2Sam 1



Einführung in das zweite Buch Samuel





Die messianische Verheißung für David und sein Haus



Alles, was bisher in den biblischen Büchern erzählt worden ist, war in den großen Spannungsbogen gefügt, der mit der Verheißung an Abraham einsetzt, über die Heilstaten Gottes an Israel in der Herausführung aus Ägypten und der Hineinführung nach Kanaan weiterschwingt und nun mit Davids Königtum in Jerusalem gleichsam am anderen Ende wieder aufsetzt. Gottes Verheißungen sind trotz Israels Untreue und Versagen und über alle Verzögerungen und Rückschläge hinweg, erfüllt. Was im Josuabuch schon vorwegnehmend gesagt war (vgl. Jos 21, 43 - 45), ist feste und greifbare Wirklichkeit geworden: Gottes Volk ist zur ‘Ruhe’ gekommen in Gottes Land, sicher vor seinen Feinden, geeint in einem großen und mächtigen Reich und unter einem König, mit dem Gott im Bund ist, der als HERR des Heiles der wahre König seines Volkes Israel ist und bleibt.



Nun aber setzt etwas Neues ein. Es beginnt, fast wie selbstverständlich, damit, daß David die vernachlässigte Bundeslade des Herrn nach Jerusalem holt, um so auch nach außen hin deutlich zu machen, daß Gott mit ihm ist. Denn das ist das Zeichen: Gott in Israels Heiligtum und sein Gesalbter auf Israels Thron - zusammen in der einen Stadt!



Dabei ist wichtig zu sehen, daß Jerusalem zu keinem der Stämme Israels gehört. David hat die Stadt erobert, sie ist seine Stadt, die ‘Davidsstadt’. In ihr erbaut er sich nun sein Palasthaus. In ihr will er auch für Gott ein Tempelhaus bauen. - Und an diesem Punkt setzt überraschend das Neue ein, das in bisher unerreichter Verdichtung als neuer Mittelpunkt des Heiles sichtbar wird.



Nicht von ungefähr steht hier wiederum bedeutsam das Wort der ‘Ruhe’, die Gott dem König verschafft hat (vgl. 2Sam 7, 1). Nun will David, daß auch Gott gleichsam zur Ruhe komme in Israel und daß er, des zum Zeichen, ein festes Haus erhalte in der Davidsstadt. Das ist Davids Plan, und Natan, der Prophet, der David zu Seiten steht, stimmt zu: ‘Führe alles aus, was du im Sinn hast! Denn der Herr ist mit dir’ (2Sam 7, 3).



Doch nun enthüllt Gott seinen anderen Plan. Die Geschichte Gottes mit Israel ist nicht am Ziel, sondern geht weiter und Gott geht weiter mit. Die ‘Nahziele’ der Verheißung sind wohl erreicht, aber das große ‘Fernziel’ steht noch aus. Was Gott dem König durch den Mund des Propheten verkünden läßt, zielt verborgen in die Zukunft. Deshalb soll nicht David Gott ein Haus bauen, sondern Gott wird dem David ein Haus bauen, das über die Zeiten hin dauert. Sein Königtum soll Bestand haben für immer. In dieser großen Verheißung schimmert zum ersten Mal der messianische Glanz auf, der von nun an mit Davids Namen, Thron und Reich unlöslich verbunden bleibt.



Wohl ist dies alles nur erst verhalten angedeutet. Aber es ist ein Keim, der sich immer reicher entfaltet. Daß der Dynastie Davids fast ein halbes Jahrtausend ununterbrochener Herrschaft beschieden wird, ist dabei nicht einmal das Entscheidende. Denn gerade als das Königtum in Israel immer mehr versagt, die Könige in Jerusalem sich immer weiter von ihrem Urbild David entfernen und schließlich mit Jerusalem untergehen, entläßt die Gottesverheißung an David erst recht ihr in die Zukunft weisendes Licht und wird zum stärksten Ausdruck aller Heilshoffnungen Israels. An sie knüpfen die Propheten an (vgl. Jes 9, 5f;Jes 11, 1 - 3;Jer 23, 5f;Jer 30, 9;Jer 33, 14 - 17;Ez 34, 23f;Ez 37, 24 - 27;Amos 9, 11;Mi 5, 1 - 5 u.ö.), um durch Gericht und Unheil hindurch die Vision künftiger Vollendung des Heils zu zeichnen in der Gestalt des verheißenen Davidsohnes, dessen Reich und Herrschaft dann auch in den Psalmen bisweilen schon zusammengeschaut wird mit Gottes unvergänglicher Königsherrschaft über die ganze Welt und über alle Völker (vgl. Ps 2;Ps 72;Ps 89;Ps 110).



