Hag 1

Einführung in das Buch Haggai





Gottes Tempel und Gottes Volk



Zwischen Haggai und seinem Vorgänger im Zwölfprophetenbuch, dem Propheten Zefanja, klafft der große Einschnitt der Babylonischen Gefangenschaft. Der judäische Staat ist untergegangen. Jerusalem und der Tempel sind zerstört. Die Unheilsdrohung der früheren Propheten hat sich erfüllt.



Als dann aber der Perserkönig Kyrus im Jahre 538 v.Chr. die Erlaubnis gibt, den Tempel zu Jerusalem wieder aufzubauen (vgl. 2Chr 36, 22f;Esra 1, 2 - 4;Esra 6, 3 - 5), machen bereits die ersten Heimkehrer von dieser Erlaubnis Gebrauch. Sie nehmen den Opferdienst wieder auf (vgl. Esra 3, 1 - 6) und legen den Grundstein zu einem neuen Tempel (vgl. Esra 3, 10 - 13). Doch äußere und innere Schwierigkeiten (vgl. Esra 4, 1 - 5) lassen den ersten Eifer rasch erlahmen, so daß das Werk bald völlig zum Erliegen kommt. Da erhebt in der zweiten Hälfte des Jahres 520 v.Chr. der Prophet Haggai seine Stimme (vgl. Esra 5, 1f;Esra 6, 14 ), trifft den Eigennutz und die Lässigkeit des Volkes in Jerusalem mit hartem Vorwurf und ruft zur Wiederaufnahme der Arbeiten am Tempel auf.



Nun gibt es allerdings einige Schrifterklärer, die am begrenzten Horizont dieses - wie sie meinen - wirklich "kleinen" Propheten Anstoß nehmen. In der Tat scheint sich bei Haggai alles um den Bau des Tempels aus Holz und Stein zu drehen. Wenn man jedoch die prophetische Stimme unvoreingenommen und von den damaligen Voraussetzungen her hört, dann dürfte es nicht schwer sein, zu erkennen, wie für Haggai der wiederherzustellende Tempel gerade das äußere Zeichen dafür sein soll, daß das heimgekehrte Volk gewillt ist, Gott das zu geben, was ihm gebührt, die erste Stelle in seiner Mitte.



So ist es wohl Gottes neuer Tempel, von dem Haggai spricht. Worauf er aber letztlich hinzielt, das ist Gottes Volk, das sich erneuern soll für den Anbruch der Heilszeit.

Das Buch Haggai

Gottes Tempel und Gottes Volk

1 In zweiten Jahr des Königs Darius, im sechsten Jahr, am ersten Tag des Monats erging das Wort des Herrn durch den Propheten Haggai an Serubbabel, den Sohn Schealtiëls, den Statthalter von Juda, und an den Hohenpriester Jeschua, den Sohn des Jozadak, folgendermaßen:12

Der Prophet redet dem selbstsüchtigen Volk ins Gewissen

2 "So spricht der Herr der Heerscharen: Dieses Volk sagt: >Es ist noch nicht an der Zeit, den Tempel des Herrn wiederaufzubauen<."
3 Darum erging das Wort des Herrn durch den Propheten Haggai:
4 "Ist es etwa für euch selbst an der Zeit, in euren getäfelten Häusern zu wohnen, während dieser Tempel in Trümmern liegt?"34
5 Nun aber spricht der Herr der Heerscharen:
6 "Achtet darauf, wie es euch bisher ergangen ist! Ihr habt viel ausgesät, aber wenig eingebracht, habt gegessen, seid aber nicht satt geworden, habt getrunken, aber den Durst nicht gestillt, habt euch bekleidet, seid aber nicht warm geworden, und wer um Lohn gearbeitet hat, der hat den Lohn in einem durchlöcherten Beutel gesammelt."5
7 So spricht der Herr der Heerscharen: "Achtet darauf, wie es euch bisher ergangen ist!
8 Steigt auf das Gebirge hinauf, holt Holz herbei und baut den Tempel, damit ich mein Wohlgefallen daran habe und mich in Herrlichkeit zeige", spricht der Herr.6
9 "Ihr hattet viel unternommen, doch es wurde wenig daraus, und brachtet ihr es ins Haus, so blies ich es weg. Warum wohl?" - Spruch des Herrn der Heerscharen. - "Um meines Tempels willen, weil er in Trümmern liegt, während jeder von euch für sein eigenes Haus sich abmüht.
10 Darum hielt der Himmel den Tau über euch zurück, und die Erde versagte euch ihren Ertrag.7
11 Ich rief Dürre über das Land und über die Berge, über Korn, Most und Öl und über alles, was der Boden hervorbringt, und über Menschen und Vieh und über alles, was die Hände erarbeiten."

