. 17;Mt 15, 13;Mt 12, 33
22 "Wandelsterne" (planetoi), die im Gegensatz zu den Fixsternen keinen festen Platz am Himmel einnehmen und deshalb für Menschen nicht verläßliche Bezugspunkte sein können.
23 ℘ 2Petr 2, 17
24 Eine Myriade sind Zehntausend, bzw. "eine unzählbare Menge". - Zu Henoch vgl. Gen 5, 21 - 24. - Das in den beiden Jahrhunderten v.Chr. entstandene ursprünglich aramäische, jetzt äthiopisch vorliegende erste Henochbuch (ein zweites, ursprünglich griechisches, jetzt als slawisches Fragment bekanntes Henochbuch scheint ein Ableger des ersten zu sein), berichtet von dem, was der Patriarch in Visionen und auf Reisen durch irdische und himmlische Dimensionen geschaut haben soll, und enthält Spekulationen über den Ablauf der Weltgeschichte und Abschiedsreden an die Nachkommen. Das Buch Henoch erfreute sich - obwohl es nicht in das Verzeichnis der kanonischen Schriften aufgenommen wurde - um die Zeitenwende großer Beliebtheit und genießt bis heute in der äthiopischen Kirche kanonisches Ansehen. (Schiwy)
25 ℘ Mt 25, 31;Mt 12, 36
26 ℘ 2Petr 2, 10. 18;Jud 18
27 ℘ 2Petr 3, 2
28 ℘ +1Tim 4, 1++;Jud 16
29 ℘ 1Kor 2, 14;Jak 3, 15
30 ℘ Kol 2, 7;1Thess 5, 11;Eph 6, 18
31 ℘ 2Tim 1, 18
32 V. 22 - 23: Einige Textzeugen lesen: "(22) Und der einen, der Zweifelnden, erbarmt euch, (23) die anderen rettet, sie aus dem Feuer reißend, wieder andere bemitleidet in Furcht..."
33 Mit den "anderen" sind abgefallene Christen gemeint, die den gnostischen Irrlehren gefolgt sind. - "...vom Fleisch befleckt" - hier bedeutet "Fleisch" die der Sünde verfallene menschliche Existenz.
34 ℘ Jak 5, 19f;Offb 3, 4
35 ℘ 1Thess 5, 23;Phil 1, 10;2Petr 3, 14
36 ℘ Röm 16, 27;1Petr 4, 11;2Petr 3, 18;+Offb 4, 11++