Ägyptische Finsternis
1 Gewichtig sind ja Deine Urteilssprüche und schwierig zu ergründen; verfallen sind deshalb dem Irrtum jene Seelen, die unbelehrbar sind.
2 Die Frevler glaubten, ein heilig Volk sich dienstbar sein zu lassen. Da mußten sie, in Finsternis gefangen, von langer Nacht umstrickt, daliegen, eingesperrt in ihre Häuser, verbannt von ewiger Vorsehung.
3 Sie hielten sich verborgen bei geheimen Sünden. Sie wurden, unterm dunklen Schleier der Vergessenheit, zerstreut und fürchterlich erschreckt.
4 Denn nicht einmal der Winkel, welcher sie umfing, bewahrte sie vor Furcht, und Töne, furchterregende, erschollen rings um sie, und düstere Gespenster mit abscheulichen Gesichtern zeigten sich.
5 Und keines Feuers Macht vermochte Helligkeit zu schaffen. Auch der Gestirne Strahlenkranz vermochte nicht, die schaurig dunkle Nacht zu hellen.
6 Nur ein von selbst entzündet Feuer, Furcht erregend, leuchtet ihnen. Wenn aber die Erscheinung schwand, so hielten sie in ihrer Angst für schlimmer das Geschaute, als es war.
7 Die Gaukelei'n der Zauberkünste waren ohne Macht. Die Probe ihrer hochgemuten Prahlerei war schmachvoll.
8 Denn die versprachen, Erschütterung und Schrecken einer kranken Seele fernzuhalten, erkrankten selbst in lächerlicher Furcht.
9 Wenn schon nichts Schreckliches in Furcht sie setzte, so wurden sie durch Kriechen von Gewürm und Schlangenzischen aufgescheucht
10 und kamen fast vor Schrecken um und weigerten sich, in die Luft zu sehen, die man doch nicht entbehren kann.
11 Die Bosheit ist aus sich ja feige, und sie bezeugt es auch, weil sie sich selbst verurteilt.
12 Ist Furcht ja doch nichts andres als Verzicht auf Hilfe, die von der Überlegung dargeboten.
13 Ist aber auch die Angst im Inneren geringer, so hält sie für ein größtes Übel doch die Ungewißheit ihres Leidensgrundes.
14 Doch diese lagen in dem gleichen Schlaf in der an sich ohnmächtigen Nacht, die aus den Winkeln der ohnmächtigen Hölle war heraufgekommen.
15 Sie wurden teils durch Bilder von Gespenstern aufgescheucht, teils durch Verzweiflung ganz gelähmt. Denn plötzlich, unerwartet hatte sie die Furcht gepackt.
16 Und so war ausnahmslos ein jeglicher, der ihr verfiel, in einem Kerker ohne Riegel eingeschlossen und gefangen.
17 Denn, war er Landmann oder Hirte, ein Arbeitsmann, beschäftigt in der Einsamkeit, ganz überrascht erlag er unvermeidlich einem Zwange.
18 Sie alle waren durch das gleiche Band der Finsternis gefesselt. War's nur ein sanfter Wind, war's der Gesang der Vögel, um dichtbelaubte Zweige lieblich tönend, war's Wasserrauschen, mächtig strömend,
19 war's schauerliches Krachen stürzender Felsmassen, war's unsichtbares Laufen hüpfender Geschöpfe, war's Heulen brüllender und schauerlicher Tiere, war's Widerhall des Echos aus der Berge Höhlung, all dieses lähmte sie durch Schrecken.
20 Die ganze Welt erglänzte in dem Strahlenlicht und konnte ungehindert sich der Arbeit widmen. 21 Nur sie allein bedeckte tiefe Nacht, ein Bild der Finsternis, die später sie aufnehmen sollte. Doch waren sie sich selbst noch mehr als diese Finsternis zur Qual.