Ex 1



EinfÜhrung in das zweite Buch Mose: Exodus





Gottes Bundesvolk: Das gerettete Israel



Das Buch Exodus (Auszug) enthält eine Sammlung geschichtlicher Überlieferungen zum Grundbekenntnis des Glaubens, aus dem Israel lebt: JAHWE, unser Gott, der uns herausgeführt aus Ägypten, aus dem Hause der Knechtschaft (vgl. Ex 20, 2). Mit diesem Buch beginnt das Zeugnis der eigentlichen Geschichte Gottes, des HERRN, mit Israel, seinem Volke.



Von hier aus enthüllen sich die weitläufigen Vätererzählungen des Buches Genesis (samt ihrem universalen Vorbau in der "Urgeschichte") als Einleitung - wichtig zwar wie jede Einleitung, weil sie die nötigen Voraussetzungen mitteilt, die Zielsetzung sichtbar macht, das Thema schon andeutet und zu ihm hinführt - , im Hinblick auf das Ganze des Fünfbuches aber doch nur Einleitung und noch nicht Hauptsache.



Das als Grundvoraussetzung gegebene, die Zielrichtung bestimmende und zum Thema hinführende Zeugnis des Buches Genesis ist die Gottesverheißung an Abraham (vgl. Gen 12, 1 - 3) mit ihren "Nahzielen" (Nachkommenschaft und Besitz des Landes Kanaan ) und ihrem großen "Fernziel" (Segen für alle).



Im weiteren Verlauf der Vätererzählungen ist bereits die beginnende Verwirklichung des ersten Teiles dieser Verheißung gezeichnet: Abrahams Nachkommen wachsen an Zahl (vgl. Gen 47, 27). Dieser Erzählungsfaden läuft nun ins Buch Exodus hinein (vgl. Ex 1, 7), um sich hier mit einer Fülle ebenfalls weitverzweigter Überlieferungsstücke zu verbinden, in denen bezeugt werden soll, wie Gott die Gesamtverheißung an die Väter weiterführt und weiter erfüllt.



Gott offenbart sich am Anfang der Exodus-Erzählungen als JAHWE, d.h. als den rettenden Gott, als den HERRN des Heiles. Mit seinem Namen steht er für immer zu seiner Verheißung. Er befreit die in der Erwählung der Väter erwählten Stämme Israels mit machtvoller Tat aus Ägypten, bewahrt und führt sie in der Wüste, um sie auf den Weg zu bringen nach Kanaan, dem Lande, worin ihre Väter "vordem als Fremdlinge weilten" (Ex 6, 4) und jetzt in dem schon zu eigen erworbenen Fleckchen Erde (dem "Angeld der Hoffnung"), im Grab der Machpela-Höhle, ruhen. Die Heilstat des Auszugs gipfelt in der Errettung Israels am Schilfmeer. Im Lobpreis dieser Heilstat hat das zunächst mündlich weitergegebene, im Kult je und je vergegenwärtigte und später in der Schrift aufbewahrte Bekenntnis zu Gott, dem HERRN des Heiles, seinen stets lebendig gebliebenen Kern (vgl. Ex 15, 1. 21).



Ebenso breiten Raum aber nehmen im Buche Exodus die um ausgedehnte und vielgestaltige Gesetzessammlungen herumgeführten Erzählungen ein, in denen die andere Heilstat Gottes bezeugt ist - : Gott, der HERR, schließt mit dem geretteten Volk am Sinai den Bund, durch den er Israel als sein eigenes Volk annimmt und zu dem Israel sich bekennt, indem es sich an Gottes Willen bindet. Auch hierauf ist schon im Buche Genesis in der Form einer Verheißung hingewiesen: " Ich will ihr Gott sein" (Gen 17, 8). Dieses Heilsgut der Nähe zu Gott in der Gemeinschaft des Bundes erhält im Gesetz und im Kult am Heiligtum feste und verbindliche Gestalt.



Wie sich jedoch in der "Urgeschichte" und in den Vätererzählungen jeweils Gottes gnädiges Gewähren und strenges Fordern einerseits und das Versagen und die Schuld der Menschen andererseits gegenüberstehen, so tritt auch im Buche Exodus dem göttlichen Heilshandeln an Israel immer wieder der verstockte, aufrührerische Sinn des Volkes in Ungehorsam und Auflehnung gegenüber: Dem Bundesschluß folgt der Bundesbruch auf dem Fuße. Und wie dort das Strafgericht Gottes die Menschen trifft, aber am Ende Gott sich wieder der Menschen erbarmt und neu mit ihnen beginnt, so entbrennt auch hier Gottes Zorn gegen sein untreues Volk, überwiegt aber am Ende sein neu geschenktes Erbarmen: Gott gewährt die Erneuerung des gebrochenen Bundes und nimmt Israel wieder in Gnaden an.