Die Bücher des Neuen Testamentes schließlich wissen auch das ‘Fernziel’ (vgl. Eph 2, 13. 17) erreicht und deuten die Erfüllung der Gottesverheißung vollmächtig auf Jesus von Nazaret, den ‘Sohn Davids’ (vgl. Mt 1, 1 - 17;Mt 2, 5f;Mt 9, 27;Mt 12, 23;Mt 22, 42 - 25 u.ö.), dem Gott den Thron seines Vaters David und die ewige Königsherrschaft verleiht (vgl. Lk 1, 32f). Ihn feiert das Volk beim Einzug in die Stadt Jerusalem: ‘Hosanna dem Sohn Davids!’ (Mt 21, 9). Petrus am Pfingstfest (vgl. Apg 2, 29 - 36) und Paulus in Antiochien (vgl. Apg 13, 22 - 25) bezeugen, daß Gottes Verheißung an David sich erfüllt hat in Jesus, dem Herrn und Messias.





Das zweite Buch Samuel

David als König

David erhält die Nachricht vom Tod Sauls

1 Es war nach dem Tod Sauls. Als David vom Sieg über die Amalekiter zurückgekehrt war und zwei Tage in Ziklag verweilt hatte,12
2 kam am dritten Tag aus dem Lager Sauls ein Mann mit zerrissenen Kleidern und staubbedecktem Haupt. Bei David angelangt, warf er sich ehrerbietig zur Erde nieder.3
3 David fragte ihn: "Woher kommst du?" Er antwortete ihm: "Aus dem Lager der Israeliten bin ich entkommen."
4 David fragte ihn weiter: "Was ist geschehen? Erzähle es mir!" Er berichtete: "Das Heer ist aus der Schlacht geflohen. Viele von den Leuten sind gefallen und umgekommen. Auch Saul und sein Sohn Jonatan sind tot."
5 Darauf fragte David den jungen Mann, der ihm die Botschaft brachte: "Woher weißt du, daß Saul und sein Sohn Jonatan tot sind?"
6 Der junge Mann, der ihm Bericht erstattete, gab zur Antwort: "Ich kam von ungefähr auf das Gebirge Gilboa. Da sah ich Saul auf seinen Speer gestützt dastehen. Wagen und Wagenkämpfer drangen auf ihn ein.
7 Als er sich umwandte und mich erblickte, rief er mich an. Ich antwortete: >Hier bin ich!<
8 Er fragte mich dann: >Wer bist du?<, und ich erwiderte ihm: >Ein Amalekiter bin ich.<
9 Da befahl er mir: >Tritt her zu mir und töte mich; denn der Schlag hat mich getroffen, und doch ist noch das volle Bewußtsein in mir!<
10 So trat ich denn hinzu und tötete ihn; denn ich wußte wohl, daß er seinen Fall nicht überleben würde. Dann nahm ich den Stirnreif von seinem Haupt und die Spangen von seinem Arm. Hiermit überbringe ich sie meinem Herrn."4

Bestrafung des vermeintlichen Mörders

11 Da faßte David seine Kleider und zerriß sie; ebenso taten alle Männer, die bei ihm waren.56
12 Sie klagten und weinten und fasteten bis zum Abend um Saul und seinen Sohn Jonatan, um das Volk des Herrn und das Haus Israel, weil sie durch das Schwert gefallen waren.7
13 David fragte dann den jungen Mann, der ihm die Botschaft gebracht hatte: "Woher bist du?" Er antwortete: "Ich bin der Sohn eines amalekitischen Fremdlings."
14 Da fuhr David ihn an: "Wie, du hast dich nicht gescheut, deine Hand auszustrecken und dem Gesalbten des Herrn das Leben zu nehmen?"8
15 Und David rief einen seiner Krieger herbei und befahl: "Komm her! Stoß ihn nieder!" Der gab ihm den Todesstoß.9
16 David aber rief ihm zu: "Dein Blut komme über dein Haupt; denn dein eigener Mund hat wider dich Zeugnis abgelegt, da du sagtest: >Ich habe den Gesalbten des Herrn getötet<."10

