Offb 1
Einführung in die Offenbarung des Johannes
1. Die Offenbarung oder Apokalypse (apokálypsis = Enthüllung; griech.) ist das einzige prophetische Buch des Neuen Testamentes. Der Verfasser ist ein neutestamentlicher Prophet, und zwar der einzige, der Offenbarungen aufgezeichnet hat. Als prophetisches Buch wird es auch von ihm selbst bezeichnet (Offb 1, 3; Offb 22, 7. 10. 18f); damit stellt er sich und sein Buch in die Tradition der alttestamentlichen Prophetie.
Die Weissagungen dieses Buches beziehen sich auf das Schicksal der Kirche, auf ihren Sieg im Kampf mit dem antichristlichen Weltreich, auf die Endkatastrophe und die ihr vorangehenden Drangsale (ähnlich wie die großen Parusiereden des Herrn bei den Synoptikern).
2. In der Offenbarung selbst wird als Verfasser “Johannes, der Knecht Jesu Christi”, genannt (Offb 1, 1. 4. 9; Offb 22, 8). Dieser Johannes ist nach der Überzeugung der ersten christlichen Jahrhunderte kein anderer als der Apostel Johannes, der Lieblingsjünger Jesu. Der Apostelschüler Papias kannte das Buch und erklärte es für ein Werk des Apostels Johannes. Ebenso schreiben es Justin der Märtyrer (gest. 165), Irenäus (gest. um 189), Melito von Sardes u.a. dem Apostel Johannes zu. Erst in späterer Zeit leugneten einige, daß der Apostel Johannes der Verfasser dieser Schrift gewesen sei, weil die Chiliasten, Vertreter einer schwärmerischen Bewegung in der alten Kirche, sich auf die Offenbarung (besonders auf Kap. 20) beriefen, um ihre Hoffnung auf einen tausendjährigen sinnlichen Freudengenuß der auferstandenen Märtyrer und Gerechten auf Erden zu stützen. Sobald aber der Chiliasmus sein Ansehen verlor, verschwanden auch die Zweifel an der Echtheit dieser Schrift.
3. Da Johannes aufgetragen wurde, den Inhalt der Offenbarung niederzuschreiben (Offb 1, 11. 19), kann man annehmen, daß Johannes das Buch geschrieben hat, bald nachdem er die Visionen auf der Insel Patmos geschaut hatte. Nach der Überlieferung der ältesten Kirche war Johannes unter Kaiser Domitian (81-96) nach Patmos verbannt worden. Somit ist die Offenbarung wahrscheinlich um 95 verfaßt worden.
4. Die Offenbarung war zunächst für die Kirche in Kleinasien bestimmt, um sie zur Standhaftigkeit im Glauben und in der Trübsal zu ermuntern. Gegen Ende des ersten Jahrhunderts schwebte diese Kirche in vielfachen Bedrängnissen. Die Christen hatten von der heidnischen Behörde und Bevölkerung wie auch von den Juden allerlei Bedrückungen und Verfolgungen zu erleiden. Irrlehrer wie die Nikolaiten, Kerinthianer u.a. traten auf. Da mochten manche Gläubige sich die bange Frage vorlegen, welches das Schicksal der bedrängten Kirche sein werde. Antwort darauf sollte dieses Buch geben, das den Sieg und Triumph des Reiches Gottes auf Erden über alle feindlichen Mächte weissagt. So war es geeignet, die Gläubigen im Bekenntnis des christlichen Glaubens und im Ausharren inmitten der Verfolgung zu bestärken.
Aber auch für die gesamte Kirche aller Zeiten ist die Offenbarung ein Trostbuch auf ihrem schweren Gang durch die Jahrhunderte; die leidende Kirche Kleinasiens ist ein Typus der großen Weltkirche. Die Offenbarung legt das endgültige Siegel auf die Verheißung des Herrn: “Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen” (Mt 16, 18).
5. Kein Buch der Heiligen Schrift hat eine so verschiedenartige Deutung gefunden wie die Offenbarung des Johannes. Nicht nur in Einzelheiten, sondern auch in der Grundauffassung zeigt sich Verschiedenheit. Man kann die zahlreichen Auslegungen auf drei Modelle zurückführen. Die zeitgeschichtliche Deutung findet in den Visionen der Offenbarung die ersten Jahrhunderte des Christentums, besonders den Sieg über das Judentum und Heidentum, dargestellt. Die kirchengeschichtliche Deutung sieht darin das Schicksal der ganzen christlichen Kirche von ihrer ersten Zeit bis zu ihrer Vollendung versinnbildlicht. Nach dem endgeschichtlichen Deutungsmodell sind vornehmlich die Endschicksale der Kirche zur Zeit des Antichristen dargestellt, jedoch so, daß auch die frühere Geschichte der Kirche in ihren Hauptzügen nachgezeichnet wird. Diese Auffassung findet sich bei den meisten heiligen Vätern und ist die wahrscheinlichste.
