Die zweite Reise
1 Der Hunger aber lag schwer auf der Erde.
2 Als sie nun das aus Ägypten gebrachte Korn aufgezehrt hatten, sprach ihr Vater zu ihnen: "Geht noch einmal, ein wenig Korn für uns zu kaufen!"
3 Da sprach Juda zu ihm: "Nachdrücklich hat uns der Mann eingeschärft: ‘Ihr dürft mir nicht mehr vor die Augen kommen, euer Bruder sei denn bei euch.’
4 Willst du also unseren Bruder mitgeben, dann ziehen wir hinab und kaufen Korn.
5 Gibst du ihn aber uns nicht mit, dann ziehen wir nicht hinab. Der Mann hat ja zu uns gesagt: ‘Ihr dürft mir nicht vor die Augen kommen, euer Bruder sei denn bei euch.’"
6 Da sprach Israel: "Warum habt ihr es mir zu Leid getan, dem Manne zu verraten, daß ihr noch einen Bruder habt?"
7 Da sprachen sie: "Der Mann erkundigte sich genau nach uns und unserer Familie. Er sprach: ‘Ist euer Vater noch am Leben? Habt ihr noch einen Bruder?’ Da gaben wir ihm Bescheid, wie es sich verhält. Konnten wir denn wissen, daß er sagen würde: ‘Bringt euren Bruder her?’"
8 Da sprach Juda zu seinem Vater Israel: "Gib mir den Knaben mit! Dann brechen wir auf und gehen und bleiben am Leben und müssen nicht sterben, wir so gut wie du und unsere Kinder.
9 Ich bürge für ihn. Fordere ihn von nur! Bringe ich ihn dir nicht und stelle ihn dir nicht vor Augen, so will ich lebenslang vor dir schuldig sein.
10 Hätten wir nicht allzulange gezaudert, wir wären schon zweimal zurück."
11 Da sprach ihr Vater Israel zu ihnen: "Muß es sein, so tut dies: Nehmt vom feinsten Landeserzeugnis in euer Gepäck und bringt es als Geschenk dem Manne hinab, etwas Balsam, etwas Honig, Spezereien, Ladanum, Pistazien und Mandeln!
12 Nehmt noch einmal soviel Geld mit euch! Auch das Geld oben in euren Säcken müßt ihr wieder mitnehmen. Vielleicht war es ein Versehen.
13 Auch euren Bruder nehmt mit! Auf! Zieht wieder zu dem Manne!
14 Gott, der Allmächtige, schenke euch Erbarmen bei dem Manne, daß er euren anderen Bruder euch freigebe, desgleichen Benjamin! Ich aber! Nun, dann bin ich eben kinderlos."
15 So nahmen die Männer jenes Geschenk; auch den doppelten Geldbetrag nahmen sie mit, dazu Benjamin, brachen auf, zogen nach Ägypten und traten vor Joseph.
16 Und Joseph sah bei ihnen den Benjamin. Da sprach er zu seinem Hausverwalter: "Führe die Männer ins Haus, und man schlachte ein Stück Vieh und richte es her! Die Männer sollen mittags bei mir speisen!"
17 Und der Mann tat, wie Joseph gesagt. Und der Mann führte die Männer in Josephs Haus.
18 Aber die Männer fürchteten sich, weil sie in Josephs Haus geführt wurden, und sprachen: "Des Geldes wegen, das beim vorigen Male wieder in unsere Säcke geriet, werden wir hereingebracht. Man will einen Vorwand gegen uns haben, uns überwältigen und uns als Sklaven behalten, samt unseren Eseln."
19 So traten sie zu dem Manne, der Josephs Haus verwaltete, und redeten ihn an der Hauspforte an.
20 Sie sprachen: "Bitte, mein Herr! Wir sind schon einmal hierher gereist, Korn zu kaufen.
21 Als wir danach in die Herberge kamen und unsere Säcke öffneten, da lag eines jeden Geld oben in seinem Sack, unser Geld nach seinem Vollgewicht. Nun bringen wir es eigenhändig zurück.
22 Wir bringen auch anderes Geld, um Korn zu kaufen. Wir wissen nicht, wer unser Geld in unsere Säcke gelegt hat."
23 Er sprach: "Beruhigt euch! Fürchtet euch nicht! Euer und eures Vaters Gott hat euch heimlich einen Schatz in eure Säcke gelegt. Euer Geld ist mir zugekommen." Dann gab er ihnen Simeon heraus.
24 Darauf führte der Mann die Männer in Josephs Haus und brachte Wasser, daß sie sich die Füße wuschen, und ihren Eseln gab er Futter.
25 Sie aber legten das Geschenk zurecht, bis Joseph mittags käme; denn sie hatten gehört, daß sie dort das Mahl einnehmen sollten.
26 Joseph trat nun ein; da überreichten sie ihm das Geschenk, das sie bei sich hatten, und neigten sich vor ihm bis zur Erde.
27 Er fragte nach ihrem Befinden und sprach: "Wie geht es eurem alten Vater, von dem ihr gesprochen? Lebt er noch?"
28 Sie sprachen: "Gut geht es deinem Diener, unserem Vater: Er lebt noch." Dabei bückten und verneigten sie sich.
29 Wie er aber seine Augen erhob, erblickte er seinen Vollbruder Benjamin. Da sprach er: "Ist das euer jüngster Bruder, von dem ihr zu mir gesprochen?" Dann sprach er: "Gott gebe dir Huld, mein Sohn!"
30 Joseph aber brach schnell ab; denn sein Herz brannte nach seinem Bruder, und er ward zu Tränen gerührt. So ging er in das innere Gemach und weinte dort.
31 Dann wusch er sein Antlitz, trat hervor, hielt an sich und sprach: "Tragt das Mahl auf!"
32 Da trug man ihm und jenen besonders auf, ebenso den Ägyptern, die mit ihm speisten. Denn die Ägypter dürfen nicht mit den Hebräern zusammen speisen; das ist für die Ägypter ein Greuel.
33 Sie saßen aber nach seiner Weisung, vom Ältesten bis zum Jüngsten genau nach dem Alter geordnet. Staunend sahen sich die Männer an.
34 Er aber ließ von sich zu ihnen Gerichte hinüberbringen; Benjamins Gericht war dabei fünfmal größer als ihrer aller Gerichte. Dann tranken sie und wurden bei ihm guter Dinge.