Das Volk geht in sich und nimmt den Tempelbau wieder auf

12 Da hörten Serubbabel, der Sohn Schealtiëls, und der Hohepriester Jeschua, der Sohn Jozadaks, und der ganze Rest des Volkes auf die Stimme des Herrn, ihres Gottes, und auf die Worte des Propheten Haggai, den der Herr, ihr Gott, zu ihnen gesandt hatte, und das Volk fürchtete sich vor dem Herrn.8
13 Haggai, der Bote des Herrn, redete kraft der Botschaft des Herrn zum Volk: "Ich bin bei euch!" - Spruch des Herrn. -
14 Und der Herr erweckte den Eifer Serubbabels, des Sohnes Schealtiëls, des Statthalters von Juda, und den Eifer des Hohenpriesters Jeschua, des Sohnes Jozadaks, und den Eifer des ganzen Volkes, das noch übriggeblieben war, so daß sie kamen und die Arbeit am Tempel des Herrn der Heerscharen, ihres Gottes, aufnahmen.9
15 Es war am vierundzwanzigsten Tag des sechsten Monats im zweiten Jahr des Königs Darius.
1 Darius I. mit dem Beinamen Hystaspes, der zweite Nachfolger des Perserkönigs Kyrus, hat von 522 - 486 v.Chr. regiert. Sein >zweites Jahr< ist demnach das Jahr 520 v.Chr. - Der >sechste Monat< (>Elul<, vgl. Neh 6, 15 - nach dem babylonischen Kalender, den die Juden aus der Babylonischen Gefangenschaft mitgebracht haben), entspricht der Zeit von Mitte August bis Mitte September. - Serubbabel war der Enkel des im Jahre 598 v.Chr. in die Gefangenschaft nach Babel geführten und später begnadigten Königs Jojachin (vgl. 2Kön 24, 12;2Kön 25, 27 - 30). Er übte die Statthalterschaft im Namen des Perserkönigs aus (vgl. auch die Anm. zu Esra 3, 2).
2 ℘ Sach 1, 1;Sach 3, 1 - 9;Sach 4, 6 - 10
3 V. 4 - 6: Der Vorwurf des Propheten ist hart: Das zurückgekehrte Volk denkt nur an sich selbst. Doch ist es gerade die Lässigkeit beim Wiederaufbau des Tempels, die die Schuld daran trägt, daß es dem Volk immer wieder an Gottes Segen gebricht.
4 ℘ Jer 22, 14
5 ℘ Hos 4, 3
6 Das >Gebirge< ist das südlich von Jerusalem gelegene Bergland, das damals noch genügend große Waldbestände aufwies (vgl. auch Neh 2, 8;Neh 8, 15). Es ist nur vom nötigen Holz und nicht auch von den Bausteinen die Rede, weil wahrscheinlich auf dem Tempelgelände noch genügend Steine des zerstörten Tempels vorhanden waren.
7 ℘ Lev 26, 19f
8 >...der ganze Rest des Volkes< - das treue um Jerusalem gesammelte Volk, vgl. Hag 2, 2;Sach 14, 2.
9 ℘ Sach 4, 6