Joh 1
Einführung in das Evangelium nach Johannes
A - Das Evangelium nach (s. Mt A) Johannes. Um 180 n.Chr. schreibt der Bischof von Lyon, Irenäus, der in seiner Jugend noch persönlichen Kontakt mit dem Bischof Polykarp von Smyrna, einem Schüler des Apostels (?) Johannes, gehabt hat, in seinem Werk »;Gegen die Häresien«:
»;Von keinem anderen als von denen, durch welche das Evangelium an uns gelangt ist, haben wir Gottes Heilsplan gelernt. Was sie zuerst gepredigt und dann nach dem Willen Gottes uns schriftlich überliefert haben, das sollte das Fundament und die Grundsäule unseres Glaubens werden. Frevelhaft ist die Behauptung, sie hätten gepredigt, bevor sie die vollkommene Kenntnis besessen hätten, wie jene sich erkühnen, die sich rühmen, die Apostel verbessern zu können. Nicht eher nämlich zogen sie aus bis an die Grenzen der Erde, allen die Frohe Botschaft (euangelion) zu bringen und den himmlischen Frieden den Menschen zu verkünden, als unser Herr von den Toten auferstanden war und sie alle die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hatten, der über sie kam. Dadurch empfingen sie die Fülle von allem und die vollkommene Erkenntnis (gnosis, s. zu Joh 3,1-21), und so besitzt auch jeder einzelne von ihnen das Evangelium Gottes. Matthäus verfaßte seine Evangelienschrift bei den Hebräern in hebräischer Sprache, als Petrus und Paulus zu Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche gründeten. Nach deren Tode zeichnete Markus, der Schüler und Dolmetscher Petri, dessen Predigt für uns auf. Ähnlich hat Lukas, der Begleiter Pauli, das von diesem verkündete Evangelium in einem Buch niedergelegt. Zuletzt (danach) gab Johannes (s. zu Mt 10,2 C), der Schüler (Jünger) des Herrn, der an seiner Brust ruhte, während seines Aufenthaltes zu Ephesus in Asien das Evangelium heraus. Sie alle lehren uns einen Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde, wie ihn Gesetz und Propheten (das Alte Testament) verkünden, und einen Christus als den Sohn Gottes. Wenn also jemand ihnen nicht glaubt, dann verachtet er die Mitgenossen des Herrn, verachtet auch Christus den Herrn selbst, verachtet auch seinen Vater und ist durch sich selbst gerichtet, weil er seinem Heil hartnäckig widerstrebt. Das aber tun alle Häretiker« (II, 1.2, übers. von E. Klebba).
Doch die Verfasserschaft des Apostels Johannes ist unter den allgemeinen Bedingungen der Evangelienentstehung zu verstehen. Was schon für die drei ersten Evangelien wahrscheinlich ist (s. Mt F), legt sich noch mehr für das zeitlich spätere Johannesevangelium nahe: Viele ältere mündliche und schriftliche Überlieferungen sind in es eingegangen, aus denen der Apostel oder ein von dessen Autorität gedeckter »;Evangelist« gewisse Szenen und Worte, das Leben Jesu betreffend, ausgewählt und zum Anlaß aktueller Verkündigung genommen hat. Diese hat indes eine so persönliche und das Werk einheitlich prägende Note, daß hier mehr als bei den anderen Evangelien von dem Evangelisten gesprochen werden muß.
