Hos 1

Das Zwölfprophetenbuch





Gottes Botschaft an Israel im Wort seiner vielen Boten



In der hebräischen Bibel steht neben den Büchern Jesaja, Jeremia und Ezechiel als viertes das Buch der "Zwölf". In ihm sind selbständige, zwölf verschiedene Propheten zugeschriebene Schriften aneinandergereiht, die einen Zeitraum umspannen, der sich etwa von der Mitte der Königszeit bis weit in die Zeit nach der Heimkehr Israels aus der Babylonischen Gefangenschaft erstreckt. Wie aber jede dieser Einzelschriften ihre eigene, unverwechselbare Prägung besitze, so hat sie auch ihren jeweils eigenen, meist kaum mehr aufhellbaren literarischen Werdegang. Zu der einen Sammlung (Rolle) sind diese Schriften wahrscheinlich erst später aus Gründen der Handlichkeit (für die Verlesung beim Gottesdienst) vereinigt worden, um den drei ersten Prophetenrollen eine ein etwa gleich große an die Seite zu stellen.



Im christlichen Kanon folgen die zwölf kleineren Prophetenbücher auf die vier "Großen Propheten" (zu denen hier auch Daniel gehört) und tragen im Unterschied zu ihnen die Bezeichnung "Kleine Propheten". Damit soll jedoch nur auf den geringeren Umfang dieser Schriften hingewiesen werden und keineswegs ein Urteil über die mindere Bedeutung dieser Männer ausgesprochen sein.



Das Bedeutsame des Zwölfprophetenbuchs liegt nicht zuletzt darin, daß in ihm das Wort Gottes an Israel aus der ganzen Breite menschlicher und in die ganze Weite geschichtlicher Verschiedenheiten ergeht, aber im Grunde doch stets die eine Botschaft Gottes ist, der sein Volk immer wieder in Mahnung, Warnung, Drohung und Verheißung zur Einkehr und Umkehr ruft.



Einführung in das Buch Hosea





Gottes Liebe zum treulosen Bundesvolk



Als einziger der sogenannten "Schriftpropheten" ist Hosea im Nordreich Israel beheimatet. Wohl ist dort vor ihm auch sein älterer Zeitgenosse Amos aufgetreten; doch stammt Amos aus dem Südreich Juda. Hosea beginnt seine prophetische Wirksamkeit, als Israel unter König Jerobeam II. bereits den Gipfel seiner Machtentfaltung und wirtschaftlichen Blüte überschritten hat (etwa um 750 v.Chr.). Allenthalben treten nun die Zeichen des Niederganges zutage. Den tieferen Grund des raschen Verfalls sieht Hosea jedoch nicht so sehr im Wandel der politischen Verhältnisse als vielmehr darin, daß das Volk, religiös unwissend und gleichgültig geworden in der langen Zeit des materiellen Wohlstandes, den Bundesgott Israels immer weniger von den einheimischen Baal-Göttern Kanaans zu unterscheiden weiß, in denen es die wahren Spender der Fruchtbarkeit des Landes zu verehren glaubt. So bricht Israel den Bund, durch den es das Volk Gottes, des Herrn, geworden ist, der ein "eifersüchtiger" Gott ist und der keine "fremden Götter" neben sich duldet (vgl. Ex 19, 5;Ex 20, 3 - 6).



Gottes Bund mit Israel aber ist mehr als nur ein äußerlich rechtlicher Vertrag. Hosea stellt ihn zum ersten Mal im Bilde einer ehelichen Gemeinschaft dar: Gott, der Herr, ist als Israels Gemahl seinem Volk in Liebe verbunden. Doch Israel ist ihm untreu geworden, hat sich mit den Baalen eingelassen und hat Ehebruch begangen.



Nun geht aus dem Buche Hosea hervor - und bezeichnenderweise sind dies die einzigen Hinweise auf sein persönliches Leben -, daß der Prophet in seiner eigenen Ehe schmerzliche und beschämende Enttäuschungen hat erleben müssen und dennoch von der Liebe zu seiner Ehefrau nicht losgekommen ist. Diese leidvollen persönlichen Erfahrungen haben offensichtlich die besondere Art seiner Verkündigung bestimmend geprägt. Die Botschaft, die Hosea bringt (und selbst darstellt), ist die Botschaft von Gottes Liebe zum treulosen Bundesvolk, die auch hinter den furchtbarsten Worten der Drohung noch vernehmbar bleibt. Sie ist das Tiefste, das aus dem Herzen Gottes durch das Herz des Propheten hindurch als unverbrüchliches Angebot des Heiles in Treue, Gnade und Erbarmen an Israel ergeht.



Diese aus der Mitte eigenen Erlebens aufgebrochene prophetische Erkenntnis, daß Gott sich am tiefsten durch seine Liebe offenbart, ist nie mehr untergegangen. Nach Hosea greifen andere Propheten seine Botschaft auf (vgl. z.B. Jer 2, 1 - 7;Jer 3, 13. 20;Jer 31, 3; Jes 62, 4f). Im Neuen Bund nennt Christus, der Herr, sich selbst den "Bräutigam" (vgl. Mt 9, 15). Das Volk des Neuen Bundes aber, die Kirche, ist seine "Braut". Und im 1. Johannesbrief steht, alles zusammenfassend, als letztmögliche Aussage über Gott: "Gott ist Liebe; wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm" (1Joh 4, 16). -



Das Buch Hosea besteht aus zwei verschiedenen Teilen. Im ersten (kürzeren) Teil (Hos 1 - 3) sind Botschaft und persönliches Erleben des Propheten miteinander verwoben, während im zweiten (längeren) Teil (Hos 4 - 14) eine Sammlung einzelner Aussprüche vorliegt, die ohne erkennbare Ordnung aneinandergereiht sind.





