Mi 1

Einführung in das Buch Micha





"Es ist dir gesagt, o Mensch..."



Micha ist ein Zeitgenosse des Propheten Jesaja. Aber er stammt nicht wie dieser aus Jerusalem, sondern ist (wie Amos, der Hirt) ein Mann vom Lande.



Doch das hindert ihn nicht, in der Hauptstadt Jerusalem mit dem unerschütterlichen Bewußtsein des von Gott gesandten und zu Gottes Wort bevollmächtigten Propheten aufzutreten und dem Volke, vor allem den führenden Kreisen, den Reichen und Mächtigen, schonungslos den Spiegel ihrer Verderbtheit und ihrer Laster in bisweilen derb klingenden Worten vorzuhalten (vgl. Mi 2, 3; Mi 3, 1 - 3). Seinen Gegnern, vor allem den falschen Propheten, widersteht er furchtlos ins Angesicht (vgl. Mi 2, 11; Mi 3, 8).



Micha kündet vor allem Gottes Gericht. Seine für Israels Ohren ungeheuerlich klingende Drohung von der künftigen Zerstörung Jerusalems und des Tempels, und zwar als einer Gerichtstat Gottes selbst, ist nie mehr vergessen worden (vgl. Mi 3, 12; Jer 26, 17 - 19).



Neben das harte Gerichtswort jedoch tritt auch bei Micha das trostvolle Wort der Verheißung. Den alten Segensspruch über Juda (vgl. Gen 49, 10) aufgreifend und neu ausdeutend, zeichnet er das Bild des geheimnisvollen Herrschers der Zukunft: einen kommenden König, größer als David, der Hirt von Bethlehem (Mi 5, 1 - 4).



Zur schlichten Geradheit dieses Propheten "vom Lande" paßt auch das kurze programmatische Weisungswort, das er als Bescheid im Rechtsstreit Gottes mit Israel ausspricht: "Es ist dir gesagt, o Mensch, was gut ist..." (Mi 6, 8). Es klingt wie eine eindringliche Zusammenfassung der Forderungen seiner prophetischen Vorgänger: Recht zu tun und Liebe zu üben und sich zu beugen unter Gottes Willen.



So kann der Blick des Propheten am Ende doch wieder voller Hoffnung in die Zukunft gehen (Mi 7, 7 - 20). Dabei ist freilich nicht auszuschließen, daß spätere Sammler, vor allem aus dem Gebrauch dieser Worte beim Gottesdienst, die Klänge der Hoffnung vertieft und ihr eigenes frohes Ja dazu gesprochen haben.



Uns Christen sind aus der Schrift des Micha vor allem das Wort über Bethlehem als Geburtsort des Messias vertraut (vgl. Mt 2, 5f; Joh 7, 42) sowie die "Frage Gottes" an sein untreues Volk (Mi 6, 3f; vgl. die "Improperien" in der Liturgie des Karfreitags).

Das Buch Micha

>Es ist dir gesagt, o Mensch...<

1 Das Wort des Herrn, das an Micha aus Moreschet erging zur Zeit der Könige Jotam, Ahas und Hiskija von Juda. Über Samaria und Jerusalem hatte er diese Visionen:

Gerichtsworte über Samaria und Juda

Gott kommt zum Gericht

2 Hört, ihr Stämme all! Vernimm, du Land, und was darin wohnt! Der allmächtige Herr tritt gegen euch auf mit Klage, der Allmächtige aus seinem heiligen Palast.12
3 Seht: Schon verläßt der Herr seinen Platz, steigt herab, schreitet einher auf der Erde Höhen.3
4 Unter ihm schmelzen die Berge wie Wachs vor der Glut, bersten die Täler wie vom Wasser, das am Berghang herniederbraust.4
5 Dies alles ob Jakobs Frevel, ob des Hauses Israels Sünden! Wer hat verschuldet Jakobs Abfall? Ist es nicht Samaria? Wer hat verschuldet Judas Höhen? Ist es nicht Jerusalem?5