B - Dieser Evangelist nun schreibt als letzter, gegen Ende des 1.Jhds (s. Einleitung C), ein Evangelium, das sich in besonderer Weise als Werk des Heiligen Geistes versteht, der mittlerweile in der Kirche ein vertieftes Verständnis Jesu bewirkt hat. Meditation und Verkündigung der Heilstaten Jesu während zweier Generationen haben den Gemeinden immer mehr das Geheimnis Jesu offenbart, so daß dieses Buch den Christen nicht so sehr Neues aus dem Leben Jesu berichten will (so sehr es sich immer wieder darauf bezieht; aber vermutlich konnte es bereits die anderen Evangelien als verbreitet voraussetzen), sondern anhand einiger ausgewählter Szenen Betrachtungen anstellt mit dem Ziel, in etwa folgendes, mit den Stichworten des Evangeliums formuliertes Kerygma (s. zu Mt 10,26-27 B) zu verbreiten: Dieser sich durch machtvolle Zeichen als einzigartig bekundende Jesus, den die Apostel gesehen und bezeugt haben und an den das Evangelium der sakramentalen Kirche alle künftigen Generationen erinnert und die Welt so in die Entscheidung (krisis) führt und uns zwingt, im Ja oder Nein zu Jesus das Gericht an uns zu vollziehen, - dieser Mensch Jesus ist zugleich Gottes ewiger Logos (WORT) und Sohn und deshalb Gottes endgültiger Offenbarer, dessen Abstieg in unsere Finsternis denen, die an ihn glauben und so die Wahrheit erkennen, ein neues Leben schenkt und in jenes Licht versetzt, das die Liebe Gottes selbst ist, die als der Vater und der Sohn im Heiligen Geist in uns wohnt und uns beisteht, wenn wir nur in Christus bleiben, auch wenn dieser vorübergehend wieder aufgestiegen ist in jene endgültige Herrlichkeit, die einst allgemein offenbar werden wird. Somit hat uns der vierte Evangelist eine »;Theologie der Epiphanie«, der »;Erscheinung« Gottes in Jesus von Nazaret, dem Christus, geschrieben.
C - Diese Absicht, im historischen Jesus den verherrlichten Christus durchscheinen zu lassen, hat auch die Darstellungsmittel dieses Evangeliums entscheidend bestimmt, vor allem die sogenannte »;johanneische Sprache«, die es sowohl den vor- wie nachösterlichen Jesus sprechen läßt, die in Wirklichkeit aber die Sprache der vom Geist in alle Wahrheit eingeführten johanneischen Gemeinde ist. Daher auch das Ruhige, Souveräne in der Darstellung, der wohldurchdachte Aufbau des Ganzen als heilsgeschichtliches Drama, die Ausdeutung der einzelnen Szenen in dramatisierender Dialogform und Herrenwort, daher die großen Redekompositionen, in denen sich Jesuswort und Meditation des Evangelisten durchdringen. Daher auch das Stilmittel der kurzen, rhythmischen Sätze, die in immer neuer Gegenüber- und Nebeneinanderstellung das Thema spiralförmig umkreisen und deren Stimmung und suggestiver Kraft sich niemand entziehen kann. Der Evangelist, der ein wortkarges, unbeholfenes Griechisch schreibt, scheint auch in der Diaspora Semit, Aramäer geblieben: Weil er nicht abstrahiert und analysiert, sondern konkret ist und intuitiv zugleich, Historiker und Mystiker, darum vermag er im alltäglich Kleinen das unsagbar Große, das Göttliche zu schauen und auszudrücken, darum liebt er das Symbol (Weg, Tür, Hirt, Licht, Weinstock), darin ein echter Sohn des Alten Testamentes, dessen Glaubenswelt er wie selbstverständlich voraussetzt.
D - Doch das Werk ist nicht in weltferner Abgeschiedenheit entstanden, sondern (nach dem Zeugnis der Tradition in Ephesus, s. zu Apg 18,24 B) aus der Verkündigung erwachsen, die immer auch Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Weltanschauungen und innerchristlichen Abweichungen vom apostolischen Glauben ist: mit der Sekte der Johannesjünger (s. zu Joh 1,8), die den Täufer und Wegbereiter Jesu überbewerteten; mit einer die Erlösung durch Erkenntnis (gnosis) predigenden und die Sakramente verachtenden Gnosis (s. zu Joh 3,1-21); mit den gnostischen Strömungen eines Valentin, Kerinth, Ebion, die »;leugneten, daß Christus im Fleisch gekommen sei« (Hieronymus, s. zu Joh 1,14 A); mit dem metaphysischen Dualismus (s. zu Joh 1,4-5 B) eines Simon des Zauberers, der eine auch das Göttliche zerreißende ewige Entzweiung der Welt in Gut und Böse lehrte; schließlich wohl auch mit dem Geistesgut von Qumran (s. zu Mt 1,12-15 C), wo man meinte, Gott habe Gute und Böse geschaffen ohne Rücksicht auf das Tun und Wollen der Geschöpfe und jedem so sein ewiges Los bestimmt. Der Blick auf diese Irrtümer erklärt manchen Akzent, den der Evangelist setzt, auch manchen Begriff, den er übernimmt und »;tauft«, um ihn unschädlich zu machen. Er kämpft indes nicht direkt, indem er die Gegner mit Namen nennt, sondern indirekt, indem er seinen Christen die Wahrheit neu und vertieft vorträgt.