Davids Klage um Saul und Jonatan

17 David sang auf Saul und dessen Sohn Jonatan folgendes Klagelied.
18 Er befahl, man solle die Söhne Judas das Bogenlied lehren. Aufgezeichnet ist es im Buch der Helden:11
19 Auf deinen Höhen, Israel, liegen tot die Besten; wie sind sie gefallen, die Helden?12
20 Schweigt darüber in Gat! Sprengt die Kunde nicht aus auf Aschkelons Straßen! Sonst freuen sich der Philister Töchter, sonst jubeln laut die Töchter der Heiden.1314
21 Berge von Gilboa! Nicht Tau, nicht Regen netze fürderhin euch noch die Felder, die voll der Erstlingsfrucht: denn dort liegen die Schilde der Helden, - Sauls Schild, als wäre er nie mit dem Öl gesalbt.15
22 Ohne das Blut der Erschlagenen, ohne das Fett der Helden kehrte nie zurück Jonatans Bogen; nie kehrte erfolglos heim Sauls Schwert.16
23 Ja, Saul und Jonatan, die Lieben, die Treuen: Wie im Leben sind im Tod sie vereint. Schneller waren sie als die Adler, stärker als Löwen.
24 Töchter Israels, weint um Saul! Der euch köstlich in Purpur gewandet, mit goldener Zier eure Kleider behing.17
25 Wie sind doch gefallen die Helden in des Kampfes Gewühl! Auf deinen Höhen liegt Jonatan tot.
26 Leid trage ich um dich, du mein Bruder, Jonatan! Wie warst du mir lieb! Höher als die Liebe der Frauen galt mir deine Liebe.18
27 Ach, gefallen sind die Helden, zerbrochen das Rüstzeug zum Krieg.19
1 Zwei Berichte über den Tod Sauls sind hier zu erkennen vgl. 2Sam 1, 1 - 4. 11f. und 2Sam 1, 5 - 10. 13 - 16.
2 ℘ 1 - 10 # 1Sam 31, 1 - 13§1Sam 30
3 ℘ 1Sam 4, 12 - 17;2Sam 15, 32§Ijob 2, 12
4 ℘ 2Kön 11, 12
5 V. 11 - 16: David hatte keinen Grund, den offenbar erdichteten (vgl. 1Sam 31, 4) Bericht des Amalekiters für unglaubwürdig zu halten (vgl. V.16). Als rechtmäßiger König hielt er es aber für seine Pflicht, der offenkundigen Tötung des >Gesalbten des Herrn< die gebührende Sühne zu schaffen. Trotz der äußeren Zeichen der Trauer (vgl. 1Sam 4, 12) handelte der Amalekiter, der David als dem Gegner Sauls eine lohnenswerte Botschaft bringen wollte, voll schlauer (zu schlauer!) Berechnung. Über den gewinnsüchtigen, betrügerischen >Boten<, der wahrscheinlich den bereits toten König beraubt hatte und nun David als dem künftigen König schmeicheln wollte, kam statt der erhofften Belohnung eine unverhofft strenge Strafe.
6 ℘ Jos 7, 6;2Sam 13, 31;1Makk 11, 71
7 ℘ Ri 20, 26
8 ℘ 1Sam 10, 1§1Sam 31, 4;1Sam 24, 7;1Sam 26, 9
9 ℘ 2Sam 4, 10
10 ℘ 1Kön 2, 32f;Ez 33, 2 - 4
11 ℘ Jos 10, 13
12 ℘ 1Makk 9, 21
13 Gat und Aschkelon sind zwei der fünf Philisterhauptstädte. Ihnen soll die Trauernachricht verschwiegen werden, da sie dort nur helle Freude auslösen würde.
14 ℘ Mi 1, 10§Ri 16, 23f;1Sam 31, 8f
15 ℘ Gen 27, 28;Dtn 33, 13;Jes 5, 6;Jes 21, 5
16 ℘ 1Sam 14, 47
17 ℘ Ri 5, 30
18 ℘ 1Sam 18, 1. 3
19 ℘ 2Sam 1, 19. 25. 27;1Makk 9, 21