1Tim 1

Einführung in den ersten Brief an Timotheus





A - Die beiden Briefe an Timotheus und der Brief an Titus bilden zusammen die sogenannten »;Pastoral«- oder »;Hirtenbriefe«, wie sie erstmals von dem pietistischen Theologen Paul Anton in seinem 1753-55 erschienenen Kommentar genannt wurden. Daß sie eine thematische und stilistische Einheit bilden, vermerken bereits der Kanon des Muratorischen Fragments (s. Einleitung B;1Tim 1,16) und Tertullian (+ um 224), und Thomas von Aquin (+ 1274) nennt 1Tim die »;pastoralis regula«.



B - Inhaltlich befassen sich diese Briefe einmal mit Ermahnungen an die Gemeindeleiter, die an ihren der Tradition verpflichteten Lehrauftrag erinnert werden, an die Vorbildlichkeit ihrer Lebensführung, an die Seelsorge allen Altersklassen gegenüber, an die Wachsamkeit gegen die Irrlehrer, an die feierliche Beauftragung. Zum anderen gibt der Brief Anweisungen zur Gemeindeordnung: zur Liturgie, zur Bestellung von Bischöfen, Presbytern, Diakonen, zur Rolle der Geschlechter und Altersstufen und der sozialen Stände in der Gemeinde. Diese Hauptthemen sind durchsetzt von der Auseinandersetzung mit vermutlich jüdisch-gnostischen Irrlehren, von Pauluserinnerungen, von liturgischen Texten und katechetischen Formulierungen.



C - Obwohl sich die Briefe selbst als paulinisch geben, neigt die Bibelwissenschaft immer mehr zu der Annahme, es handele sich um mehr oder weniger kirchenamtliche Schreiben aus dem 2. Jahrhundert, die sich gegenüber kleinasiatischen Gemeinden auf die Autorität des Paulus berufen und gelegentlich auch bei den authentischen Paulusbriefen Anleihen gemacht haben (zur literarischen Gattung der Pseudoepigraphie s. Jud A;Jak B). Gründe für diese Annahme sind vor allem: Die Briefe lassen sich in das Leben des Paulus kaum einreihen, es sei denn, Paulus ist nicht am Ende der ersten römischen Gefangenschaft gestorben (was wir aber annehmen, s. zu Apg 20,25); die Mentalität der Briefe und die kirchliche Organisation, die sie voraussetzen, scheinen bereits »;frühkatholisch«, wie wir sie etwa aus dem 2.Jhd. aus dem Schreiben des Bischofs Ignatius von Antiochien an Bischof Polykarp von Smyrna kennen; vor allem die stilistische Eigenart - ein unpaulinischer »;Amts- und Verordnungsstil« (F. J. Schierse) läßt sich kaum mit der Sekretärshypothese, mit der vom gealterten Paulus und auch nicht mit Paulus als Genie der Anpassung erklären.



D - Sind die Briefe nicht von Paulus selbst und später zu datieren, dann stehen wohl auch die Adressaten, die Paulusschüler Timotheus und Titus, eher für den sich langsam herausbildenden »;Klerikerstand« denn für die aus den neutestamentlichen Schriften bereits bekannten Einzelpersönlichkeiten.



E - Zur Eigenart des 1Tim unter den Pastoralbriefen gehört: Paulus schreibt noch nicht als Gefangener (wie im 2Tim); thematisch liegt der Akzent auf der Gemeindeordnung; unter den liturgischen Texten sind mehrere Christusformeln; er enthält auch die meisten der katechetischen Sätze.

DER ERSTE BRIEF DES HL. PAULUS AN TIMOTHEUS

Gruß

1 Paulus, Apostel Christi Jesu nach dem Auftrag Gottes, unseres Retters, und Christi Jesu, unserer Hoffnung,1
2 an Timotheus, seinen echten Sohn im Glauben: Gnade, Erbarmen und Friede von Gott dem Vater und von Christus Jesus, unserem Herrn!2

DIE RECHTE VERWALTUNG DES HIRTENAMTES

Kampf gegen die Irrlehrer

3 Bei meiner Abreise nach Mazedonien habe ich dich gebeten, in Ephesus zu bleiben, um gewissen Leuten einzuschärfen, nichts Falsches zu lehren34#
4 und sich nicht mit Fabeln und endlosen Geschlechtertafeln zu beschäftigen, was eher Streitigkeiten fördert als die göttliche Heilsordnung im Glauben.56
5 Das Ziel der Unterweisung ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.7#
6 Davon sind einige abgeirrt und haben sich leerem Geschwätz zugewandt.8
7 Sie wollen Gesetzeslehrer sein, ohne zu verstehen, was sie sagen, noch worüber sie zuversichtlich urteilen.
8 Wir wissen, daß das Gesetz gut ist, wenn man es dem Gesetz gemäß anwendet.9
9 Dabei muß man sich bewußt bleiben, daß das Gesetz nicht für den Gerechten bestimmt ist, sondern für Gesetzlose, Unbotmäßige, Gottlose, Sünder, Lasterhafte, Ruchlose, für Vater- und Muttermörder, Totschläger,10#
10 Unzüchtige, Knabenschänder, Menschenräuber, Lügner, Meineidige und was sonst noch im Widerspruch steht mit der gesunden Lehre1112
11 nach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes, mit dem ich betraut worden bin.13