E - Der Text des Johannesevangeliums, wie er uns heute vorliegt, scheint nicht mehr von dem Evangelisten selbst, sondern von seinen Schülern geordnet worden zu sein. Man könnte sich hier und da eine bessere Aufeinanderfolge der in sich geschlossenen Teile vorstellen. Auch ist möglich, daß ursprünglich vom Evangelisten nicht für das Evangelium bestimmte Arbeiten, die man unter seinen Schriften fand, eingestreut worden sind. Schließlich ist nicht ausgeschlossen, daß der Urtext auf einzelne Papyrusblätter (und nicht mehr auf Rollen, s. zu Lk 4,17) geschrieben wurde, deren ursprüngliche Reihenfolge gestört worden ist.
DAS EVANGELIUM NACH JOHANNES
Der Prolog
1 Im Anfang war das
Wort,
und das
Wort war bei Gott,
und das
Wort war Gott.
12
2 Dies war im Anfang bei Gott.
3 Durch dieses ist
alles geworden,
und ohne es ward nichts von
dem,
was geworden ist.
34
4 In ihm war Leben,
und das
Leben war das
Licht der
Menschen.
5
5 Das
Licht leuchtet in der
Finsternis,
und die
Finsternis hat
es nicht ergriffen.
6#
6 Ein
Mann trat auf,
von Gott gesandt.
Sein Name war
Johannes.
7
7 Dieser kam,
Zeugnis abzulegen,
Zeugnis für das
Licht,
damit alle durch ihn zu Glauben
kommen.
8#
8 Er
war nicht das Licht,
nur Zeugnis
geben sollte er
von dem
Licht.
9
9 Er
war das
wahre Licht, das
in die
Welt gekommen ist,
das jeden Menschen erleuchtet.
1011
10 Er
war in der
Welt und die
Welt ist
durch ihn geworden und die
Welt hat
ihn nicht erkannt.
12
11 Er
kam in sein
Eigentum,
aber die
Seinen nahmen ihn nicht auf.
13
12 Allen aber, die
ihn aufnahmen,
gab er
Macht,
Kinder Gottes zu
werden,
denen, die
an seinen Namen glauben,
14
13 die nicht aus dem
Blut,
nicht aus dem
Wollen des
Fleisches und
nicht aus dem
Wollen des
Mannes,
sondern aus Gott geboren sind.
15
14 Und das
Wort ist
Fleisch geworden und hat
unter uns gewohnt.
Und wir haben
seine Herrlichkeit geschaut, eine
Herrlichkeit als des
Eingeborenen vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit.
1617
15 Johannes bezeugte von ihm und bekannte laut: "
Dieser ist es, von
dem ich
gesagt habe:
Der nach mir kommt,
steht über mir,
denn er
war eher als
ich."
18
16 Aus seiner Fülle haben
wir alle empfangen,
Gnade über Gnade.
19#
17 Durch Mose ward das
Gesetz gegeben,
durch Jesus Christus kam die
Gnade und die
Wahrheit.
20#
18 Niemand hat
Gott je gesehen. Der
Einzigerzeugte,
Gott,
der im Schoß des
Vaters ist,
er hat Kunde
gebracht.
2122
VORBEREITUNG DES öFFENTLICHEN WIRKENS JESU
Das erste Zeugnis des Täufers über Jesus
19 Das ist das
Zeugnis des
Johannes,
als die
Juden von Jerusalem Priester und Leviten zu ihm sandten,
die ihn fragen sollten: "
Wer bist du?"
23#
20 Er
bekannte,
ohne zu
leugnen. Er
bekannte: "
Ich bin nicht der
Messias."
24#
21 Da fragten sie
ihn: "
Was denn?
Bist du Elija?" Er
antwortete: "Ich
bin es
nicht." - "
Bist du der
Prophet?" Er
antwortete: "
Nein."
2526#
22 Da sagten sie zu
ihm: "
Wer bist du denn? Wir müssen
doch denen, die
uns gesandt haben,
Antwort bringen.
Was sagst du
von dir
selbst?"
27
23 Er
antwortete: "
Ich bin die
Stimme eines Herolds, der
in der
Wüste ruft: >
Bereitet den
Weg des
Herrn<,
wie der
Prophet Jesaja gesagt hat."
