Esthers Aufnahme beim König
1 Am dritten Tag, als sie zu beten aufgehört, zog sie die Kleider ihres Dienstes aus und legte ihre Prachtgewänder an.
2 Sie machte sich gar herrlich schön. Dann rief sie Gott, den alles Schauenden, Hilfreichen an und nahm zu sich die beiden Dienerinnen.
3 Sie lehnte auf die eine sich, als wäre sie zu zart;
4 die andere folgte ihr, die Schleppe des Gewandes tragend.
5 Und sie erglühte in dem vollen Glanze ihrer Schönheit. Ihr Angesicht war heiter, liebenswürdig, ihr Herz dagegen furchtbeklommen.
6 Und nun durchschritt sie alle Türen und stellte sich vor den König. Und dieser saß auf seines Reiches Thron und hatte seine ganze Prachtgewandung angelegt, so daß er ganz in Gold und Edelstein erschien, und war gar furchtbar anzusehen.
7 Als er sein Antlitz, das vor Hoheit aufzuflammen schien, erhob, da schaute er in höchstem Grimme drein. Da sank die Königin zu Boden. Ohnmächtig werdend, wechselte sie ihre Farbe und neigte sich auf's Haupt der Dienerin vor ihr.
8 Doch Gott verwandelte des Königs Zorn in Milde, und tiefbekümmert sprang er auf, von seinem Thron herab, und nahm sie in die Arme, bis daß sie wieder zu sich kam, und sprach ihr liebenswürdig zu.
9 Er sprach zu ihr: "Was gibt es, Esther? Ich bin dein Bruder. Sei getrost!
10 Du darfst nicht sterben. Was wir geboten, gilt nur für die Allgemeinheit.
11 So tritt herzu!"
12 Er hob den goldenen Stab und legte ihn auf ihren Nacken und küßte sie und sprach: "Nun sprich mit mir!"
13 Sie sprach zu ihm: "Ich sah dich, Herr, wie einen Engel Gottes. Mein Herz ward voller Furcht, vor deiner Herrlichkeit ganz fassungslos.
14 Du bist, Herr, wunderbar. Von Anmut strahlt dein Angesicht."
15 Als sie noch sprach, sank sie in Ohnmacht wiederum zu Boden.
16 Da ward der König aufgeregt, und seine ganze Dienerschaft sprach Trost ihr zu.