Amos 1

Einführung in das Buch Amos





Die Botschaft vom Ende



Obwohl dritter im Zwölfprophetenbuch, ist Amos, zeitlich gesehen, der älteste der sogenannten "Schriftpropheten", d.h. er ist der erste Prophet, von dem eine Sammlung von "Worten" schriftlich überliefert ist.



Der Grundstock des Buches scheint aus fünf Visionsberichten zu bestehen, die zu eindringlichen Verkündigungsworten ausgeformt sind und deren Aufzeichnung sogar auf Amos selbst zurückgehen könnte. Dieser "Visionsschrift" vorangestellt ist eine Sammlung meist stichwortartig aneinandergereihter prophetischer Aussprüche, deren Aufzeichnung wohl anderen (Jüngern oder Schülern) zu verdanken ist. Schließlich ist als geschichtlicher Anhang zum Verkündigungstext der dritten Vision noch ein kleiner aber äußerst wichtiger Bericht über das Ende der Tätigkeit des Amos in Israel eingeschaltet (Amos 7, 10 - 17).



Amos stammt aus Tekoa, einem kleinen Dorf am Rande der Wüste, etwa drei Wegstunden südlich von Jerusalem. Hirt von Beruf (vgl. Amos 7, 14), ist er gewohnt, scharf zu spähen und drohende Gefahren rasch zu erkennen.



Aber nicht das hat ihn zum Propheten gemacht, daß er fähig ist, hinter der glänzenden Fassade seiner Zeit die innere Hohlheit und Brüchigkeit zu erkennen oder am Horizont der Geschichte die Gefahren machtpolitischer Umwälzungen heraufziehen zu sehen.



Das Nordreich Israel unter König Jerobeam II. auf dem Gipfel seiner Macht, glaubt sich sicher und geborgen in Gottes Schutz, weil äußerlich alles in Ordnung zu sein scheint und vor allem der Gottesdienst am Heiligtum von Bet-El (vgl. Amos 7, 13) mit aufwendigem Prunk gefeiert wird. Daß damit himmelschreiende Ungerechtigkeiten der Reichen und Mächtigen gegen die Armen und Schwachen Hand in Hand gehen, scheint demgegenüber kaum ins Gewicht zu fallen.



Doch eines Tages steht Amos da und nennt die Dinge beim Namen. Nicht als ob in ihm das soziale Gewissen erwacht wäre und ihn zum Anwalt des getretenen und ausgenutzten Mannes gemacht hätte! Nein, Amos selbst berichtet mit nüchterner, aber um so überzeugender Sachlichkeit, wie das Unerklärliche geschehen ist: Gott, der Herr Israels, hat ihn unvermittelt und unwiderstehlich hinter der Herde weggeholt und ihn, den Judäer, als Propheten in seinem Auftrag ins Nordreich Israel gesandt. (Etwa um das Jahr 760 v.Chr.)



Einzig deswegen also ist der Hirt aus Tekoa ins mächtige Reich Jerobeams II. gekommen und stimmt dort nun die "Totenklage" über Israel an (vgl. Amos 5, 1f). Denn die Botschaft, die Gott ihm aufgetragen hat, ist von furchtbarer Eindeutigkeit. Es ist die Botschaft vom "Ende", das über Israel kommen wird (vgl. Amos 8, 2f;Amos 9, 1 - 4). Gewiß, Israel ist Gottes auserwähltes Volk - das stellt auch Amos nicht in Frage (vgl. Amos 3, 1f) -, aber der Herr Israels ist der allmächtige Gott der Welt, und wenn er Gericht hält über die Völker, dann erst recht über Israel (vgl. Amos 9, 7). Aus diesem Wissen um Gottes unerbittliche Gerechtigkeit brechen immer härtere Worte furchtbarster Drohung.



Es scheint vieles dafür zu sprechen, daß Amos nicht lange im Nordreich hat wirken können. Er ist bald des Landes verwiesen worden (vgl. Amos 7, 12) und scheint wieder in seine Heimat zurückgekehrt zu sein.





Das Buch Amos

Die Botschaft vom Ende

1 Die Reden des Amos, der zu den Viehzüchtern von Tekoa gehörte. Er weissagte über Israel in den Tagen des Königs Usija von Juda und in den Tagen des Jerobeam, des Sohnes des Joasch, des Königs von Israel, zwei Jahre vor dem Erdbeben.1

Gerichtsankündigung

2 Er sprach: Der Herr brüllt von Zion her. Aus Jerusalem dröhnt seine Stimme. Da trauern die Auen der Hirten, der Gipfel des Karmel verdorrt.23

Über die heidnischen Nachbarvölker

Über die Syrer

3 So spricht der Herr: "Wegen drei Frevel von Damaskus, ja wegen der vier, will ich es nicht wenden: Weil sie mit eisernen Schlitten Gilead droschen,45
4 werfe ich Feuer in Hasaëls Haus, daß es fresse Ben-Hadads Burgen.67
5 Ich zerbreche den Riegel von Damaskus. Ich vernichte Bikat-Awens Herrscher sowie Bet-Edens Zepterträger. Arams Volk muß wandern nach Kir!" - Der Herr hat es gesprochen.89

Über die Philister

6 So spricht der Herr: "Wegen drei Frevel von Gaza, ja wegen der vier, will ich es nicht wenden: Weil bis zum letzten Mann sie alle hinweggeführt, sie zu verkaufen an Edom,10
7 werfe ich Feuer in Gazas Mauern, daß seine Burgen es fresse.11
8 Ich vertilge die Bürger von Aschdod samt Aschkelons Zepterträgern. Gegen Ekron strecke ich aus meinen Arm. Umkommen wird der Rest der Philister." - Der allmächtige Herr hat es gesprochen.