Mit diesem dramatischen Widerspiel von Huld und Schuld, von Gericht und Gnade wird die Geschichte Gottes mit Israel erst zur wirklichen Heilsgeschichte des unbegreiflichen Gottes, die nichts verharmlost und überdeckt, sondern um beides weiß: um den Abgrund menschlicher Sünde und um den noch größeren Abgrund göttlicher Liebe. (Von hierher kann deshalb Israel auch gar nicht anders, als in der späteren Rückschau die ganze Vorgeschichte in diesem Lichte zu sehen und mit diesem Maßstab zu messen.)



Gott ist und bleibt der HERR des Heiles. Er steht in unbegreiflicher Treue zu Verheißung und Bund - trotz Israels Schuld und Versagen. Darum ist die Zukunft immer die Zukunft Gottes und immer der Hoffnung offen.



Diese beständige Treue Gottes auf dem Hintergrund der eigenen Untreue beglückt zu bekennen, und dankbar zu rühmen als Gottes Geheimnis, an Israel offenbart, mag darum nicht das letzte Anliegen des Glaubenszeugnisses der Geschichte Israels sein, die mit dem Buche Exodus einsetzt.





Gottes Heilstat an Israel: Die Rettung aus der Knechtschaft in Ägypten



Der lange Zeitraum, in dem Israel in der Stille heranwächst, hat im Zeugnis der Bibel keinen Niederschlag gefunden. Erst als die Nachkommenschaftsverheißung von der Wurzel her vereitelt zu werden droht, setzt die Erzählung wieder ein mit der vorbedeutenden Rettung des Mose aus dem Nil und der Rettung des Volkes Israel im Auszug aus Ägypten.



Diese Errettung aus tödlicher Bedrohung durch die Herausführung aus der Lande der Knechtschaft und die Hineinführung in die Freiheit der Gemeinschaft mit Gott hat prägende Kraft für immer: Israel ist und bleibt das Volk des Auszugs.



Im Auszug wird Israel zum Volk und gleichzeitig zu Gottes Eigentumsvolk. Der Auszug ist daher das grundlegende, alles Folgende begründende Ereignis seiner Geschichte, und das Bekenntnis zu dieser Heilstat Gottes ist für immer das Grundbekenntnis seines Glaubens geblieben. Für immer weiß Israel sich im Auszug von Gott angenommen und errettet, von Gott bewahrt und geführt. Für immer weiß Israel sich aber auch durch den Auszug an Gott gebunden und ihm verpflichtet zu Dank, Treue und Gehorsam.



Deshalb stellt, was im Auszug geschieht, die Grundbefindlichkeit Israels dar und behält dauernde Gültigkeit als Unterpfand der göttlichen Nähe, aber auch als bleibender Ruf, jede irdische Sicherheit aufzugeben, auf ihn allein zu vertrauen und immer wieder mit ihm den Aufbruch in die Zukunft zu wagen.



Es ist zudem unverkennbar, daß die Texte des Buches die Prägung, in der sie hier vorliegen, erhalten haben bei der Jahr für Jahr vollzogenen Feier des Pascha-Festes. Dabei hat man sinnvoll uralte Riten aufgenommen und auf das geschichtliche Ereignis bezogen: Das Lammopfer eines nomadischen Frühlingsfestes und den Genuß ungesäuerten Brotes als Brauch einer bäuerlichen Neujahrsfeier ebenfalls im Frühling, wobei das Weglassen des Sauerteiges vom alten Jahr sinnbildlich den Beginn des neuen bezeichnet.



Die Gestalt des Mose aber als des Werkzeuges der Befreiung, des Mittlers des Bundes, des Gesetzgebers und des Fürsprechers für Israel ist mit allem, wovon im Buche Exodus und in den folgenden Teilen des Fünfbuches berichtet ist, unlöslich verbunden. In seinem Werk und Zeugnis hat das Zeugnis des Fünfbuches auch seine literarische Mitte, so daß das ganze Werk mit Recht nach seinem Namen genannt ist.



Aus der Sicht des Neuen Bundes her kann es nicht überraschen, daß in der Pascha-Feier die beiden Testamente am innigsten aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind. Nach dem Zeugnis der Evangelien hat Christus seine alles überbietende und vollendende Heilstat an einem Pascha-Fest vollbringen wollen und das alte Gedächtnis des Auszugs mit neuem Sinn erfüllt. Als ein neuer Mose ist er "der Mittler eines neuen Bundes" (Hebr 9, 15) in seinem Blute (vgl. Lk 22, 20) geworden und hat alle, die ihm glaubend folgen, erlöst aus der Knechtschaft der Sünde und befreit zur "herrlichen Freiheit der Kinder Gottes" (Röm 8, 21).

