Joel 1

Einführung in das Buch Joel





Der "Tag des Herrn"



Manches scheint dafür zu sprechen, daß diese Schrift, die einem sonst unbekannten und auch in der Geschichte nicht näher bestimmbaren Propheten Joel zugeschrieben ist, gewissermaßen zwei "Auflagen" erfahren hat. Sollte dies zutreffen, dann läge hier ein besonders deutliches Beispiel vor, wie prophetisches Wort über den augenblicklichen Anlaß hinweg stets auf neue erfahrbares und beziehbares lebendiges Wort bleibt.



Eine schreckliche Heuschreckenplage, verbunden mit einer furchtbaren Dürre, wird zum Anlaß eines eindringlichen prophetischen Bußrufes, dem Priester und Volk sich nicht verschließen. Dabei erscheint das naturbedingte Geschehen wie ein Vorzeichen des kommenden Gerichtstages, der von Gott her verhängt ist. Durch die Buße jedoch läßt Gott sich versöhnen und gewährt wieder Segen für Land und Volk (Joel 1, 2 - 20;Joel 2, 1 - 27).



Es hat nun den Anschein, als ob später der Prophet selbst oder ein anderes prophetisches Auge noch einmal durch Gottes Strafgerichte in Vergangenheit und Gegenwart hindurchgeschaut habe bis hin zum letzten Gerichtstag in der Endzeit. Doch auch in dieser abschließenden Sicht, mit der das Buch Joel in die Zwölfprophetensammlung eingegangen ist, steht hinter aller Not und Drangsal des Endgerichtes die Verheißung der Rettung für Gottes Auserwählte in der Geborgenheit des göttlichen Segens (Joel 3§Joel 4, 1 - 18).



Schließlich ist im Neuen Bund in der Pfingstpredigt des Petrus das Wort von der Ausgießung des Geistes wieder aufgegriffen (vgl. Joel 3, 1 - 5§Apg 2, 16 - 21) und als Verheißungswort auf den Anbruch der Endzeit in Jesus Christus gedeutet.





Das Buch Joël

Der >Tag des Herrn<

1 Das Wort des Herrn, das an Joël, den Sohn Petuëls, erging.

Die Heuschreckenplage

Aufruf zur Klage

2 Hört dies, ihr Alten! Horcht auf, alle Bewohner des Landes. Ist je solches in euren Tagen geschehen oder in den Tagen der Väter?
3 Erzählt davon euren Kindern, eure Kinder den ihren und diese dem künftigen Geschlecht!

Die furchtbare Plage

4 Was der Beißer ließ, fraß der Heuschreck; was der Heuschreck ließ, fraß der Fresser, was der Fresser ließ, fraß der Schäler12
5 Wacht auf, ihr Trunkenen, weint! All ihr Zecher, klagt um den Most, denn er ist eurem Mund entzogen.
6 Ein gewaltiges und zahlreiches Volk überzog mein Land. Löwenzähne sind seine Zähne, sein Gebiß ist das einer Löwin.34
7 Es hat meinen Weinstock verwüstet, meinen Feigenbaum zu Reisig gemacht, ihn abgeschält und entblättert. - Weiß stehen da seine Zweige.5

Trauer um Land und Volk

8 Wehklage wie eine Jungfrau, die mit Sacktuch umgürtet den Bräutigam ihrer Jugend beweint.6
9 Aus ist es mit Opfern von Speise und Trank im Haus des Herrn. Es trauern die Priester, die Diener des Herrn.
10 Verheert ist die Flur, welk ist das Land, vernichtet das Korn, versiegt ist der Most, vertrocknet das Öl.7
11 Bestürzt stehen die Bauern, es jammern die Winzer. Weizen und Gerste, die Ernte des Feldes ist hin.
12 Verdorrt ist der Weinstock, der Feigenbaum verwelkt. Granatbaum, Palme und Apfel - alle Bäume des Feldes sind dürr. Ja, dahin ist die Freude der Menschen.8

