Rut 1



Einführung in das Buch Rut





Die Moabiterin Rut: Davids Ahnfrau



Dieses Büchlein, das Goethe "das lieblichste kleine Ganze" genannt hat, "das uns episch und idyllisch überliefert worden ist", erzählt ebenfalls eine Geschichte aus der Richterzeit, wenn auch in anderer Art als die im Richterbuch gesammelten. Im christlichen Kanon ist es darum an diese Stelle gerückt.



Es ist ein Stück Familiengeschichte des künftigen Königs David. Gottes wundersame Führung und Fügung zeigt sich darin, daß die Moabiterin Rut, die im Glauben an den Gott Israels Heimat und Volk verläßt (vgl. Rut 1, 16;Rut 2, 12f), zur Ahnfrau des Königs in Israel wird. In ihr erfüllt sich schon, vorbedeutend im kleinen, ein Stück der großen Gottesverheißung, daß durch Israel hindurch gesegnet werden alle Geschlechter des Erdreichs (vgl. Gen 12, 3).



Das Neue Testament nennt den Namen Ruts im Stammbaum Jesu Christi (vgl. Mt 1, 5).

Das Buch Rut

Elimelechs Familie in Moab

1 Zur Zeit, als noch die Richter walteten, entstand eine Hungersnot im Land. Da wanderte aus Betlehem in Juda ein Mann mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen aus. Im Moabiterland gedachte er, sich niederzulassen.1
2 Der Mann hieß Elimelech, seine Frau Noomi, und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon. Sie waren Efratiter aus Betlehem in Juda. Als sie das Moabiterland erreicht und sich dort niedergelassen hatten,23
3 starb Elimelech, der Mann Noomis. So blieb sie mit ihren beiden Söhnen allein zurück.
4 Diese nahmen sich moabitische Frauen. Die eine hieß Orpa, die andere Rut. Als sie etwa zehn Jahre dort weilten, starben auch die beiden Söhne Machlon und Kiljon.
5 So blieb nach dem Tod ihrer Söhne und ihres Mannes allein die Frau noch übrig.

Ruts Anhänglichkeit an Noomi

6 Nun machte sie sich mit ihren Schwiegertöchtern auf, um aus dem Moabiterland heimzukehren. Sie hatte nämlich im Moabiterland erfahren, daß der Herr sein Volk heimgesucht und ihm wieder Brot gespendet habe.
7 So verließ sie denn mit ihren zwei Schwiegertöchtern den Ort, wo sie bis dahin gewohnt hatte. Als sie nun des Weges zogen, um in das Land Juda zurückzukehren,
8 sagte Noomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: "Geht, kehrt zurück, eine jede in das Haus ihrer Mutter! Möge der Herr euch die Liebe vergelten, die ihr den Toten und mir erwiesen habt!4
9 Möge der Herr euch wieder ein Heim finden lassen, eine jede im Haus eines Gatten!" Und sie küßte sie. Da begannen sie laut zu weinen
10 und sagten zu ihr: "Nein, wir wollen dich zu deinem Volk heimbegleiten."
11 Aber Noomi entgegnete: "Kehrt um, liebe Töchter! Wozu wollt ihr mit mir gehen? Kann ich noch auf Söhne hoffen, die eure Männer werden könnten?56
12 Kehrt um, liebe Töchter, geht heim! Ich bin zu alt für einen Mann. Selbst wenn ich glaubte, noch Aussicht zu haben, ja, wenn ich noch diese Nacht einem Mann angehören und sogar Söhne zur Welt bringen würde,
13 wolltet ihr auf diese warten, bis sie erwachsen sind? Solltet ihr euch ihretwegen hindern lassen, nicht schon früher zu heiraten? Nein, liebe Töchter, ich bin schlimmer dran als ihr. Denn die Hand des Herrn hat mich getroffen."
14 Sie begannen von neuem laut zu weinen. Orpa nahm dann Abschied von ihrer Schwiegermutter. Rut aber blieb bei ihr.

Ruts Bekenntnis zum Gott Israels

15 Doch Noomi bat: "Siehe, deine Schwägerin ist zu ihrem Volk und ihren Göttern zurückgekehrt. Kehre also auch du um und folge deiner Schwägerin nach!"7
16 Aber Rut erwiderte: "Dränge mich nicht, dich zu verlassen und dir nicht weiter zu folgen! Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.89
17 Wo du stirbst, sterbe auch ich und da will auch ich begraben sein. Der Herr tue mit mir, was er will. Nur der Tod kann mich von dir scheiden."10
18 Als nun Noomi sah, daß sie entschlossen war, mit ihr zu gehen, hörte sie auf, ihr zuzureden.