Das Buch Exodus

Die Bedrückung Israels in Ägypten

Das Wachstum Israels

1 Dies sind die Namen der Söhne Israels, die alle mit ihren Familien zusammen mit Jakob nach Ägypten gekommen waren:1
2 Ruben, Simeon, Levi, Juda,
3 Issachar, Sebulon, Benjamin,
4 Dan, Naftali Gad und Ascher.
5 Die Zahl der Nachkommen Jakobs belief sich auf siebzig; Josef aber weilte schon vorher in Ägypten.2
6 Nach dem Tod Josefs und all seiner Brüder sowie jenes ganzen Geschlechtes3
7 vermehrten sich die Israeliten sehr und wurden überaus zahlreich und stark, so daß das ganze Land von ihnen dicht bevölkert wurde.4

Auflegung von Fronarbeiten

8 Nun kam ein neuer König in Ägypten zur Herrschaft, der von Josef nicht wußte.5
9 Der sagte zu seinem Volk: "Seht, das Volk der Israeliten ist zahlreicher und stärker als wir.
10 Wohlan, wir wollen gegen es klug zu Werke gehen, damit es nicht noch weiter wächst und im Falle eines Krieges zu unseren Feinden übergeht, gegen uns kämpft und aus dem Land wegzieht."6
11 Sie bestellten darum Fronvögte über dasselbe, um es mit Fronarbeiten zu bedrücken: es mußte für den Pharao die Vorratsstädte Pitom und Ramses bauen.78
12 Aber je mehr sie es bedrückten, desto zahlreicher wurde es und desto mehr breitete es sich aus, so daß ein Grauen vor den Israeliten sie erfaßte.
13 Deshalb nötigten die Ägypter die Israeliten mit Gewalt zur Arbeit.9
14 Sie erschwerten ihnen das Leben durch harte Fron bei Lehm und Ziegeln und allerlei Feldarbeit. Zu all diesen Arbeiten zwang man sie.10

Die Tötung der neugeborenen Knaben

15 Den hebräischen Hebammen aber, von denen eine Schifra, die andere Pua hieß, gab der König von Ägypten folgenden Befehl:
16 "Wenn ihr den Hebräerinnen Geburtshilfe leistet, so achtet auf das Geschlecht: Ist es ein Knabe, so tötet ihn! Ist es ein Mädchen, so mag es am Leben bleiben!"11
17 Doch die Hebammen waren gottesfürchtig und führten den Auftrag des Königs von Ägypten nicht aus, sondern ließen die Knaben am Leben.
18 Deshalb ließ der König von Ägypten die Hebammen rufen und fragte sie: "Warum handelt ihr so und laßt die Knaben am Leben?"
19 Die Hebammen antworteten dem Pharao: "Ja, die Hebräerinnen sind eben nicht wie die ägyptischen Frauen, sondern wissen sich selbst zu helfen. Ehe die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie schon geboren."
20 Dafür ließ Gott es den Hebammen gut ergehen. So vermehrte sich denn das Volk und wurde sehr zahlreich.
21 Den Hebammen schenkte Gott wegen ihrer Gottesfurcht eine große Nachkommenschaft.
22 Der Pharao aber befahl seinem ganzen Volk: "Werft die neugeborenen Knaben alle in den Nil, die Mädchen aber laßt alle am Leben!"12
1 ℘ Gen 46, 1 - 27§Apg 7, 14 - 17
2 ℘ Gen 46, 27;Dtn 10, 22
3 ℘ Gen 50, 26
4 ℘ Ps 105, 24;Apg 13, 17
5 Der biblische Bericht übergeht den ungefähr 400jährigen Aufenthalt Israels in Ägypten. Die Abgeschlossenheit im Land Goschen hatte aber für den Glauben Israels den Vorteil, daß der heidnische Einfluß nicht überhandnahm. - Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich so viele Herrscherhäuser abgewechselt, daß Josefs Verdienste allmählich in Vergessenheit geraten waren. - Der Name des Pharao, in dessen Regierungszeit der Auszug der Israeliten aus Ägypten stattfand, ist nicht genannt. Die genaue historische (und auch geographische) Festlegung der Ereignisse, die mit dem Auszug zusammenhängen, ist bis heute nicht gelungen.
6 ℘ Ps 105, 25
7 Die beiden Vorratsstädte hatte Ramses II. (1304 - 1237 v.Chr.) im Osten des Nildeltas erbauen lassen. In ihnen wurde das Kriegsmaterial und der Proviant für die gegen Syrien gerichteten Kriegszüge des Pharao aufbewahrt.
8 ℘ Gen 47, 11;Jdt 5, 10§2Sam 20, 24;1Kön 4, 6;1Kön 5, 28;1Kön 12, 1. 4. 14. 16
9 ℘ 2Sam 12, 31
10 ℘ Dtn 11, 10;Ps 81, 7;Weish 11, 7
11 ℘ Apg 7, 19
12 ℘ Weish 18, 5