Aufforderung zur Buße

13 Gürtet euch! Wehklagt, ihr Priester! Heult, ihr Diener des Altars! Kommt, durchwacht in Sacktuch die Nacht, ihr Diener meines Gottes! Denn aus ist es im Haus eures Gottes mit Opfern von Speise und Trank.910
14 Verordnet ein heiliges Fasten! Beruft eine Feier! Versammelt die Alten, alle Bewohner des Landes im Haus des Herrn, eures Gottes, und schreit zum Herrn:11
15 "Weh über den Tag!" Denn nahe ist der Tag des Herrn. Mit der Macht des Allmächtigen kommt er.1213

Die große Dürre

16 Ist uns nicht vor unseren Augen die Speise entrissen, dem Haus unseres Gottes Freude und Jubel?14
17 Verschrumpft liegt das Saatkorn unter den Schollen. Leer stehen die Speicher, die Scheunen verfallen, denn verdorrt ist das Korn!15
18 Wie stöhnt doch das Vieh, der Rinder Herden sind verstört, weil keine Weide sie finden. Auch die Kleinviehherden siechen dahin.
19 Zu dir, o Herr, rufe ich. Denn Gluthitze hat das Gras der Steppe verzehrt, Flammenglut hat versengt alle Bäume des Feldes.16
20 Auch das Wild des Feldes schreit lechzend nach dir. Denn versiegt sind die Bäche. Gluthitze hat das Gras der Steppe verzehrt.
1 Bei den (im einzelnen schwer zu deutenden) Namen handelt es sich wohl um verschiedene Entwicklungsstadien der >Heuschrecke< (arbe): vom >Fresser< (jeleq - die Larve) über den >Schäler< (chasil - die Puppe) zum >Beißer< (gasam - das junge Insekt). - Durch die Häufung der Namen soll die ganze Furchtbarkeit der in mehreren Wellen das Land überrollenden und in ihren Auswirkungen noch über Jahre hin spürbaren (vgl. Joel 2, 25) Heuschreckenplage zum Ausdruck kommen.
2 ℘ Dtn 28, 38;Amos 4, 9;Amos 7, 1f;Ps 105, 34f
3 Die Heuschreckenschwärme werden als feindliches Heer mit furchtbaren Waffen geschildert.
4 ℘ Offb 9, 8
5 ℘ Jes 5, 1
6 ℘ Ps 35, 13;Jer 49, 3;Klgl 2, 10
7 Hier scheint von einer zur ersten Plage noch hinzukommenden Trockenheit und Dürre die Rede zu sein.
8 ℘ Jes 16, 10;Jer 25, 10;Amos 4, 7 - 9
9 Die Verwüstung des Landes ist so groß, daß selbst der Opferdienst im Tempel aufhören muß. Damit scheint die Verbindung zwischen Volk und Gott abgerissen.
10 ℘ Joel 2, 17
11 ℘ Joel 2, 12f. 15 - 17;Jona 3, 5 - 9
12 >Tag des Herrn< - hier klingt das beherrschende Thema des Buches auf: Die furchtbare Not, in die das Land geraten ist, wird als Vorzeichen jenes Tages gedeutet, der Gottes endgültiges Gericht über Israel bringen wird. - >Mit der Macht des Allmächtigen kommt er.< - Wörtlich: >Er kommt wie eine Verwüstung vom Allmächtigen< (im Hebräischen Wortspiel: >schod< (Verwüstung) - >schaddai< (der Allmächtige).
13 ℘ Jes 13, 6;Ez 30, 2f;Joel 2, 1f. 11;Amos 5, 18;Obd 15
14 Dem Dankopfer schlossen sich fröhliche Opfermahlzeiten an.
15 ℘ Joel 1, 12;Joel 2, 3
16 ℘ Joel 2, 3;Amos 7, 4