Samarias Untergang

6 "Ich will Samaria zu einem Haufen von Ackersteinen machen, zu einem Ort, auf dem man Reben pflanzt. Seine Steine stürze ich ins Tal hinab. Seine Grundfesten lege ich bloß.67
7 All ihre Schnitzbilder werden zerschlagen, all ihre Weihegaben im Feuer verbrannt. All ihre Götzen will ich zertrümmern. Denn mit Dirnenlohn ward es zusammengebracht, zum Dirnenlohn soll es wieder werden.89

Die Klage des Propheten

8 Trauern will ich darüber und klagen, barfuß gehen, ohne Obergewand. Wie die Schakale erhebe ich Klage, wie die Strauße erhebe ich Geschrei.1011
9 Nie mehr heilt zu die Wunde, die ihm geschlagen. Ja, sie schwärt fort bis nach Juda hin. Meines Volkes Hauptstadt, Jerusalem, ergreift sie.

Das Gericht gegen Judas Städte

10 Meldet es nicht in Gat! Weint nicht in Akko! In Bet-Leafra wälzt euch im Staub!
11 Zieht fort, ihr Leute von Schafir, in schmachvoller Blöße! Zaanans Einwohnerschaft kann ihre Stadt nicht verlassen. Es klagt Bet-Ezel, seiner festen Stützen beraubt.
12 Um ihr Heil zittern Marots Bewohner. Denn vom Herrn steigt Unheil herab auf Jerusalems Tore.
13 Die schnellen Pferde schirrt vor die Wagen, ihr Leute von Lachisch! Zur Sünde der Tochter Zion war dies der Anlaß. Denn Israels Gottlosigkeit trat dabei hervor.12
14 Darum gibt man auch dir den Scheidebrief, Moreschet-Gat, die Häuser von Achsib enttäuschen Israels Fürsten.
15 Den Eroberer bringe ich dir, Bewohnerschaft von Marescha. Nach Adullam kommt Israels Adel.13
16 Schere das Haupt dir kahl ob deiner geliebten Kinder! Mache den Kahlkopf dir breit wie den eines Geiers! Denn deine Kinder führt man hinweg von dir.14
1 V. 2 - 4: Wenn Gott sich zum Gericht erhebt, ist die ganze Erde betroffen. Gottes >heiliger Palast< und sein >Platz< bezeichnen hier das himmlische Heiligtum. Das Kommen Gottes zum Gericht ist unter den Bildern eines furchtbaren Erdbebens dargestellt.
2 ℘ Ps 49, 2
3 ℘ Jes 26, 21;Amos 4, 13
4 ℘ Ps 97, 5
5 Der Grund für Gottes Gerichtszorn ist die Treulosigkeit seines Volkes. Mit >Jakob< ist das Nordreich gemeint, dessen Hauptstadt Samaria besondere Schuld auf sich geladen hat. - Zu den >Höhen< vgl. die Anm. zu Jer 3, 21.
6 Samaria wurde 721 von den Assyrern erobert, vgl. 2Kön 18, 9f.
7 ℘ Mi 3, 12
8 >Dirnenlohn< - die Weihegaben an die Götzen, deren Verehrung Abfall von Gott, >Ehebruch< ist (vgl. die Anm. zu Ex 24, 15 - 16). Er wird wieder zum >Dirnenlohn< werden, da der Feind die Weihegaben seinen Göttern darbringen wird.
9 ℘ Amos 2, 7f;Hos 4, 14;Dtn 23, 19
10 V. 8 - 16: Von den hier genannten zwölf Städten im Südwesten von Juda, denen Unheil angekündigt wird (vgl. dazu die Anm. zu 2Kön 18, 13), werden Bet-Leafra, Schafir, Zaanan, Bet-Ezel und Marot sonst nicht erwähnt.
11 ℘ 2Sam 15, 30;Jes 20, 2
12 Der Prophet kritisiert, daß man auf Kriegswagen vertraut und nicht seine Hoffnung auf Gott setzt.
13 David versteckte sich vor Saul in der Höhle von Adullam, vgl. 1Sam 22, 1.
14 ℘ Jer 7, 29;Jes 15, 2;Jes 22, 12;Jer 16, 6