Die Ankunft in Betlehem

19 So gingen beide weiter, bis sie nach Betlehem kamen. Bei ihrer Ankunft in Betlehem geriet die ganze Stadt ihretwegen in Aufregung. Die Frauen fragten: "Ist das nicht Noomi?"
20 Sie antwortete ihnen: "Nennt mich nicht Noomi (Liebliche), nennt mich Mara (Bittere)! Denn der Allmächtige hat große Bitternis über mich kommen lassen.
21 Reich zog ich fort, mit leeren Händen läßt mich der Herr heimkehren. Was heißt ihr mich noch Noomi, da doch der Herr gegen mich Zeugnis abgelegt und der Allmächtige Leid über mich verhängt hat?"11
22 So kehrte Noomi in Begleitung der Moabiterin Rut, ihrer Schwiegertochter, die mitkommen wollte, aus dem Moabiterland heim. Sie kamen gerade zur Beginn der Gerstenernte in Betlehem an.12
1 >Moab< hieß das Land, das sich an der Ostseite des Toten Meeres ausbreitete. Es reichte vom Arnon bis zur Südspitze des Toten Meeres (Num 21, 13;Ri 11, 18), zeitweilig dehnte es sich über den Arnon bis nach Heschbon aus (Jes 15, 1 - 4). In der frühen Richterzeit hatten die Moabiter sogar Jericho besetzt und die Israeliten tributpflichtig gemacht (Ri 3, 12f).
2 Die >Efratiter< waren eine in Betlehem ansässige Sippe, die von Efrata, einer Frau Kalebs, abstammte (1Chr 2, 19. 50f). >Efrata< steht deshalb auch als Name für Betlehem (vgl. Gen 35, 16. 19; Gen 48, 7;Jos 15, 59;Mi 5, 1).
3 ℘ 1Chr 4, 4
4 V. 8 - 9: Der Segen des Herrn, den Noomi ihren beiden Schwiegertöchtern wünscht, soll vor allem darin bestehen, daß Gott ihnen die Möglichkeit verschafft, sich wieder verheiraten zu können. Im Orient war das Los der unverheirateten Frau und der Witwe ohne Kinder sehr hart. Ohne Nachkommen zu sterben galt als Schande.
5 Hauptsächlich deshalb will Noomi die Schwiegertöchter zur Rückkehr in deren Heimat bewegen, weil es ihr aussichtslos erscheint, daß diese als stammesfremde Frauen sich in Israel verheiraten können. Auch sie selbst kann in ihrem vorgerückten Alter keine Söhne mehr erwarten, die etwa auf Grund des Gesetzes der Levirats- (= Schwager-) Ehe zur Heirat mit ihnen verpflichtet wären (vgl. Dtn 25, 5 - 10).
6 ℘ Dtn 25, 5f§Gen 38, 8 - 11
7 Mit der Rückkehr nach Moab ist für Orpa auch die Rückkehr zum Heidentum verbunden.
8 V. 16 - 17: Diese dichterisch geformten Worte der Moabiterin Rut enthalten ihre Absage an die Vergangenheit. Sie sind gleichzeitig ein Bekenntnis und Hinwendung zu Gott und zu Gottes Volk (obwohl nach Dtn 23, 4 die Moabiter eigentlich vom Jahwekult ausgeschlossen waren!). Es sind Worte einer großen Wende. Der Vergleich mit Abraham drängt sich auf (vgl. Gen 12).
9 ℘ 2Sam 15, 21;2Kön 2, 2 - 4§Dtn 23, 4 - 7
10 Ähnliche Formeln des >Verwünschungseides< siehe: Num 5, 19 - 22;1Sam 3, 17;1Sam 14, 44;1Sam 20, 12f;1Sam 25, 22; 2Sam 3, 9. 35;2Sam 19, 14;1Kön 2, 23;2Kön 6, 31).
11 ℘ Ijob 1, 21
12 Die Gerstenernte beginnt in Palästina gegen Ende April/Anfang Mai. Der Weizen wird erst Ende Mai geerntet.