2829
24 Die Abgesandten waren von den Pharisäern geschickt worden.#
25 Sie
fragten ihn weiter: "
Warum taufst du,
wenn du weder der
Messias,
noch Elija,
auch nicht der
Prophet bist?"
30#
26 Johannes erwiderte ihnen: "
Ich taufe mit Wasser.
Mitten unter
euch steht der,
den ihr nicht kennt,
31#
27 der nach mir kommt,
dessen Schuhriemen zu lösen ich nicht würdig bin."
32#
28 Dies geschah in Betanien jenseits des
Jordan,
wo Johannes war und
taufte.
3334
Das zweite Zeugnis des Täufers über Jesus
29 Tags
darauf sah er
Jesus auf sich zukommen.
Da sagte er: "
Das ist das
Lamm Gottes,
das hinwegnimmt die
Sünde der
Welt!
3536
30 Dieser ist es,
von dem ich gesagt habe:
Nach mir kommt ein
Mann,
der über mir steht;
denn er
war eher als
ich.
37
31 Ich kannte ihn nicht.
Aber damit er in
Israel offenbar werde, bin
ich gekommen,
mit Wasser zu
taufen."
38#
32 Weiter bezeugte Johannes: "Ich
sah den
Geist gleich einer
Taube vom Himmel herabsteigen,
und auf ihm bleiben.
39#
33 Ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte, mit Wasser zu taufen, sagte zu mir: Auf wen du den Geist herabsteigen und auf ihm bleiben siehst, der ist es, der mit Heiligem Geist tauft.
34 Ich habe es
gesehen und bezeugt:
Dieser ist der
Sohn Gottes."
40#
Berufung des Andreas und Johannes
35 Am folgenden Tag stand Johannes wieder da mit zwei von seinen Jüngern.
36 Als er
Jesus vorübergehen sah,
sagte er: "
Das ist das
Lamm Gottes!"
41
37 Sobald die beiden Jünger ihn so sprechen hörten, folgten sie Jesus nach.#
38 Jesus wandte sich um
und sah, daß
sie ihm
folgten. Da
fragte er
sie: "
Was sucht ihr?"
Sie erwiderten: "
Rabbi" -
das heißt Meister - "
wo wohnst du?"
42#
39 Er
antwortete ihnen: "
Kommt und seht!" Sie
kamen also und sahen,
wo er
wohnte,
und blieben jenen Tag bei ihm. Es
war um die
zehnte Stunde.
43
Berufung des Simon Petrus
40 Einer von den beiden, die ihm auf das Wort des Johannes hin gefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus.#
41 Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu
ihm: "Wir haben den
Messias -
das heißt >der
Gesalbte< -
gefunden."
44
42 Er
führte ihn zu Jesus.
Jesus schaute ihn an und
sagte: "
Du bist Simon, der
Sohn des
Johannes;
du sollst
Kephas -
das heißt >der
Fels< -
genannt werden."
45
Berufung des Philippus und Natanael
43 Tags
darauf wollte er
nach Galiläa ziehen.
Da traf er
Philippus und sagte zu
ihm: "
Folge mir."
46#
44 Philippus stammte aus Betsaida,
der Heimat des
Andreas und Petrus.
47#
45 Philippus traf Natanael und berichtete ihm: "Wir haben den
gefunden, von
dem Mose im Gesetz und die
Propheten geschrieben haben:
Jesus, den
Sohn Josefs,
aus Nazaret."
4849
46 Natanael entgegnete ihm: "
Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?"
Philippus sagte: "
Komm und sieh!"
50#
47 Als
Jesus Natanael auf sich zukommen sah,
sagte er
von ihm: "
Das ist ein
wahrer Israelit,
an dem kein Falsch ist."
51#
48 Natanael fragte ihn: "Woher kennt du mich?" Jesus gab ihm zur Antwort: "Noch ehe dich Philippus rief, als du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen."#
49 Natanael erwiderte ihm: "
Meister,
du bist der
Sohn Gottes,
du bist der
König von
Israel."
52
50 Jesus entgegnete ihm: "Du
glaubst,
weil ich
dir gesagt, ich habe
dich unter dem
Feigenbaum gesehen?
Noch Größeres wirst du
sehen."
53#
51 Dann fuhr er fort: "
Wahrlich,
wahrlich, ich
sage euch: Ihr werdet den
Himmel offen und die
Engel Gottes über dem
Menschensohn auf- und niedersteigen sehen."
5455#