6. Der Grundgedanke der Offenbarung ist die Parusie Christi. Schon der erste Teil (die Kapitel 2 und 3) ist eine prophetische Nutzanwendung unter Hinweis auf die Parusie. Der zweite Teil (die Kapitel 4 bis 22) geht ganz auf die Schilderung des Dramas der Parusie ein. Dieses verläuft in drei Akten. Den ersten Akt bilden die Drangsale, die die Öffnung der sieben Siegel und das Ertönen der sieben Posaunen über Erde und Menschenwelt bringen. Es sind schreckliche Ereignisse, aber sie führen an die großen Drangsale erst heran. Der zweite Akt bringt die Zeit der großen Drangsale für die christliche Gemeinde und das göttliche Vernichtungsgericht über die widergöttlichen Mächte. Der Antichrist tritt auf und führt den Vernichtungskampf gegen die Gottesgemeinde auf Erden. Dieser schweren Dransalszeit ist aber von Gott eine Frist gesetzt. Ist diese vorüber, holt der Allmächtige zum Gegenschlag aus. In drei gewaltigen Visionen (Schalen-, Babel- und Reitervision) wird das Vernichtungsgericht über die gottfeindliche Weltmacht dargestellt. Den dritten Akt bildet die Aufrichtung des ewigen Gottesreiches. Nach Inhalt und Aufbau hat die Offenbarung große Ähnlichkeit mit der eschatologischen Rede des Herrn bei den Synoptikern: Mt 24;Mt 25§Mk 13;Lk 21 (vgl. A.Wikenhausen, Der Sinn der Apokalypse, 5-15).
DIE GEHEIME OFFENBARUNG DES HEILIGEN APOSTELS JOHANNES
Vorrede des Sehers
1 Offenbarung Jesu Christi,
die Gott ihm gegeben hat, um
seinen Knechten anzuzeigen,
was bald geschehen muß. Er hat sie
durch seinen Engel, den er
sandte,
kundgetan seinem Knecht Johannes,
12
2 der das
Wort Gottes und das
Zeugnis Jesu Christi bezeugt hat - alles,
was er
geschaut hat.
3
3 Selig,
wer die
Worte der
Weissagung liest und hört,
und bewahrt,
was darin niedergeschrieben ist;
denn die
Zeit ist
nahe.
4
4 Johannes an die
sieben Gemeinden in Asien:
Gnade euch und Friede von dem,
der ist und der war und der kommen wird,
und von den
sieben Geistern,
die vor seinem Thron sind,
56
5 und von Jesus Christus,
dem treuen Zeugen,
dem Erstgeborenen von den
Toten,
dem Herrscher über die
Könige der
Erde,
der uns geliebt und uns durch sein Blut von unseren Sünden erlöst7#
6 und uns zu einem
Königreich, zu
Priestern für
Gott,
seinen Vater,
gemacht hat -
ihm sei
Ehre und Macht in alle Ewigkeit.
Amen.
89
7 Seht, er
kommt mit den
Wolken,
und jedes Auge wird
ihn schauen,
auch die,
die ihn durchbohrt haben;
und wehklagen werden
über ihn alle Stämme der
Erde.
Ja,
Amen.
10
8 Ich bin das
Alpha und das
Omega,
spricht Gott, der
Herr,
der ist und der war und der kommen wird, der
Allmächtige.
1112
Eingangsvision
9 Ich,
Johannes,
euer Bruder und Teilhaber an der
Bedrängnis, an der
Königsherrschaft und an dem geduldigen
Harren auf Jesus,
war um des
Wortes Gottes und um des
Zeugnisses Jesu willen
auf der
Insel genannt Patmos.
1314#
10 Ich
geriet am Tag des
Herrn in Verzückung und hörte hinter mir eine
mächtige Stimme,
wie von einer
Posaune.
1516
11 Sie sagte: "
Was du
siehst, das
schreibe in ein
Buch und sende es an die
sieben Gemeinden,
nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea!"
17
12 Und ich
wandte mich um, den
Sprechenden zu
sehen.
Und als ich mich
umgewandt hatte,
sah ich
sieben goldene Leuchter18
13 und inmitten der
Leuchter einen, der einem
Menschensohn ähnlich war,
bekleidet mit einem bis auf die
Füße reichenden Gewand
und einem
goldenen Gürtel um die
Brust.
19
14 Sein Haupt und seine
Haare waren
weiß wie schneeweiße Wolle,
seine Augen wie Feuerflammen,
20#
15 seine Füße wie im Ofen geglühtes Erz und seine Stimme wie das
Rauschen vieler Wasser.
21#
16 In seiner Rechten hielt er
sieben Sterne.
Aus seinem Mund kam ein
scharfes,
zweischneidiges Schwert.
Sein Antlitz strahlte wie die
Sonne in ihrer vollen
Kraft.
22#
17 Bei seinem Anblick fiel ich
wie tot zu seinen Füßen.
Doch er
legte seine Rechte auf mich und
sprach: "
Fürchte dich
nicht!
Ich bin der Erste und der Letzte23#
18 und der Lebendige. Ich
war tot,
aber siehe, ich
lebe in alle Ewigkeit. Ich
habe die
Schlüssel des
Todes und des
Totenreiches.
24#
19 Schreibe nun nieder, was du gesehen hast, was ist und was hernach geschehen wird.#
20 Das
Geheimnis der
sieben Sterne,
die du
in meiner Rechten gesehen hast,
und der
sieben goldenen Leuchter (will ich dir enthüllen): Die
sieben Sterne sind die
Engel der
sieben Gemeinden,
und die
sieben Leuchter sind die
sieben Gemeinden.
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