Das Buch Hosea

Gottes Liebe zum treulosen Bundesvolk

Überschrift

1 Das Wort des Herrn, das an Hosea, den Sohn Beeris, in den Tagen Usijas, Jotams, des Ahas und Hiskijas, der Könige von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes des Joasch, des Königs von Israel, erging.1

Verwerfung und Wiederannahme des Volkes

Die Namen der Kinder, Sinnbilder der Verwerfung Israels

2 Erste Rede des Herrn an Hosea: - Der Herr sprach zu Hosea: "Geh, nimm dir eine Dirne zur Frau und bringe mit ihr Dirnenkinder hervor! Das Land ist ja auch treulos gegen den Herrn!"23
3 Da ging er hin und vermählte sich mit Gomer, der Tochter Diblajims. Sie wurde guter Hoffnung und gebar ihm einen Sohn.
4 Da sprach der Herr zu ihm: "Gib ihm den Namen Jesreel! Denn nur noch eine kleine Weile, und ich ahnde die Blutschuld von Jesreel am Haus Jehu und mache ein Ende dem Königtum des Hauses Israel.45
5 An jenem Tag zerschmettere ich Israels Macht im Tal Jesreel."6
6 Abermals wurde sie guter Hoffnung und gebar eine Tochter. Da sprach der Herr zum ihm: "Gib ihr den Namen Lo-Ruhama (Kein Erbarmen)! Denn ich will fortan dem Haus Israel keine Erbarmen mehr erweisen. Für immer will ich seiner vergessen.7
7 Dem Haus Juda aber will ich Erbarmen erweisen und es erretten durch den Herrn, seinen Gott. Doch will ich es nicht durch Bogen, Schwert und Kriegsgerät erretten, noch durch Rosse und Reiter."8
8 Als Gomer Lo-Ruhama entwöhnt hatte, wurde sie wiederum guter Hoffnung und gebar einen Sohn.
9 Da sagte er: "Gib ihm den Namen Lo-Ammi (Nicht-mein-Volk)! Denn ihr seid nicht mehr mein Volk, und ich bin nicht mehr da für euch.9
1 Das Buch beginnt mit zwei seltsam gerafften Berichten - der erste (Hos 1;Hos 2) stammt von fremder Hand, der zweite (Hos 3) von Hosea selbst -, die man zunächst einfachhin als bildliche und gleichnishaft erzählte Veranschaulichungen auffassen möchte. Aber diese Deutung, so oft man sie auch versucht hat, ist keineswegs überzeugend. Es muß sich vielmehr um ein wirkliches Ereignis im Leben des Hosea handeln, weil es sich auf etwas bezieht, das den innersten Nerv seiner prophetischen Persönlichkeit entscheidend bestimmt hat. Hosea erhält nämlich von Gott den Auftrag, ein Mädchen, Gomer mit Namen, zur Frau zu nehmen, dessen Lebensführung Anstoß erregt. Wohl schenkt Gomer dem Propheten drei Kinder - sie erhalten unheilverkündende symbolische Namen -, verläßt ihn dann aber und wird ihm durch Ehebruch untreu. Dem Propheten widerfährt also in seiner Ehe mit Gomer, was Gott, dem Herrn, immer wieder im Bund mit Israel widerfährt: Untreue, Abfall, Bundesbruch.
2 >Dirne< - gemeint sein könnte: eine gewöhnliche Dirne, oder eine Frau, die sich später als Ehebrecherin erweist, eine sog. >Hierodule< (vgl. die Anm. zu Bar 6, 10), oder eine Frau, die an heidnischen Kulten teilgenommen hat (vgl. dazu die Anm. zu Ex 34, 15 - 16).
3 ℘ Hos 4, 12;Hos 5, 4;Hos 9, 1§Ez 16, 44;Sir 41, 5
4 Jesreel war der Name der zeitweiligen Residenzstadt der Könige des Nordreiches und lag am Ostrand der gleichnamigen Ebene in Nordpalästina. Hier geschah die Bluttat an Nabot, von hier aus erging der Befehl zu den Prophetenmorden, hier ließ Jehu die Nachkommen Omris umbringen - seine Dynastie endete 743 v.Chr., als Secharja ermordet wurde (2Kön 15, 10).
5 ℘ 1Kön 21, 7;1Kön 18, 4;1Kön 19, 10;2Kön 9, 7§2Kön 9, 24 - 27;2Kön 10, 11;2Kön 17, 3 - 6. 20 - 23;Amos 7, 9. 11
6 Die >Ebene Jesreel< oder >Ebene von Megiddo< war oft Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen (vgl. z.B. Ri 4, 12 - 16;2Kön 23, 29f).
7 ℘ Hos 2, 1. 3. 6
8 ℘ 2Kön 19, 34;Ps 20, 8;Spr 21, 31;Jes 30, 16;Mi 5, 9
9 ℘ Ex 3, 14;Hos 2, 25