Über die Phönizier

9 So spricht der Herr: "Wegen drei Frevel von Tyrus, ja wegen der vier, will ich es nicht wenden: Weil bis zum letzten Mann sie alle ausgeliefert an Edom, des Bruderbundes nicht gedenkend,12
10 werfe ich Feuer in die Mauern von Tyrus, daß seine Burgen es fresse."

Über die Edomiter

11 So spricht der Herr: "Wegen drei Frevel von Edom, ja wegen der vier, will ich es nicht wenden: Weil mit dem Schwert es den Bruder verfolgte, das Mitleid erstickte, ewig festhielt seinen Grimm, seinen Groll stets bewahrte,1314
12 werfe ich Feuer nach Teman, daß es fresse die Burgen von Bozra."15

Über die Ammoniter

13 So spricht der Herr: "Wegen drei Frevel der Ammoniter, ja wegen der vier, will ich es nicht wenden: Weil sie Gileads Schwangere aufgeschlitzt, als sie erweiterten ihr Land,1617
14 lege ich Feuer an Rabbas Mauern, daß seine Burgen es fresse beim Schlachtruf am Tag des Kampfes, beim Tosen am Tag des Sturms.18
15 Da wandert gefangen ihr König fort, mitsamt seinen Fürsten."
1 Tekoa lag südöstlich von Betlehem, im Gebirge Juda, am Westrand der Wüste am Toten Meer (vgl. Jer 6, 1). Als Viehzüchter gehörte Amos der einfachen Volksschicht an, wenn er auch dabei eine gewisse Wohlhabenheit besitzen konnte. Da Amos ein Judäer ist, wird die Zeitbestimmung seiner Wirksamkeit auch nach dem König von Juda angegeben. - Wann das von Amos vorausgesagte (Amos 2, 13 - 16) Erdbeben stattfand, ist nicht bekannt.
2 Die Stimme des zum Gericht über sein Volk kommenden Gottes wird mit dem Gebrüll des Löwen verglichen, der sich auf seine Beute stürzt (vgl. auch Amos 3, 8). - Vor dem göttlichen Gerichtszorn verdorrt das ganze Land bis hinauf zu den sonst immergrünenden Höhen des Karmelgebirges (vgl. die Anm. zu 1Kön 18, 19).
3 ℘ Ps 29, 5 - 9;Ri 5, 4;1Sam 7, 10;Jes 2, 9 - 19;Jes 6, 1 - 4;Jes 8, 18
4 Zum sog. >Zahlenspruch< vgl. die Anm. zu Ps 62, 12. - Zum >(Dresch)Schlitten< vgl. die Anm. zu 2Sam 24, 22). - Die Anwendung solcher Maschinen im Krieg gegen gefangene und gefallene Feinde offenbart die Grausamkeit der Damaszener, überhaupt der damaligen Kriegsführung. - Zu Gilead vgl. die Anm. zu 2Kön 10, 33.
5 ℘ 3 - 5 # Jes 17, 1 - 3;Jer 49, 23 - 27
6 Hasaël bestieg zur Zeit Jorams von Israel (852 - 841 v.Chr.) den Thron von Syrien (2Kön 8, 7 - 15). Er kämpfte erfolgreich gegen das Nordreich unter Jehu (841 - 814 v.Chr.) und Joahas (814 - 798 v.Chr.). Unter Joasch von Juda (835 - 796 v.Chr.) nahm er Get weg und zog gegen Jerusalem (2Kön 12, 18f). Sein Nachfolger Benadad III. wurde aber von den israelitischen Königen Joasch (798 - 783 v.Chr.) und Jerobeam II. (783 - 743 v.Chr) besiegt. - Hasaël und Benadad bezeichnen hier die ganze Dynastie der syrischen Könige.
7 ℘ 2Kön 10, 32
8 >Sündental< (bikat-aven) ist wahrscheinlich ein symbolischer Name für Damaskus, während >Bet-Eden< (Lusthaus; assyr. bit-adini) eine Stadt in Nordsyrien bezeichnet. - Zu Kir vgl. 2Kön 16, 9.
9 ℘ 2Kön 16, 9
10 ℘ 2Chr 21, 16f;Zef 2, 4 - 7
11 V. 7 - 8: Gaza, Aschdod, Aschkelon und Ekron waren berühmte Städte der Philister.
12 V. 9 - 10: Vgl. Jes 23 und die Kapitel 26 - 28 des Buches Ezechiel. - Zum >Bruderbund< vgl. 1Kön 5, 26.
13 Edom (= Esau) war der Bruder Jakobs. - Zum Verhältnis der Edomiter zu den Israeliten vgl. die Anm. zu Ps 137, 7.
14 ℘ 11 - 12 # Jer 49, 7 - 22;Ez 35
15 Teman, der vornehmste Stamm in Edom (Gen 36, 15;Ez 25, 13), steht für das ganze Volk (Obd 9;Hab 3, 3). Zu >Bozra< vgl. die Anm. zu Jes 34, 6.
16 Vgl. die Anm. zu Ps 83, 9.
17 ℘ 13 - 15 # Jer 49, 1 - 6§2Kön 8, 12;2Kön 10, 32;2Kön 15, 16
18 Zu >Rabba< vgl. die Anm. zu 2Sam 10, 3.