Achiors Rede vor Holofernes
1 Dem assyrischen Heerführer Holofernes ward gemeldet, daß die Israeliten sich zum Widerstand rüsteten und die Gebirgspässe besetzt hielten.
2 Da ward er sehr zornig und geriet in große Wut. Er rief alle Fürsten der Moabiter und die Führer der Ammoniter zusammen und sprach zu ihnen:
3 "Sagt mir, was ist das für ein Volk, das die Berge besetzt hält? Welche Städte hat es? Wie sind sie beschaffen und wie viele sind es? Wie steht es mit ihrer Heeresmacht, und wie groß ist ihre Zahl? Wer ist ihr Anführer?
4 Warum verachten uns diese allein von allen, die im Osten wohnen, und sind uns nicht entgegengekommen, um uns in Frieden aufzunehmen?"
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5 Darauf erwiderte Achior, der Anführer aller Ammoniter, und sprach: "Wenn du, mein Herr, geruhst, mich anzuhören, will ich dir über dieses Volk, das auf dem Gebirge wohnt, einen wahrheitsgetreuen Bericht erstatten; kein falsches Wort soll aus meinem Mund kommen.
6 Dieses Volk stammt von den Chaldäern ab und wohnte anfangs in Mesopotamien.
7 Weil sie aber den Göttern ihrer Väter, die im Land der Chaldäer waren, nicht dienen wollten,
8 gaben sie die religiösen Gebräuche ihrer Väter, die in Vielgötterei bestanden, auf
9 und verehrten den einen Gott des Himmels, der ihnen auch befahl, von dort wegzuziehen und sich in
Haran niederzulassen. Als aber eine Hungersnot über das ganze Land kam, zogen sie nach Ägypten hinab. Dort vermehrten sie sich in 400 Jahren so, daß man ihre Menge nicht mehr zählen konnte.
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10 Als aber der König von Ägypten sie bedrückte und sie beim Bau seiner Städte zum Frondienst in der Herstellung von Lehmziegeln zwang, riefen sie zum Herrn, und dieser schlug das ganze Land Ägypten mit verschiedenen Plagen.
11 Nachdem die Ägypter sie vertrieben hatten und die Plage von ihnen abließ, wollten sie dieselben wieder einholen und zum Frondienst zurückführen.
12 Da öffnete der Gott des Himmels ihnen auf ihrer Flucht das Meer, so daß die Wasser auf beiden Seiten wie eine Mauer feststanden und die Israeliten trockenen Fußes auf dem Meersboden hinüberzogen.
13 Während aber das ungezählte Heer der Ägypter ihnen nachjagte, wurde es von den Fluten bedeckt, so daß nicht ein einziger übrigblieb, der das Geschehene den Nachkommen hätte berichten können.
14 Nach dem Durchzug durch das Rote Meer lagerten sie sich in der Wüste des Sinaigebirges, wo noch kein Mensch gewohnt, kein Menschenkind sich niedergelassen hatte.
15 Dort wurden die Bitterquellen für sie zu süßem Trinkwasser, und 40 Jahre lang erhielten sie ihre Nahrung vom Himmel.
16 Wohin sie zogen ohne Bogen und Pfeil, ohne Schild und Schwert, kämpfte ihr Gott für sie und siegte.
17 Niemand konnte diesem Volk widerstehen, außer wenn es vom Dienst des Herrn, seines Gottes, abgewichen war.
18 Sooft sie nämlich neben ihrem Gott noch einen anderen verehrten, wurde sie der Plünderung, dem Schwert und der Schmach preisgegeben.
19 Sobald sie es aber bereuten, vom Dienst ihres Gottes abgewichen zu sein, gab ihnen der Gott des Himmels Kraft zum Widerstand.
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20 So schlugen sie schließlich die Könige der Kanaaniter, Jebusiter, Perisiter, Hetiter, Hiwiter, Amoriter und alle Machthaber in Heschbon und nahmen deren Länder und Städte in Besitz.
21 Solange sie nicht gegen ihren Gott sündigten, war das Glück auf ihrer Seite; denn ihr Gott haßt das Unrecht.
22 So wurden sie auch vor Jahren, als sie von dem Weg, den Gott sie gewiesen, abgewichen waren, in vielen Kämpfen von den Völkern aufgerieben und sehr viele von ihnen in ein fremdes Land als Gefangene weggeführt.
23 Neuerdings aber haben sie sich wieder zum Herrn, ihrem Gott, bekehrt und sich aus den Ländern, in die sie zerstreut waren, wieder zusammengefunden, sind auf alle diese Berge gezogen und besitzen wieder Jerusalem, wo ihr Heiligtum ist.
24 Nun forsche nach, mein Herr! Wenn sie gegen ihren Gott ein Unrecht begangen haben, dann wollen wir gegen sie ziehen; denn ihr Gott wird sie dir preisgeben, und sie werden sich beugen unter das Joch deiner Macht.
25 Ist aber an diesem Volk keine Schuld vor seinem Gott, so werden wir ihm nicht widerstehen können; denn sein Gott wird es verteidigen, und wir werden der ganzen Welt zum Gespött."
26 Nach diesen Worten Achiors wurden alle Großen des Holofernes zornig und wollten ihn töten. Sie sagten zueinander:
27 "Wer wagt zu behaupten, daß die Israeliten dem König Nebukadnezzar und seinem Heer widerstehen können, Menschen ohne Wissen, ohne Tapferkeit und ohne Kenntnis der Kriegskunst?
28 Damit aber Achior erfährt, daß er uns täuscht, wollen wir in das Gebirge hinaufziehen. Wenn dann die Machthaber dort gefangen sind, wird er samt ihnen mit dem Schwert durchbohrt.
29 So soll jedes Volk erkennen, daß Nebukadnezzar der Gott der Welt ist und außer ihm kein anderer."