Dank für die Berufung zum Apostel

12 Ich danke unserem Herrn Christus Jesus, der mir Kraft verliehen hat. Er hat mich für vertrauenswürdig erachtet und zum Dienst bestimmt,14#
13 obwohl ich früher ein Lästerer, Verfolger und Frevler war. Aber ich fand Erbarmen, weil ich aus Unwissenheit und im Unglauben gehandelt habe, -15#
14 überschwenglich floß die Gnade unseres Herrn und mit ihr Glaube und Liebe in Christus Jesus.16#
15 Glaubwürdig ist das Wort und aller Annahme wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, um die Sünder zu retten. - Unter ihnen bin ich der erste.17
16 Gerade deshalb habe ich Erbarmen gefunden, damit an mir als erstem Christus Jesus seine ganze Langmut beweise, zum Vorbild für die, die in Zukunft an ihn glauben und das ewige Leben erlangen sollen.18
17 Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, sei Preis und Ruhm von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.19#
18 Im Hinblick auf die früher an dich ergangenen prophetischen Worte vertraue ich dir, mein Sohn Timotheus, dieses Gebot an: Kämpfe in ihrer Kraft den guten Kampf!2021#
19 Bewahre den Glauben und ein gutes Gewissen! Das haben einige preisgegeben und so am Glauben Schiffbruch erlitten,22
20 unter ihnen Hymenäus und Alexander, die ich dem Satan übergeben habe, damit sie durch Züchtigung das Lästern verlernen.23
1 ℘ 1Tim 2, 3. 6;1Tim 4, 10;Tit 1, 3;Tit 2, 10;Tit 3, 4;Kol 1, 27
2 ℘ +Apg 16, 1++;2Tim 1, 2;Tit 1, 4;Phil 2, 20. 22;2Joh 3
3 Zu "Paulus in Ephesus" vgl. Apg 19 (die geplante Reise nach Mazedonien: Apg 19, 21).
4 ℘ Apg 20, 1
5 "Fabeln" (Mythen) - hier: von Gnostikern frei erfundene Erzählungen und Spekulationen ohne Wahrheitsgehalt. - "Geschlechtertafel" - spekuliert wurde über die Bedeutung und Aussagekraft alttestamentlicher Genealogien (z.B. Gen 5.)
6 ℘ +1Tim 4, 7++
7 ℘ Röm 13, 10;Gal 5, 6;+Mt 5, 8++;2Tim 2, 22;+1Tim 3, 9++;2Kor 1, 12;1Petr 3, 16. 20;Hebr 10, 2. 22;Hebr 13, 18;+2Kor 6, 6++;2Tim 1, 5
8 ℘ 1Tim 6, 3f. 20f;2Tim 2, 16 - 18
9 ℘ Röm 7, 12. 16
10 ℘ Gal 5, 23;+Röm 1, 28 - 31++;Röm 13, 13
11 "Knabenschänder" - vgl. die Anm. zu 1Kor 6, 9.
12 ℘ 1Tim 4, 6;1Tim 6, 3f;2Tim 1, 13;2Tim 4, 3;Tit 1, 9. 13;Tit 2, 1f. 10
13 ℘ 1Tim 6, 15;1Thess 2, 4;Tit 1, 3
14 ℘ +Apg 9, 15++;1Kor 7, 25;1Kor 15, 9f;Gal 1, 6;Röm 1, 1
15 ℘ Mt 12, 32;+Apg 3, 17++
16 ℘ Röm 5, 20
17 ℘ 1Tim 3, 1;1Tim 4, 9;Apg 2, 41;2Tim 2, 11;Tit 3, 8;+Lk 19, 10++;+1Kor 15, 9++;Lk 24, 32;Lk 9, 56;Joh 8, 15;Joh 12, 47
18 ℘ 1Kor 15, 10;Eph 3, 1. 7 - 9;Kol 1, 24f;Mt 5, 19;3Joh 11
19 ℘ 1Tim 6, 16;Röm 1, 19f;Kol 1, 15;Hebr 11, 27;+Joh 1, 18++;+Röm 16, 27++;Offb 5, 9. 12f;Offb 7, 10. 12;Offb 11, 15. 17f;Offb 12, 10;Offb 15, 3f;Offb 19, 1f. 5 - 7
20 "Prophetische Worte" - a) Prophetenworte, die zur Beauftragung geführt haben (vgl. Apg 13, 1 - 3), oder b) die mit der Handauflegung bei der Bestellung des Gemeindeleiters verbundenen Deuteworte, oder c) bei der Bestellung vorgetragene Berufungsgeschichten von Propheten (z.B. Jes 6, 1 - 13; Jer 1, 4 - 8. 17 - 19), aus denen sich sein Auftrag und seine Stellung ergab. - Aufgabe des Gemeindeleiters (episkopus) war, die apostolische Überlieferung zu wahren und fortzusetzen.
21 ℘ 1Tim 4, 14;+2Tim 4, 7++
22 ℘ +1Tim 3, 9++;1Tim 6, 10;Apg 24, 16;2Kor 1, 12;1Petr 3, 16. 21;Hebr 10, 2. 22;Hebr 13, 18;
23 ℘ 2Tim 2, 17;2Tim 4, 14;Apg 19, 33;1Kor 5, 5