Jes 56

Zweiter Teil: Die Schrift des >Dritten (Trito-)< Jesaja | Die Allgemeinheit des Heils für alle Gottesfürchtigen

Nahe ist Gottes Heil; wer recht tut, erlangt es

1 So spricht der Herr: "Wahrt das Recht und stellt Gerechtigkeit her! Denn schon ist nahe mein Heil, und bald enthüllt sich meine Gerechtigkeit."1
2 Heil dem Menschen, der dies tut, und dem Menschenkind, das daran festhält: Das den Sabbat hält und ihn nicht entweiht, seine Hand behütet, daß sie nichts Böses tut!23

Der Zugang zum Heil steht offen für alle

3 Nicht sage der Fremde, der sich dem Herrn anschließt: "Der Herr wird mich ausschließen aus seinem Volk." Nicht sage der Verschnittene: "Ach, ich bin nur ein dürrer Baum!"4
4 Denn so spricht der Herr: "Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten und das erwählen, woran ich Gefallen habe, und festhalten an meinem Bund,
5 gewähre ich in meinem Haus und meinen Mauern Platz und gebe ihnen einen Namen, der besser ist als Söhne und Töchter. Einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der nie mehr ausgetilgt wird.5
6 Die Fremden aber, die sich dem Herrn anschließen, um ihm zu dienen, den Namen des Herrn zu lieben und seine Knechte zu sein, alle, die den Sabbat halten und ihn nicht entweihen und festhalten an meinem Bund,67
7 will ich zu meinem heiligen Berg bringen und sie erfreuen in meinem Bethaus. Ihre Brandopfer und ihre Schlachtopfer finden Gefallen auf meinem Altar. - Denn mein Haus wird >Haus des Gebetes für alle Völker< genannt!" -8
8 Spruch des allmächtigen Herrn, der die Versprengten Israels sammelt: "Noch mehr sammle ich zu denen hinzu, die ich von ihnen schon gesammelt habe.9

Verderbtheit der Volksführer

9 All ihr Tiere des Feldes, kommt zum Fressen, all ihr Tiere des Waldes!1011
10 Seine Wächter sind blind: sie alle nehmen nichts wahr. Sie alle sind stumme Hunde, können nicht bellen. Träumend liegen sie da und schlafen am liebsten.
11 Freßgierige Hunde sind sie, kennen kein Sattsein. Hirten sind sie, die nicht achtgeben. Sie gehen alle ihren eigenen Weg, jeder auf seinen Vorteil bedacht, der eine so wie der andere.12
12 >Kommt, Wein will ich holen! Rauschtrank wollen wir zechen! Morgen soll es auch so wie heute gehen, herrlich über die Maßen!<
1 Als dritter Teil ist dem alten Jesajabuch noch eine Reihe prophetischer Stücke zugefügt (Jes 56-66), die augenscheinlich aus der Zeit nach der Rückkehr der Verbannten aus Babel stammen und in ihrer Mitte, also in Jerusalem selbst, entstanden sind. - Wiederum erklingt hier die Stimme eines (oder mehrerer?) unbekannten Propheten. Wiederum aber ist es eine Stimme, durch die Gottes Wort neu an die Ohren und in die Herzen der nunmehr in die alte Heimat Zurückgekommenen dringen soll. - Die äußere Lage der Heimgekehrten im daniederliegenden Jerusalem ist armselig und entmutigend. Ihre Anzahl ist gering. Ihr Leben ist dürftig, bedrängt und verdüstert von Sorgen - nicht zuletzt wirtschaftlicher Art. Es fehlt an allem. Das Werk des Wiederaufbaus bleibt in den Anfängen stecken. - Der Prophet jedoch legt schonungslos die wahre Wunde in der traurigen Gegenwart bloß: Es mangelt dem Volk an der rechten Gesinnung. Seine Frömmigkeit ist vielfach nur äußerer Schein; ihr fehlt die Bereitschaft zur helfenden Tat am Nächsten. - Dann aber stellt der Prophet im Kern seiner Botschaft (Jes 60-62) eine gewaltige Zukunftsschau vor den Hintergrund dieser traurigen Gegenwart. Er sieht Israels Zerstreute in die Heimat zurückkehren. Mit ihnen kommen die heidnischen Völker und Könige; denn auch sie haben Anteil am neuen Gottesheil. Sie bringen als Gaben Schätze aus aller Welt. Jerusalem wird zum endzeitlichen Mittelpunkt, in dem sich an Größe und Herrlichkeit alles vereint, was Gott seinem Volk und der ganzen Menschheit in einer neuen Schöpfung bereitet. - So kann später vom Neuen Bund her der Verfasser der Geheimen Offenbarung gerade diese Bilder wieder aufgreifen und sie auf die Vollendung des Gottesheiles in Jesus Christus beziehen (Vgl. Offb 21, 10. 23 - 26;Offb 22, 5).
2 Die Einhaltung des Sabbatgebotes wird besonders hervorgehoben, da dies eines der deutlichsten Zeichen der Hinwendung zur Religion Israels war.
3 ℘ Jes 58, 13
4 Den früher von der Zugehörigkeit zur israelitischen Volksgemeinschaft Ausgeschlossenen (vgl. Dtn 23, 2. 4 - 7) wird nun der Zutritt nicht mehr verweigert.
5 ℘ Jes 55, 13
6 V. 6 - 7: Auch Fremde (Proselyten; vgl. dazu die Anm. zu Apg 13,16) sind zur Gottesgemeinde zugelassen, wenn sie den Sabbat halten und das Bundesgesetz beobachten. Sie dürfen am Gottesdienst teilnehmen. Der Tempel steht allen Völkern offen.
7 ℘ Jes 45, 14
8 ℘ Mk 11, 17
9 ℘ Ps 147, 2
10 V. 9 - 10: Die Tiere des Feldes und Waldes symbolisieren die Feinde Israels, die über das Volk herfallen, weil dessen Führer (= Wächter), wie im folgenden dargelegt, versagt haben (vgl. dazu auch Jer 2, 8. 26f;Jer 5, 4f. 31;Jer 10, 21;Jer 23, 1f. 11f.;Ez 8, 11f;Ez 34).
11 ℘ Dtn 28, 26;Jer 12, 9;Ez 29, 5;Ez 39, 17;Hos 13, 8;Offb 19, 17f
12 ℘ Jes 53, 6